Wenn die Terrorismusforschung zum Feminismus konvertiert

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Hat Terrorismus ein Geschlecht?“ fragt das Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung. „Woher wissen wir so genau, was Terrorismus ist? Was analysieren wir mit dieser Perspektive eigentlich, und wozu?“ frage ich anlässlich meiner Einladung zu dieser Debatte. Zur Beantwortung dieser Frage möchte ich einige weitere aufwerfen: „Wie kommt es, dass sich ausgerechnet die bislang des Feminismus weitgehend unverdächtige Terrorismusforschung für so genannten ‚Frauenfragen’ interessiert? Was passiert dabei? Und welche ‚Kollateralschäden’ gehen damit für eine feministische Analyse von politischer Gewalt im internationalen Kontext einher?“ In meinem Vortrag wurde argumentiert, dass gegenwärtige Debatten um ‚Terrorismus und Geschlecht’ nicht nur zur Selbstverständlichkeit dessen beitragen, was wir unter Terrorismus verstehen. Sie können auch zu einer spezifischen Zurichtung von Konzepten von Feminismus und Gender führen, die alles andere als emanzipativ sind.

Fazit

Auf der Suche nach Motivationen von Männern und Frauen, Selbstmordattentate zu verüben, bzw. beim Unternehmen, für ihr Handeln einen Erklärungsrahmen zu liefern, spielen Sexualisierungen insbesondere der primären AkteurInnen eine bedeutende Rolle – gehen in ihrer epistemologischen Wirkung über den Fokus auf Individuen jedoch weit hinaus. In ihnen verdichtet sich eine Dekontextualisierung und Essenzialisierung von Gewalt, die jenseits des Normalen, Rationalen und damit auch jenseits des Legitimierbaren verortet wird. Sie unterstützen im Effekt einer vermeintlichen Natürlichkeit ein Denken in hierarchisierten binären Oppositionen entlang der Achste ‚Orient/Okzident’ effizient und machen dieses umso schwerer angreifbar. Der zentrale Topos dabei ist der Entwurf eines orientalisierten, partikularisierten und dislozierten Patriarchats, das mit seinem rigiden heteronormativen Geschlechterregime auch Frauen zu GewalttäterInnen mache.

Mit den auf diesem Wege erfolgenden Praktiken der Unterteilung der Welt in abgegrenzte Einheiten, der Trennung relationaler Geschichten, der Umwandlung dieser Differenz in Hierarchie sowie der Naturalisierung dieser Repräsentationen (vgl. Coronil 2002) geht schließlich die Reproduktion existierender asymmetrischer Machtverhältnisse einher, an denen auch die Produktion und Distribution von wissenschaftlichem Wissen beteiligt ist. Geschlechterfragen und vermeintlich feministische Anliegen können in diese durchaus Eingang finden, wenn ‚Terrorismus’ ebenso wie ‚Geschlecht’ in einer spezifisch verkürzten Weise verwendet wird. Der Verzicht auf die analytische Tiefe eines weiten feministischen Gewaltbegriffs sowie auf das politische Potenzial einer damit verwobenen intersektionalen und interdependenten Analyse stellt dann allerdings keineswegs eine analytische oder gar eine politisch emanzipative Erweiterung dar – weder für die Terrorismusforschung noch für die Geschlechterforschung. Vielmehr verengt sich der Blick auf eine kulturalisierende und essenzialisierende Weise, die so manchen ‚Kollateralschaden’ zu verantworten hat: epistemisch und politisch.

Download

Den kompletten Vortrag "Wenn die Terrorismusforschung zum Feminismus konvertiert" samt Anmerkungen und Literaturangaben können Sie hier herunterladen [PDF].

Das Fachgespräch des Gunda-Werner-Instituts bot eine Einführung zur Frage, wie sich beim Thema Terrorismus Gender-Fragen aufwerfen lassen. Der Austausch mit Fachpublikum aus Politik, Wissenschaft und Medien fand in der Heinrich-Böll-Stiftung statt. mehr»