Videointerview: Tajana Broz von der Frauenorganisation CESI (Zentrum für Bildung, Beratung und Forschung)

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Kroatische Flagge im Wind
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Kroatische Flagge im Wind

Sprache im Video: englisch
Untertitel: deutsch
Länge. 12 Minuten 35 Sekunden

Transkript

Amir:      

  • Hallo, Tajana.

 

Tajana:  

  • Hallo, Amir.

 

Amir:      

  • Dieses Jahr feiern wir den 100. Geburtstag des Internationalen Frauentages. Kannst Du uns sagen, wie es dazu kam, dass CESI gerade am 8. März, dem Internationalen Frauentag, im Jahr 1997 gegründet wurde?

 

Tajana:  

  • Da CESI eine Frauenorganisation ist und die Mission hat, die Menschenrechte der Frauen zu fördern, war es ganz logisch, diesen Tag als Gründungstag zu nehmen und ihn dadurch auch besonders zu würdigen.

 

Amir:      

  • Was sind Deine persönlichen Erinnerungen an den Tag, als Du zum ersten Mal etwas vom 8. März hörtest, dem Internationalen Frauentag?

 

Tajana:  

  • Ich weiß nicht mehr, wann ich das erste Mal davon hörte, aber seit ich denken kann, brachte mein Vater Blumen nach Hause, für mich, meine Mutter und später auch für meine Schwester. Das ist das Erste, woran ich mich erinnern kann. Später, Mitte der Neunziger, war ich in einer Jugendorganisation und wir wollten den Internationalen Frauentag feiern, indem wir Frauen auf der Straße Rosen schenken, aber die meisten Frauen wollten die Rosen nicht annehmen. Einige sagten uns, das sei ein kommunistischer Feiertag, und sie wollten ihn nicht feiern, andere hatten einfach Angst, am 8. März mit Rosen gesehen zu werden.

 

Amir:       

  • Was denkst Du heutzutage, wenn Du über die Bedeutung des 8. März hier in Kroatien nachdenkst? Wie wird er hierzulande gefeiert, was unternimmt CESI in Zusammenhang damit?

 

Tajana:  

  • Ich glaube, dass er in den letzten Jahren zu einem Fest des Sexismus und der Verbrauchergesellschaft geworden ist. Die Rede ist ständig vom schwachen Geschlecht, vom schöneren Geschlecht, die Frauen werden aufgefordert, sich Naschereien zu gönnen, die Männer sollen ihren Frauen Unterwäsche schenken. Es geht überhaupt nicht um die Menschenrechte der Frauen, um Themen, für die der Tag eingeführt wurde. Es geht nur ums Kaufen und die Weitergabe von Klischees, die schon von früher bestehen. Die Frauenorganisationen und CESI versuchen natürlich am 8. März, eindrucksvolle, sinnvolle Dinge vorzutragen. Ich hoffe sehr, dass wir damit Erfolg haben werden, aber die Medien sind so voll von dem anderen Zeug, dass der Grund, warum wir den 8. März begehen, nicht wirklich bis zu den Bürgern durchdringt. 2009, vor zwei Jahren hatten wir am 8. März Kommunalwahlen in Kroatien, und wir führten eine Kampagne durch, um die politischen Parteien davon zu überzeugen, dass sie mehr Frauen auf ihre Wahllisten setzen sollten, es sollten 40 Prozent sein. Und da haben wir kleine Pakete vorbereitet – denn die Parteispitzen sagen immer, sie könnten nicht genug Frauen finden für die Listen, sie könnten sie nicht sehen – und in die Pakete haben wir „Geschlechtersehbrillen“ aus Papier, eine Kerze und eine Lupe gelegt, also Werkzeug, um die Frauen sehen zu können. Das war natürlich ironisch gemeint. Wir wollten sie zum Nachdenken bringen über diese Formulierung „Wir finden keine Frauen“. Wir haben etwa 100 Pakete in ganz Kroatien verschickt und - was mich vielleicht etwas traurig macht – nur einen wütenden Anruf bekommen, der uns wissen ließ, wir seien eine Schande für die kroatische Gesellschaft.

 

Amir:      

  • Du arbeitest für eine feministische Organisation. Betrachtest Du Dich selbst als Feministin?

 

Tajana:  

  • Ja.

 

Amir:      

  • Und was bedeutet es heute in Kroatien für Dich, eine Feministin zu sein?

 

Tajana:  

  • Ja, ich bin eine Feministin. Obwohl, wenn ich das sage, mir die Leute manchmal antworten: Nein, Du bist keine Feministin. Ich weiß nicht recht, warum sie das sagen, es heißt dann, Du siehst nicht aus wie eine Feministin, oder so etwas. Was es bedeutet, eine Feministin in Kroatien zu sein? Das weiß ich eigentlich nicht. Die Leute sind zunächst einmal entweder geschockt, wenn ich sage, ich sei eine Feministin, weil sie bestimmte Vorstellungen haben von Feministinnen, denen ich nicht entspreche. Oder sie lassen sich darüber aus, dass die Frauen gar nicht diskriminiert würden, es gäbe keinen Sexismus und keine Klischees. Dann geht automatisch die Diskussion los.

 

Amir:      

  • Eine Deiner Rollen ist auch die einer Mutter. Wie verbindest Du das, Mutter und Feministin zu sein, wie wirkt das auf die Menschen?

 

Tajana:  

  • Als ich schwanger war, habe ich auf eine neue Art erfahren, dass unsere Gesellschaft den weiblichen Körper für schwach und unzulänglich hält, und damit ging es nach der Geburt weiter, weil die Gesellschaft alles, was du als Frau tust, hinterfragt: Ernährst du das Kind richtig, produziert dein Körper ausreichend Muttermilch für das Kind, während der Schwangerschaft wirst du ständig betreut und untersucht, betatscht. Es ist wirklich nicht sehr angenehm. Insgesamt wird den Apparaten mehr Vertrauen geschenkt als dem weiblichen Körper. Obwohl das Hauptmantra ist: die Frau als Mutter, das ist die natürlichste Rolle. Aber im Grunde tun sie alles, was in ihrer Macht steht, dass die Frau an sich zweifelt. Es ist sehr mühsam. Meine Tochter ist noch sehr klein. Da ich ständig mit rosafarbenen Babysachen zu kämpfen habe, war noch keine Zeit, andere Dinge zu hinterfragen, aber die kommen sicherlich noch auf uns.

 

Amir:      

  • Kannst Du uns etwas über Deine Arbeit als Redakteurin des Web-Portals Libela über Gender, Geschlecht und Demokratie sagen?

 

Tajana:    

  • Libela begann als Projekt-Web „Frauen in den Wahlen“ 2007, da hatten wir Parlamentswahlen, als wir erkannten,  dass in den Mainstream-Medien nicht genug Raum ist für Politikerinnen, für Kandidatinnen. Wir starteten eine Web-Seite und präsentierten dort alle Kandidaten der größten politischen Parteien und auch die politischen Programme der Parteien für Frauen. Wir schrieben dann mehr und mehr, kommentierten und veröffentlichten Artikel über die Gesellschaft allgemein und politische Themen. Inzwischen gibt es „Libela“ seit zwei Jahren. Wir haben etwa 2000 Artikel veröffentlicht. Es gibt Leser, die uns täglich besuchen. Unsere Aussichten sind gut. Insbesondere in diesem Jahr, wo uns in Kroatien wieder Wahlen erwarten. Wir werden den Schwerpunkt mehr auf die Partizipation der Frauen im Wahlprozess legen. Wir verfolgen die Arbeit der Mainstream-Medien ständig und haben einen Pranger, an den wir einzelne Medien stellen, wenn sie Sexismus, Homophobie und Rassismus verbreiten. Wir halten es für sehr wichtig, so etwas öffentlichen zu benennen und  zu verurteilen.

 

Amir:      

  • Also arbeitet Ihr in erster Linie an der politischen Partizipation und Präsentation der Frauen in den Entscheidungsgremien und politischen Parteien. Wie steht es damit zurzeit in Kroatien?

 

Tajana:  

  • Die Situation ist in etwa dieselbe wie in den letzten zehn Jahren. Im nationalen Parlament sind die Frauen mit 20% vertreten. In den letzten Kommunalwahlen sind auch etwa 20 % Frauen in die kommunalen Vertretungen gekommen. Das ist auch das Problem, denn damit haben wir den europäischen Durchschnitt erreicht, und niemand ist wirklich besorgt wegen dieser 20 %. Wenn die EU damit leben kann, warum sollte Kroatien es nicht können? Der einzige Erfolg ist der, dass wir im Gleichstellungsgesetz doch eine Art Quote bekommen haben, die nach zwei weiteren Wahlzyklen zur Anwendung kommen wird. Das heißt, dass die politischen Parteien 40 % Frauen aufstellen sollten, aber wenn sie das nicht tun, gibt es keine Sanktionen. In zwölf Jahren wird es dann auch Strafen geben. In den letzten zehn Jahren haben wir allerdings keinen einzigen Schritt nach vorn gemacht. Im Parlament haben wir immer noch nur 20 % Frauen. Es gab einige Fortschritte auf der kommunalen Ebene, aber das ist immer noch sehr wenig.

 

Amir:      

  • Dein professionelles Interesse richtet sich auf die Teilhabe von Frauen in der Politik und in Entscheidungsgremien. Wie sieht in diesem Zusammenhang die Situation in Kroatien heute aus?

 

Tajana:  

  • Wir sind ständig in der Situation, dass wir etwas machen, Gesetze verabschieden, öffentliche Politiken beschließen, aber sie werden nie umgesetzt. Oder wenn wir etwas davon auch umsetzen, weil die Europäische Union das verlangt, setzen wir es nicht um, weil wir daran glauben. Aber die größte Herausforderung ist meiner Meinung nach wirklich das umzusetzen, was man sich vorgenommen hat.

 

Amir:       

  • Hast Du auch Einblicke in die Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zwischen den Ländern in der Region, was diese Dinge angeht?

 

Tajana:  

  • Da kann ich wieder über politische Partizipation sprechen, weil wir am Regionalprogramm „Women can do it“ (Frauen schaffen das) teilgenommen haben und auch viel Zeit mit unseren KollegInnen aus der Region verbracht haben. Es ist meist dasselbe überall: Es gibt eine Gesetzgebung mit besseren oder schlechteren Quoten. Auch weiterhin wird alles von den Klischees bestimmt.

 

 

Amir:      

  • Möchtest Du noch irgendetwas hinzufügen?

Tajana:  

  • Nein. Hast Du noch Fragen? (Lachen)

Amir:      

  • Ja. Welche praktischen Lösungen siehst Du? Was wird CESI in den nächsten Jahren unternehmen?

Tajana:  

  • Wir werden weiter machen mit dem, was wir bisher machten. Wir werden an der Frauenförderung arbeiten, sowohl politisch als auch ökonomisch. Wir machen viel zu geschlechtsbasierter Gewalt, besonders bei Jugendlichen, zur Prävention von geschlechtsbasierter Gewalt. Dieses Jahr nehmen wir die Arbeit mit sehbehinderten Frauen auf. Wir werden unser Leadership-Programm für sie anpassen, und darauf freue ich mich wirklich, weil behinderte Frauen sowohl als Frauen als auch als behinderte Menschen diskriminiert werden.

 

Amir:  

  • Was ist das „Woman`s Leadership-Programm“?

Tajana:  

  • Das Women´s Leadership-Programm wird seit, ich glaube, sieben Jahren von CESI durchgeführt. Jetzt sind über 100 Frauen in dem Programm. Und sie bilden dann mindestens 1000 Frauen, Kolleginnen, weiter. Es waren Frauen aus politischen Parteien, Gewerkschaften, NGOs. Es ist im Grunde ein Programm zur Frauenförderung. Die Evaluation zeigte, dass Frauen sich nach diesen Programmen besser befähigt, stärker, besser gebildet fühlten, um sich dann nach diesen Programmen auch leichter öffentlich und in der politischen Arena zu betätigen.

Amir:      

  • Schön. Vielen Dank und weiter so!

 

Tajana:    

  • Danke, Amir.

Über die Autoren:
Interviewte Person: Tajana Broz
Tajana Broz hat an der Zagreber Universität Politikwissenschaften studiert. Seit 2006 arbeitet sie im Center for Education, Counseling and Research – CESI (Zentrum für Bildung, Beratung und Forschung). Seit 2009 ist Tajana Herausgeberin des Internetportals Libela.org zu Gender, Geschlecht und Demokratie. Ihre wichtigsten Ziele sind das Empowerment von Frauen zur Stärkung ihrer politischen Partizipation, in der politischen Kommunikation und der Nutzung neuer Medien, darüber hinaus arbeitet sie in der Analyse und Lobby für Gender- und Gleichstellungspolitik. Tajana gab außerdem die Bildungsmaterialien (in kroatischer Sprache) "Rosa – Gleichstellung in lokalen Gemeinden“, "MIA – Junge und Aktive Frauen" und "Die beiden Seiten der Demokratie" heraus.

Interviewer: Amir Hodžić
Amir Hodžić ist Absolvent des Soziologiestudiums an der Zagreber Universität und hat einen Magisterabschluss für Gender and Culture Studies der Central European University in Budapest, Ungarn. Seit 14 Jahren ist Amir aktiv in der Forschung, Beratung, Bildung und sozialen Bewegung für Gender, Gleichstellung, sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte sowie LGBTTIQ. Amir arbeitet mit und für zahlreiche lokale, regionale und internationale Akteure. Mehr über Amir gibt es unter www.policy.hu/hodzic/.

Filmautor: Amir Hodžić.
Untertitel: Dalia Pintarić

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