Das Wahlprogramm von Bündnis 90/ Die Grünen - Gleicher WUMS für Frauen und Männer?

Das Wahlprogramm von Bündnis 90/ Die Grünen - Gleicher WUMS für Frauen und Männer?

→ Bündnis 90/ Die Grünen: Mit WUMS für ein besseres Europa. Wirtschaft & Umwelt, Menschlich & Sozial – das grüne Zukunftspaket für ein gemeinschaftliches Europa

Von allen untersuchten Wahlprogrammen zur Europawahl ist das von Bündnis 90/ Die Grünen bei Weitem das umfangreichste. Das betrifft sowohl das quantitative als auch das inhaltliche Ausmaß, sowohl in geschlechterpolitischen als auch in anderen Fragen. In den 157 Textseiten werden 37 explizite Bezüge zu Gender-Themen gemacht, sieben davon sind jeweils komplette geschlechterpolitische Teilabschnitte innerhalb des Programms. Die geschlechtergerechte Schreibweise wird komplett durchgehalten.

Einen breiten Raum nehmen im grünen Wahlprogramm sozial- und beschäftigungspolitische Forderungen ein. Besonders die Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit wird als wesentliches Element der Gleichstellung und Bestandteil des Selbstverständnisses grüner Politik betont. Mit der Kritik an der Lohndiskriminierung von Frauen wird die Forderung nach Initiativen erhoben, mit denen die Mitgliedstaaten Lohndiskriminierung gesetzlich sanktionieren sollen. Da Frauen häufiger im Niedrig- und Dumpinglohnbereich beschäftigt sind, wird damit die Forderung nach Mindestlöhnen verknüpft als einem Instrument zum Abbau der geschlechtlichen Lohndifferenz. Europaweit möchten Bündnis 90/Die Grünen daher einen Equal-Pay-Day etablieren, um das Problem der Lohndiskriminierung ins Bewusstsein zu rücken. Als weitere Instrumente werden Sanktionen gegen Mitgliedsländer gefordert, die sozialpolitische Quoten zu Kinderbetreuung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der (Zunahme der) Frauenerwerbstätigkeit nicht erfüllen. Es sollten Anreize für Männer geschaffen werden, soziale und familiäre Verantwortung zu übernehmen. Aussagen zum Recht auf Abtreibung und Zugang zu Verhütungsmitteln macht das Programm nicht.

Durch soziale Ausgleichsprogramme und eine an der Solidargemeinschaft orientierte Strukturpolitik der EU solle die ökonomische Schlechterstellung von Frauen – ihre Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt, Belastung durch unbezahlte Pflege- und Sorgearbeit und ihre besondere Belastung durch den Sozialabbau – aufgefangen werden. Die Mitgliedsstaaten sollen zudem durch eine Quotenregelung zur Förderung von Frauenerwerbstätigkeit beitragen, bei gleichzeitig vorgesehenen Sanktionierungsmöglichkeiten. Die bestehenden Antidiskriminierungsbestimmungen der EU seien dabei „europäischer Mindeststandard“. Es wird betont, dass diesbezügliche gestalterische Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft seien. Die Daseinsvorsorge müsse laut dem Parteiprogramm in eine europäische Rahmenrichtlinie für Dienste von allgemeinem Interesse gefasst werden, die nicht dem Wettbewerbsrecht unterworfen sind und bei denen somit Subventionierung möglich ist. Bestimmte soziale Dienste bedürften dieser Subventionierung, da der Markt sie nicht bereitstellen würde.

Zur geschlechtergerechten Ausgestaltung europäischer Politik müsste neben dem Gender-Mainstreaming, Quotenregelungen und allgemeiner Frauenförderung zudem Gender-Budgeting im EU-Haushalt konsequente Anwendung finden, um den geschlechterspezifischen Auswirkungen im EU-Finanzhaushalt Rechnung zu tragen. Soziale Verbände, unter ihnen Frauenverbände, sollen in die Auswahl, Durchführung und Evaluation von Förderprojekten auf regionaler und nationaler Ebenen einbezogen werden. Unterschiedlicher Mobilitätsbedürfnisse von Männern und Frauen müssten bei der verkehrspolitischen Planung der EU Berücksichtigung finden. Die Vergabepraxis öffentlicher Aufträge solle genauso gender-politisch gestaltet werden wie von der EU finanzierte Forschungsprojekte zur Gesundheitsvorsorge. Europäische regionale Förderung solle auch im Hinblick auf das Potential von Frauen ausgerichtet werden. In allen europäischen Entscheidungspositionen sollen Frauen gleichberechtigt vertreten sein, so in den europäischen Gremien zu mindestens 50 Prozent. Ebenso solle die EU-Kommission quotiert werden.

Ein weiterer großer Abschnitt setzt sich mit dem Zusammenhang von Geschlecht und Friedenspolitik und außenpolitischen Entwicklungen auseinander. Frauen sollten demnach bei der Gestaltung von  Friedenspolitik und Globalisierung einbezogen werden. In der europäischen Flüchtlingspolitik soll ein Grundrecht auf Asyl bestehen  unter besonderer Berücksichtigung von nichtstaatlichen Fluchtgründen, von denen meist Frauen betroffen sind. Ein Einwanderungssystem, das Bündsnis 90/Die Grünen vorschwebt, soll dabei Frauen im speziellen und Menschen mit Familienpflichten im Allgemeinen nicht benachteiligen. Opfer von Zwangsverheiratung sollten ein generelles Rückkehrrecht nach Deutschland haben. Die europaweite Diskriminierung der Roma – und in diesem Zusammenhang die unfreiwillige Sterilisierung von Frauen – solle beendet werden. Frauen und ihre Interessen sollten angemessen in Missionen der Friedens- und Sicherheitspolitik berücksichtigt werden. EU-Missionen sollten vor allem zur Durchsetzung von Frauenrechten durchgeführt werden, die beteiligten EU-MitarbeiterInnen sollten Gender-Trainings absolvieren. Zivile Friedenkorps, in denen Frauen ausreichend vertreten seien, sollte zur Gewährleistung von Frauenrechten und Gleichberechtigung herangezogen werden. Die Berufung auf Religions- und Glaubensfreiheit darf nicht zur Beeinträchtigung der Selbstbestimmung und Freiheit von Frauen führen.

Die EU benötige dazu eine entsprechende Mentoring-Stelle und eine EU-Sonderbeauftragte zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Diese solle als Menschenrechtsverletzung geahndet werden. Der Börsengang von Unternehmen, die Großbordelle betreiben, solle durch die Europäische Union verhindert werden. Zwangsprostitution, Menschenhandel, Sklaverei und sexualisierte Gewalt solle mit bestehenden und auch neuen Programmen bekämpft werden. Von sexistischer Darstellung in den Medien distanziert sich die Partei in ihrem Programm.

Einen Abschnitt widmet das Programm dem Zusammenhang von Geschlecht und Entwicklungspolitik. Die Teilhabe von Frauen und von diskriminierten Gruppen an politischer Gestaltung sei eine Grundlage von Frieden und Entwicklung. Es sei daher der richtige entwicklungspolitische Ansatz, Frauen in und durch  Entwicklungspolitik zu stärken. Ein mögliches Instrument sei die Vergabe von Mikrokrediten, vor allem an Frauen. Emanzipation von Frauen als Ansatz in der Entwicklungspolitik beinhalte die Durchsetzung und Einhaltung von Frauenrechten, Empowerment, Gender Mainstreaming und ähnlichen Prinzipien. 

Zudem wird in dem Programm gefordert, die EU-Außenpolitik auch im Hinblick auf die Rechte von Homosexuellen, Bisexuellen, Transgendern auszurichten. Um Gleichberechtigung für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender in Europa herzustellen, sei deren vollständige Gleichstellung in allen gesellschaftlichen Bereichen, inklusive der Ehe, dem Adoptions- und Beamtenrecht nötig. Europäische Begegnungsprogramme für Jugendliche sollten zudem zum Abbau von Homosexuellenfeindlichkeit eingesetzt werden.

Kritisch zu beobachten bleibt, ob und wieweit der wirtschaftspolitische ökologischer New Deal, der im Programm für Europa vorgeschlagen wird, beiden Geschlechtern zu Gute kommt und nicht einseitig männerdominierte Wirtschaftszweige fördert. Der Blick auf den historischen New Deal Roosevelts, mit dem versucht wurde, Frauenerwerbstätigkeit zugunsten von Männern zurückzudrängen, ermahnt hier zu besonderer Vorsicht. Das Programm von Bündnis 90/Die Grünen macht entsprechende Zusagen, dass ein solches Wirtschaftsprogramm sozialpolitisch sensibel gestaltet werden müsste. Doch gerade der Wirtschaftzweig der erneuerbaren Energien muss erst noch beweisen, ob er tatsächlich auch für Frauen der vielgerühmte Jobmotor ist.

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