Bitte beantworten sie folgende Frage: Wie intim ist Lesbisch-Sein auf einer Skala von eins bis zehn? Was wählen sie: Eine zwei, und damit eine geringe Intimitätsstufe, so wie beispielsweise die Frage nach ihrem Alter? Oder vielleicht eine neun, die gleiche Stufe wie sehr persönliche Erlebnisse, die nur besten Freundinnen erzählt werden? Ich selbst würde eine zwei wählen. Sehr viele Dinge empfinde ich als intimer, als die Frage, ob ich lesbisch bin. Bei einer neuen Kneipenbekanntschaft würde ich es nicht als erste Frage erwarten. Ich hätte aber auch nicht das Gefühl, man träte mir zu nahe, wenn im Laufe des Abends das Gespräch darauf käme.
„Die sexuellen Vorlieben der Spielerinnen gehen niemanden etwas an“
Viele sehen das anders. „Das ist der privateste Bereich, den es gibt“ sagt Steffi Jones, Präsidentin des WM-Organisationskomitees, im L-MAG-Interview auf die Frage, warum sich Spielerinnen mit einem Coming-out so schwer täten. Die sexuellen Vorlieben sollten nicht im Vordergrund stehen, wehren auch viele Fußballfans und Fußballmanager die Frage nach lesbischen Spielerinnen ab. Dennoch wird ab und an verschwiemelt vom Lesbenklischee im deutschen Frauenfußball gesprochen. So konfrontierte TV-Moderator Claus Lufen vor dem Spiel Deutschland gegen Nigeria Ex-Nationalspielerin Nia Künzer mit dem Statement: „Auch in Deutschland gibt es ja dieses Lesbenklischee ...“ Nia Künzer antwortete, dass die Spielerinnen nicht dafür da seien, Klischees zu bestätigen oder zu widerlegen, und zog sich damit aus der Affäre. Liebe Moderatoren und Moderatorinnen: Fragt doch konkret oder lasst es besser bleiben!
Aber selbst wenn man konkret werden möchte, wird man ausgebremst. Über Homosexualität darf in Interviews mit Spielerinnen höchstens abstrakt gesprochen werden. „Private“ Fragen sind tabu. Auch die Frage, wie viele Lesben im Nationalteam spielen, ist offensichtlich eine verbotene. Natürlich sollte niemand, egal ob Person des öffentlichen Lebens oder nicht, zu einem Coming-out gezwungen werden. Aber es lohnt sich, darüber nachzudenken, warum viele glauben, dass die Frage, ob homo oder nicht, so sehr die Intimsphäre von Menschen berührt.
Lesbisch-Sein: Wann wird aus „privat“ ein intimes Geheimnis?
„Das Private ist politisch“ hieß ein Slogan der Frauenbewegung. Damit war gemeint, dass die persönlichen Lebensverhältnisse von Menschen nicht automatisch einer privaten und damit apolitischen Sphäre zuzurechnen sind. Sondern dass gesellschaftliche Machtverhältnisse auch darauf Einfluss nehmen und dass es politischer Entscheidungen bedarf, sie zu verändern. Beim Thema Lesbisch-Sein muss noch genauer hingesehen werden: Was ist eigentlich privat? Und was ist zu intim, um erzählt zu werden?
Selbstverständlich können Menschen des öffentlichen Lebens entscheiden, dass sie möglichst wenig Privates über sich preisgeben wollen. Spannend wird es, wenn Privates zwar erzählt, die persönliche sexuelle Identität aber gleichzeitig tabuisiert wird. Als ob dieses spezielle Sujet die eigene Professionalität untergraben würde. Das sagt mehr über die eigene und die gesellschaftliche Wahrnehmung von lesbischen Frauen aus, als manch aufwendige Studie.
Privatleben oder nicht: Das ist hier nicht die Frage!
Der Schritt von „über Privates rede ich nicht“ bis zum verinnerlichten Selbsthass ist nicht groß. Denn was erfährt mein Gegenüber schon über mich, wenn ich sage, ich bin lesbisch? Er oder sie erfährt entgegen der landläufigen Meinung nichts darüber, was ich im Bett mache. Nichts darüber, ob ich polygam oder monogam lebe. Nichts darüber, mit wem ich zusammen bin oder ob ich überhaupt in einer Beziehung lebe.
Was mein Gegenüber erfährt, ist lediglich, dass ich mich erotisch von Frauen angezogen fühle. Dass ich mich in Frauen verliebe. Dass ich nicht als heterosexuell wahrgenommen werden will. Alles keine intimen oder peinlichen Geständnisse, oder? Wenn er oder sie sich bereits mit dem Thema beschäftigt hat, versteht mein Gegenüber auch, dass ich mit dem Blick einer diskriminierten Minderheit auf die Welt schaue. Dass ich einen Coming-out Prozess hinter mir habe, in dessen Verlauf ich mich selbst finden musste. Dass Lesbisch-Sein einen Teil meiner Identität ausmacht.
Ebenso wie die Tatsache, dass ich eine Frau bin. Eine weiße Deutsche. Eine in Berlin lebende Exilbayerin. Auch Fußballspielerinnen erzählen von ihrer Herkunft, ihren Erfolgen und Niederlagen, ihrer Sicht auf die Welt. Davon, ob ihre Eltern sie als Kind unterstützten oder nicht. Mit anderen Worten, sie erzählen von ihrem Privatleben. Und niemand findet es eine Zumutung, wenn sie nach ihren Hobbys gefragt werden.
Homosexualität ist demzufolge nicht privat. Sie ähnelt immer noch mehr einem peinlichen Kleidungsstück, das ganz hinten im Schrank versteckt wird, als einem geschätzten Teil der eigenen Persönlichkeit.