Die Verurteilung von Liberias Ex-Präsident Charles Taylor

Liberias Ex-Präsident Charles Taylor	erwartet das Urteil des Sondergerichtshof für Sierra Leone (SCSL).

PDF

Hintergrundartikel zur Veranstaltung "Expräsident Taylor verurteilt - ein Meilenstein gegen sexualisierte Kriegsverbrechen? 10 Jahre Internationaler Strafgerichtshof" vom 04.07.2012
 

Am 26. April 2012 wurde Charles Taylor, früherer Präsident von Liberia, vor dem Sondergericht für Sierra Leone in elf Anklagepunkten, darunter sexuelle Sklaverei und Vergewaltigung, schuldig gesprochen.[1] Taylor, auch ein ehemaliger Warlord, gilt als einer der Hauptverantwortlichen der im Bürgerkrieg von Sierra Leone[2] verübten Kriegsverbrechen. Durch Taylors Prominenz und die Tatsache, dass erstmals ein ehemaliger afrikanischer Staatspräsident verurteilt wurde, hat dieses letzte Urteil des SCSL besondere Aufmerksamkeit westlicher Medien auf sich gezogen. Aus feministischer Sicht erscheint das Urteil als Meilenstein der Internationalen Strafgerichtsbarkeit, weil erstmals ein früherer Präsident von einem Internationalen Strafgerichtshof wegen sexualisierter Kriegsverbrechen verurteilt wurde. Aus Sicherheitsgründen wurden die Verhandlungen über den Fall Taylor von Freetown nach Den Haag verlegt. Auch wird er anders als die Mitangeklagten nicht in Ruanda seine Haftstrafe verbüßen, sondern in London. Das Strafmaß wurde auf 50 Jahre festgesetzt und kommt angesichts Taylors Alter, damit einem lebenslänglich gleich.[3]

Im Folgenden wird der Sondergerichtshof zu Sierra Leone skizziert, seine Rolle in der Aburteilung sexualisierter Kriegsgewalt und das Urteil gegen Taylor.

Der Sondergerichtshof für Sierra Leone

Das Sondergericht für Sierra Leone ist ein sogenanntes Hybridgericht, das heißt es ist eine Mischform von internationaler und nationaler Gerichtsbarkeit. Es wurde als Special Court of Sierra Leone (SCSL) in Freetown, der Hauptstadt Sierra Leones, auf Basis eines völkerrechtlichen Vertrags gegründet, nachdem die Regierung Sierra Leones mit der „Bitte um Unterstützung bei der Schaffung eines Straftribunals“[4] an die Vereinten Nationen 2000 herangetreten war. Damit unterscheidet es sich von verschiedenen anderen Internationalen Tribunalen, die durch Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zustande kamen, wie z.B. die Internationalen Strafgerichte für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) und Ruanda (ICTR). Der Hybridcharakter des Gerichts zeigt sich auch darin, dass sowohl nationale als auch internationale Richter_innen vertreten waren. Dadurch bot es eine größere Chance, dass das Verfahren und die entsprechenden vorhergehenden Ermittlungen von den beteiligten Staaten unterstützt wurden, und eine größere Legitimität und Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung erfuhren. Finanziert wird der SCSL, anders als der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag, für den ein spezieller Fond innerhalb der Vereinten Nationen vorgesehen ist, durch freiwillige Spenden der Mitgliedsstaaten der UN. Der größte finanzielle Beitrag wurde von den USA und Großbritannien geleistet. Seine genaue Ausformung wird im Statut des SCSL[5] beschrieben, das gleichzeitig seine völkerrechtlichen Befugnisse festlegt.

Das Statut des Sondergerichts für Sierra Leone sieht vor, dass sexualisierte Gewalt unter den Paragrafen 2 als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und 3 - Verletzungen der Genfer Konventionen und seiner Zusatzprotokolle - verurteilt werden kann. Als sexualisierte Gewaltverbrechen werden namentlich aufgelistet: Vergewaltigung, sexualisierte Sklaverei, Zwangsprostitution, erzwungene Schwangerschaft und andere Formen sexueller Gewalt.

Internationale Strafgerichtsbarkeit und sexualisierte Kriegsgewalt

Das Romstatut aus dem Jahr 1998, das Gründungsdokument und Rechtsgrundlage des Internationalen Strafgerichtshof ist, kriminalisiert als erstes völkerrechtlich verbindliches Dokument sexualisierte Gewalt und Vergewaltigung als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Außerdem spricht es ein rechtliches Verbot von Gewaltverbrechen gegenüber Zivilist_innen aufgrund bestimmter Merkmale, darunter Geschlecht, aus. Wichtige Folgedokumente zu sexualisierter Kriegsgewalt und der anhaltenden Straflosigkeit gegenüber den Tätern,[6] sind die UN-Resolution 1325 (2000) und vor allem die UN-Resolution 1820 (2008)[7], die einen Diskurseinschnitt darstellt, weil sie Vergewaltigung als Kriegsmittel aufgreift.[8] Der Internationale Strafgerichtshof zielt mit Verurteilungen von sexualisierter Gewalt und Vergewaltigung auf eine abschreckende Wirkung und somit auf die zukünftige Verhinderung sexualisierte Kriegsgewalt ab.

Die Umsetzung juristischer Möglichkeiten zur Verurteilung sexualisierter Gewalt passiert jedoch aus feministischer Sicht noch nicht befriedigend in der internationalen juristischen Praxis. Zum Beispiel hat es der Sondergerichtshof für Sierra Leone nicht konsequent durchgesetzt, dass Vergewaltigung und sexualisierte Gewalt als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt und verurteilt wurden. Von dreizehn Angeklagten wurden sieben[9] wegen sexualisierten Gewaltverbrechen verurteilt. Dabei wurden nur die Täter der Rebellenparteien Revolutionary United Front (RUF) und Armed Forces Revolutionary Council (ARFC) zur Verantwortung gezogen. Die Angeklagten, die der Civilian Defense Force (CDF) angehörten, wurden wegen sexualisierten Gewaltverbrechen allerdings nicht zur Verantwortung gezogen. Zwar wurde auch ihnen Vergewaltigung vorgeworfen, doch das Gericht war nicht bereit, aussagende Frauen zu diesem Vorwurf sprechen zu lassen bzw. nachträglich Aussagen über Vergewaltigungen von Opfern wurden aus den Akten getilgt. Damit wird den drei Beschuldigten Fofana, Kondema und Norman, Straffreiheit gewährt für die ihnen vorgeworfenen sexualisierten Gewaltverbrechen.

Die Verurteilung Charles Taylors

Umso wichtiger war es, dass Charles Taylor als ranghoher Kriegsverbrecher für die Planung, Beihilfe und Unterstützung[10] von Vergewaltigung und sexueller Sklaverei verurteilt wurde. Mit diesem Schuldspruch ist das Taylor- Urteil ein Novum.

Die Frage, inwiefern das Taylor-Urteil tatsächlich richtungsweisend im Umgang der internationalen Strafgerichtsbarkeit mit sexualisierten Gewaltverbrechen sein kann, wird sich erst zeigen. Auch bleibt offen zu beurteilen, ob es Einfluss auf den Einsatz von Vergewaltigungen als Kriegsmittel haben kann. Diese und andere wichtige Fragen, sollen in der Veranstaltung des Gunda-Werner-Instituts zu „Expräsident Taylor verurteilt – ein Meilenstein gegen sexualisierte Kriegsverbrechen? 10 Jahre Internationaler Strafgerichtshof“ am 04.07.2012 erörtert werden.


Kurzer chronologischer Abriss

30.11.1996 - 18.01.2002

Anklageperiode (für Verbrechen, die in diesen Zeitraum begangen wurden, wird Charles Taylor angeklagt).

25.05.1997Die SL Armee putscht gemeinsam mit RUF und AFRC gegen Präsident Ahmad Tejan Kabbah; Charles Taylor unterstützt die Rebellen.02.08.1997 Charles Taylor lässt sich zum Präsident von Liberia wählen.04.06.2003Der Sondergerichtshof für Sierra Leone erhebt Anklage gegen Charles Taylor. Es wird ein internationaler Haftbefehl ausgestellt. Taylor ruft das Gericht an, den Haftbefehl aufzuheben.11.08.2003Charles Taylor geht ins Exil nach Nigeria.31.05.2004 Taylors Antrag auf Erlass des Haftbefehls wird abgelehnt.29.03.2006 Ellen Johnson Sirleaf, Präsidentin Liberias, verlangt die Auslieferung Taylors von Nigeria.03.04.2006

Nach seiner Auslieferung wird Taylor förmlich vor dem SCSL in Freetown angeklagt. Er plädiert auf Nicht-schuldig in allen elf Anklagepunkten.

20.06.2006 Aus Sicherheitsgründen wird Taylor nach Den Haag überstellt. 04.06.2007 - 27.02.2009 Zeitraum der Beweisführung für die Anklage (insgesamt werden 94 Zeug_innen befragt (drei verspätet im August 2009 und darunter drei Expert_innen) und 782 Beweisstücke vorgeführt). 13.07.2009 - 12.11.2010 Zeitraum der Beweisführung der Verteidigung (insgesamt werden 21 Zeug_innen befragt (darunter Charles Taylor) und 740 Beweisstücke vorgeführt). 11.03.2011 Die Beweisführung im Fall Taylor wird geschlossen. 26.04.2012 Das Urteil gegen Charles Taylor wird verkündet: er wird in allen elf Punkten der Anklage schuldig gesprochen. 19.06.2012 Das SCSL teilt mit, dass Charles Taylor in Berufung geht


Quellen:
Kendall, Sara, Michelle Staggs (2005).
„Silencing Sexual Violence: Recent Developments in the CDF Case at the Special Court for Sierra Leone.” http://socrates.berkeley.edu/~warcrime/Papers/Silencing_Sexual_Violence.pdf
Kondoch, Boris (2001). “Neueste Entwicklungen im Völkerstrafrecht aufgezeigt  am Beispiel Sierra Leone, Kambodscha und Ost-Timor” In S+F Nr 3/2001
Special Court of Sierra Leone: http://www.sc-sl.org


Fußnoten:
[1] Charles Taylor, der schon zu Beginn der Anklage auf nicht-schuldig plädiert hat, ist in Berufung gegangen. Somit ist das Urteil des die Verteidigung des SCSL vs. Charles Ghankay Taylor noch nicht rechtskräftig.
[2] Der Bürgerkrieg in Sierra Leone brach im März 1991 aus. Charles Taylor unterstützte die Revolutionary United Front RFU maßgeblich im bewaffneten Kampf gegen die Regierung Sierra Leones. Der für Taylors Urteil relevante Anklagezeitraum beschränkt sich auf den 30.11.1996 bis 18.01.2002. Nicht verhandelt wurden die Taylor in Liberia zur Last gelegten Verbrechen, sowie die Verbrechen  in Sierra Leone bis Ende 1996.
[3] Der Prozess befindet sich momentan in der Berufung. Das Urteil ist daher noch nicht rechtskräftig.
[4] Kondoch 2001, S.126
[5] http://www.sc-sl.org/LinkClick.aspx?fileticket=uClnd1MJeEw%3D&
[6]
Ich verzichte hier bewusst auf die geschlechtsneutrale Schreibweise der Täter_innen, weil der größte Anteil sexualisierter Kriegsgewalt von Personen mit männlicher Geschlechtsidentität begangen wird.
[7] Weitere UN-Resolutionen im Kampf gegen sexualisierte Kriegsverbrechen sind: 1888, 1889 und 1960.
[8] Bis dahin galt bzw. gilt fernab feministischer Konfliktforschung auch heute noch, Vergewaltigung als unglückliche, aber unvermeidbare Begleiterscheinung in gewaltförmigen Auseinandersetzungen. Dies verkennt die politischen Hintergründe und Interessen von sexualisierter Gewalt.
[9] Von den dreizehn Angeklagten wurden zehn verurteilt, da zwischenzeitlich die anderen vier starben.
[10] Wörtlich sprach ihn das Urteil für “planning and aiding and abetting the commission of rape and sexual slavery” schuldig.