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Mitten ins Herz: Boulevard als feministische Chance

Christiane Stürenberg (links) in einer Gesprächsrunde des JB-Medienlabors
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Christiane Stürenberg (links) in einer Gesprächsrunde des dritten JB-Medienlabors

Boulevard ist weiblich, feministisch sogar – mutige Thesen wurden da beim 3. Medienlabor des Journalistinnenbundes rausgehauen. Alle waren sich einig: Vom Urgestein des Boulevard-Journalismus Eva Kohlrusch bis zur jüngsten in der Runde, Juliane Leopold, Chefin von BuzzFeed-Deutschland: Boulevard ist der Journalismus der Stunde. Er hat es verdient, aus der I-Bäh-Ecke heraus zu kommen. Boulevard trifft mitten ins Herz.

Zu viel Monströses, zu viel Intimes, zu viele Katastrophen. Unterschichtenfernsehen, Bildzeitungsniveau: es gibt verächtliche Dinge über den kreischigen Boulevard zu sagen. Trotzdem schreitet die Boulevardisierung der Medien voran. Anlass für den Journalistinnenbund, zu einer medienpolitischen Debatte in Berlin einzuladen. Die Chefredakteurin der taz, Ines Pohl, öffnete für das JB-Medienlabor ihr Haus.

Wer verkürzt, hat länger drüber nachgedacht

Eva Kohlrusch, 1984 als erste Frau in die Chefredaktion der Bildzeitung berufen und nach acht Jahren zur Bunten gewechselt, hat immer wieder Anfeindungen für ihre angeblich niveaulose Schreibkunst ausgestanden. Sie nutzt ihren Vortrag für eine Liebeserklärung. Boulevard, so wie sie ihn betreibt, seien „Gefühlsmassagen“. Schnell erfassbare Inhalte in verständlicher Sprache. Das ist Arbeit: „Wer verkürzt, hat länger darüber nachgedacht“. Boulevard sei unentbehrlich, weder cool noch distanziert, aber meinungsstark und vor allem: Er wird gelesen. „Manches kommt eben erst an, wenn die Menschen zum Lachen oder Weinen gezwungen werden“.

„Haben wir ein Opfer?“ kolportiert Christiane Stürenberg von Focus TV typische Themendiskussionen bei Redaktionskonferenzen. Nur über Betroffene transportiert sich im Fernsehen Inhalt. Das gilt nicht nur fürs verfemte Privatfernsehen, das ist Realität für das Fernsehgeschäft, privat wie öffentlich-rechtlich. FernsehjournalistInnen sind Menschenfischer, immer auf der Suche nach Protagonisten: „Am besten, sie weinen“. Doch das alleine reicht nicht im täglichen Kampf um die Zuschauerquote. Je näher dran, je persönlicher, umso besser. Krieg in einem fernen, unbekannten Land ist zu weit weg. Ein Focus-TV-Beitrag über Frauen an der Waffe im Kampf gegen die IS war ein Flop, sagt Redaktionsleiterin Stürenberg. Sie bedauert es: „Wie sollen wir ernste Inhalte an die Zuschauer bringen?“

Eine Erfahrung, die auch BuzzFeed Deutschland gemacht hat. „Kobane lief ganz schlecht“, berichtet Juliane Leopold. Vermutlich, weil bei diesem Spaßmedium keiner das Leid von kriegerischen Auseinandersetzungen erwartet. Es war ein Test, BuzzFeed muss die Sparte nicht bedienen, es gibt genügend Nachrichtendienste im Internet. Positive Inhalte, die ein „gutes Gefühl“ vermitteln, bringen dagegen Klicks in Millionenhöhe, sagt Leopold. Bildstarke kurze Geschichten, witzig getextet. Der Zwei-Minuten Konsum für zwischendurch.

Seit kurzem ist das Online-Medium mit einer vierköpfigen deutschen Redaktion am Start. Seine Chefin wartet mit einer überraschenden Behauptung auf: „Es gibt kein feministischeres Boulevard-Medium als BuzzFeed.“ Als Beispiel führt sie ein Posting der vergangenen Woche auf: Trendthema Chips für den Mädelsabend vs Chips für den Männerabend. „Wir machen uns über gegenderte Produkte lustig, aber nicht über die Leute, die so etwas nutzen.“ BuzzFeed als Zeitgeist-Medium mit einem jungen, eher akademischen Publikum tut gut daran, sich nicht in frauenfeindlichen Eskapaden zu verlieren. Manches etablierte Printmedium setzt dagegen nach wie vor auf Kolumnen mit Herrenwitz-Niveau.

Feminismus im Boulevard

Der Boulevard von heute ist nicht mehr automatisch mit Frauenfeindlichkeit gleichzusetzen. Dazu arbeiten in diesem Bereich zu viele Frauen, auch und gerade in Positionen mit Entscheidungsbefugnis. Marion Horn kam vor über 20 Jahren zu Springer: „Ich wollte sehen, wie die im Boulevard ticken“. Sie sah sie sich einer reinen Männerriege gegenüber. Heute, von vielen Auseinandersetzungen gestählt und mit deutlich mehr Frauen in den Redaktionen, lotet die Chefin der Bild am Sonntag gerade neue Möglichkeiten des Boulevard aus: Menschelnde Themen, die dicht an der Lebensrealität sind, die weder verächtlich noch herunterputzend sind. Die Titelgeschichte über die „neuen Väter“ vom ersten Novemberwochenende wurde zunächst von der Chefetage verlacht, brachte dann aber Rekordverkaufszahlen am Kiosk und die männlichen Kritiker zum Schweigen.

Qualitätsjournalismus sollte sich nicht so sehr am Geschmack einer elitären Bildungselite orientieren, so die Erkenntnis nach der Debatte im JB-Medienlabor. Der Boulevard – und seine Macherinnen – haben Respekt verdient. Erst recht, wenn sie Geschlechterstereotype mit seinen Mitteln aufbrechen. Emotional anrührende Geschichten mit einer klaren, verständlichen Sprache haben die Chance, viele Menschen zu erreichen und in Köpfen und Herzen etwas zu bewegen. Eva Kohlrusch ist nach über 50 Jahren im Boulevard überzeugt: „Ich habe viele Aha-Erlebnisse angestoßen“.

Während des Medienlabors wurde zahlreich mit dem Hashtag #jbMedienlabor getwittert.
Zitate und Kommentare sind auch hier ohne eigenen Twitteraccount nachzulesen.

JB-Medienlabor zum Sehen und Hören:

  • Die Video-Aufzeichnung bei YouTube
  • JB-Medienlabor im Radio:JB-Kollegin Henriette Wrege berichtete im Zeitpunkte Magazin auf rbb Kulturradio am Sonntag, 23.11.2014,17.04 Uhr. 
  • Medienjournalistin Vera Linß berichtete unter anderem im rbb-Medienmagazin auf radioeins am Samstag, 22.11.2014, 18.04 Uhr.
  • Auch im Bayerischen Rundfunk, im B5 Medienmagazin, gab es am Sonntag den 23.11. um 14.05 Uhr einen Bericht.

Die Veranstaltungsreihe "Medienlabor" ist eine Kooperation zwischen dem Gunda-Werner-Institut und dem Journalistinnenbund.

Mitschnitte der Veranstaltung

Vorträge:

Die Boulevardisierung der Medien und die Verantwortung der JournalistInnen 1/2 - Heinrich-Böll-Stiftung

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Prof.in Dr. Elisabeth Klaus (Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Paris-Lodron-Universität Salzburg, Leiterin der Abteilung „Kommunikationstheorien und Öffentlichkeiten“)
Dr. Hans-Jürgen Arlt (Publizist und Kommunikationswissenschaftler, ehemaliger Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des DGB, Honorarprofessor an der Universität der Künste Berlin)
Eva Kohlrusch (Kolumnistin, ehemalige Vorsitzende Journalistinnenbund)

Moderation: Dr. Sibylle Plogstedt
 


Podium und Gesprächsgruppen

Die Boulevardisierung der Medien und die Verantwortung der JournalistInnen 2/2 - Heinrich-Böll-Stiftung

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Marion Horn (Chefredakteurin „Bild am Sonntag“)
Christiane Stürenberg (Redaktionsleiterin „Focus TV“)
Juliane Leopold (Chefredakteurin „Buzzfeed“)
Ines Pohl (Chefredakteurin „TAZ“)

Moderation: Helga Kirchner (hemalige Chefredakteurin des WDR-Hörfunks)
Bilder der Veranstaltung