Gewaltvolle Kommunikation im Internet widerfährt vielen Nutzer_innen. Für viele ist sie der Standard, die Defaulteinstellung sozusagen. Besonders wer sich queer-feministisch, anti-rassistisch und emanzipatorisch äußert, muss mit Angriffen rechnen. Strategien, um damit umzugehen, sind unterschiedlich und zahlreich. Von ignorieren, über Versuche der Regulierung innerhalb der Community (sofern diese vorhanden), bis hin zur Erstattung einer Anzeige.
Das Gunda-Werner-Institut beschäftigt sich im Rahmen der AG Feministische Netzpolitiken seit längerer Zeit mit Strategien gegen gewaltvolle Online-Kommunikation und hat in diesem Zusammenhang einen ersten öffentlichen Debattenaufschlag in Kooperation mit Publixphere organisiert. Rund um die Frage, ob neue Gesetze notwendig sind, um gewaltvolle Online-Kommunikation zu regulieren und zu sanktionieren, diskutierten Dagmar Freudenberg (Vorsitzende der Kommission Strafrecht des Deutschen Juristinnenbundes), Katja Keul (MdB Bündnis 90/Die Grünen, Sprecherin für Rechtspolitik), Charlott Schönwetter (feministische Aktivistin und Bloggerin der Mädchenmannschaft) und Julian Jostmeier (Community-Vertreter Publixphere).
Ein Schwerpunkt der Debatte sollte auf der Spezifik von genderbasierter Gewalt im Internet liegen. Im Internet bewegen wir uns zwar in den gleichen Macht- und Herrschaftsstrukturen wie sie analog vorherrschen, medienspezifische Gegebenheiten stellen aber Herausforderungen im Umgang mit ihnen dar. In diesem Sinne ist Gewalt gegen Frauen, Trans* und Inter* im Internet eine weitere, aber medial sich unterscheidende Möglichkeit, patriarchale Gefüge zu bewahren.
Cyber-Beleidigung als neuer Straftatbestand
Die Debatte machte deutlich, dass es zwar möglich ist die Problemstellung singulär anzugehen (Rechtsberatung, Anzeige), aber nicht individualisiert diskutiert werden kann. Die von Dagmar Freudenberg geforderte Gesetzesverschärfung, die – da der aktuelle Paragraph zur Beleidigung im Strafgesetzbuch (§ 185 STGB) ihrer Meinung nach nicht ausreicht – einen neuen Straftatbestand „Cyber-Beleidigung“ zur Folge hätte, würde bedeuten, die verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung (VDS) erneut diskutieren zu müssen Ein Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung stünde automatisch erneut zur Diskussion.
Katja Keul, ebenfalls Juristin, sieht dagegen keinen Nachbesserungsbedarf im Strafgesetzbuch. Stattdessen warnt sie vor zu schnellen und unausgereiften Gesetzen und fordert eine gesellschaftliche Debatte zum Thema. Diese könnte dann ggf. in ein Gesetz münden. Sie warnt eindringlich davor, den erprobten Prozess umzukehren und ein Gesetz vor der gesellschaftlichen Debatte zu erpressen. Für Charlott Schönwetter ist es ebenfalls nicht mit einem Gesetz getan, denn die Strukturen, in denen diese Gesetze geschaffen werden und zur Anwendung kommen, sieht sie an sich schon als rassistisch und sexistisch an. Die Frage, wer Online-Gewalt überhaupt zur Anzeige bringen kann und wer vor Gericht gehört wird, muss immer wieder gestellt werden. Auch darauf muss Gesellschaft eine Antwort finden.
Anonymität als Vorwand
Die Frage nach der Anonymität sowohl von Täter_innen als auch Betroffenen, auch im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung, kam während der gesamten Diskussion immer wieder auf. Julian Jostmeier stellte ein Modell mit einer eindeutigen Identifikationsnummer vor. Nutzer_innen müssten diese dann immer bei der Einrichtung eines Online-Profils angeben und könnten dann dennoch unter Pseudonym im Netz surfen. Behörden könnten so einfacher auf Klarnamen von Beschuldigten zurückgreifen. Süd-Korea hat dieses Modell, so Jostmeier, getestet, bis der Verfassungsgerichtshof das entsprechende Gesetz kippte. Zudem plädierte er für eine Stärkung der Medienkompetenz: Menschen müssen sich vergegenwärtigen, dass sie mit real existierenden Menschen kommunizieren, wenn sie beleidigen und Gewalt androhen. Hinter dem Computer sitzt kein gesichts- und körperloser Avatar. Charlott Schönwetter hält dagegen, dass genderbasierte und/oder rassistische Gewalt oft in vollem Bewusstsein und mit dem Vorsatz ausgeübt wird, reale Personen zu treffen und zu verletzen.
Sensibilisierung und gesellschaftliche Debatte
Medienkompetenz und eine Sensibilisierung für das Thema Gewalt im Netz mit allen intersektionalen Verwobenheiten ist für die Behörden und Beratungseinrichtungen notwendig. Darin waren sich alle Teilnehmer_innen einig. Wichtig jedoch ist auch eine gesellschaftliche und vor allem politische Debatte, die sowohl die Ursachen von gewaltvoller Kommunikation im Netz in den Blick nimmt als auch Handlungsoptionen entwickelt. Die Politik hat schon zu lange geschlafen und verpasst, sich dem Internet nicht nur als einem ökonomischen Faktor anzunehmen, sondern einem Austragungsort menschenverachtender Diskriminierung und Gewalt.
Mitschnitt der Veranstaltung
Fotos der Veranstaltung