Der lange Weg aus der Unsichtbarkeit

"Kiss-In" zum Welttag gegen Homophobie, Paris 2008
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"Kiss-In" zum Welttag gegen Homophobie, Paris 2008

In Georgien und Serbien erfahren Aktivist/innen gegen Homophobie massive Gewalt, Demonstrationen werden abgesagt. Die serbische Aktivistin Lepa Mlađenović berichtet von ihrer Arbeit und zieht einen Vergleich.

Der 17. Mai, der Internationale Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie, ist der Tag im Jahr, an dem die georgische LGBTI-Community auf die Situation von Menschen abseits der Heteronormativität im Land aufmerksam macht. 2015 wurden, nach massiver Gewalt und der Absage öffentlicher Aktionen in den Jahren zuvor, kleinere Aktionen im Stadtgebiet von Tbilissi erlaubt. Sie wurden allerdings nur von einem kleinen Kreis von Aktivist/innen ausgeführt, nicht öffentlich bekannt gegeben und wurden von einem massiven Polizeiaufgebot geschützt.

2012 und 2013 war es jeweils zu erschreckenden Gewaltausbrüchen gekommen, als sich Aktivist/innen auf die Straße trauten, um gegen die in der georgischen Gesellschaft weit verbreitete Homophobie zu protestieren. Die erste öffentliche Demonstration am 17. Mai 2012 endete schon nach wenigen hundert Metern in einer Blockade. Organisiert wurde diese maßgeblich von der "Union orthodoxer Eltern", einer ultraorthodoxen homophoben Gruppe, der sich bei der Aktion auch einige orthodoxe Priester anschlossen. Die Polizei schritt erst ein, als es zu Schlägereien kam. Es gab fünf Festnahmen, drei Festgenommene waren Teilnehmer/innen der angemeldeten Demonstration, die aber noch am selben Tag wieder freikamen. Eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte war inzwischen erfolgreich: Dieser sprach am 12. Mai dieses Jahres sein Urteil. Die Polizei habe die Demonstrant/innen nicht ausreichend vor den Gegendemonstrante/innen geschützt.

2013 sollten sowohl Priester als auch die "orthodoxen Eltern" wieder in Erscheinung treten. Diesmal blieb es nicht bei Blockaden: Den Aktivist/innen schlug eine Welle der Gewalt entgegen, die Innenstadt von Tbilissi verwandelte sich in ein Schlachtfeld. Einem paar Dutzend Anti-Homophobie-Demonstranten stand ein bis zu 20.000 Menschen zählender Mob entgegen. Die Polizei verhinderte das Aufeinandertreffen beider Gruppen nicht, sondern sah ihre Aufgabe eher darin, die Aktivist/innen zu evakuieren, sie wieder unsichtbar zu machen.

Trotzdem wurden bis zu 28 Menschen verletzt, für die Hälfte davon hatte dies einen Krankenhausaufenthalt zur Folge. Das Internet ist voller Fotos und Videos, die die Dimensionen der Gegendemonstration und auch die Rolle der Orthodoxen darin dokumentieren: Erschreckend ist zu sehen, wie die Masse die Straßen flutet und Busse umringt, in denen die Aktivist/innen evakuiert werden sollen, und deren Scheiben einschlägt. Oder wie Priester teilweise ganz vorne stehen und die Demonstrienden anschreien. Bis heute wurde niemand für die Eskalation juristisch verantwortlich gemacht.

Am Schauplatz der Gewalt

2014 verzichtete die Community auf eine öffentliche Demonstration. Lediglich in Form von aufgereihten Schuhen wurde symbolisch für die Rechte der Unsichtbaren demonstriert, die sich wegen des Drucks der Orthodoxen nicht in der Öffentlichkeit zeigen konnten. Der Patriarch wiederum erklärte den 17. Mai zum "Tag der Familie": Von nun an sollten Kinder mit Luftballons und Eiscreme in der Hand den Tag bestimmen, keine gleichgeschlechtlichen Paare mit Regenbogenfahnen.

Auch dieses Jahr war die Angst vor Übergriffen groß, weshalb man wieder, trotz langwieriger Abstimmungsverfahren mit dem Innenministerium, auf eine öffentlich angekündigte Aktion verzichtete. Stattdessen gab es drei kleinere Manifestationen, die nur wenige Stunden vorher in engen Aktivist/innen-Kreisen bekannt gegeben wurden. Unter massivem Polizeischutz demonstrierten jeweils eine Viertelstunde ein bis zwei Dutzend Menschen vor der UN-Vertretung, dem Justizministerium und im Stadtzentrum, am Schauplatz der Gewalt 2013.

Sie erinnerten unter anderem an das Urteil des Europäischen Menschengerichtshofs zu den Vorfällen 2012 und forderten die aktive Anwendung des georgischen Strafrechts, das Vorurteile als Motiv bei einer Straftat als erschwerenden Umstand ansieht. Übergriffe gab es in diesem Jahr keine. Im Vorfeld hatten sich mehrere Einzelpersonen sowie nationale und internationale Institutionen und NGOs, auch das Regionalbüro der Heinrich-Böll-Stiftung, mit der LGBTI-Community solidarisiert, indem sie sich in ihren jeweiligen Straßen mit Regenbogenfahne und dem Spruch "This street is taken" fotografieren ließen und die Fotos im Internet veröffentlichten. Der Slogan soll auf die Übernahme der Straße durch die orthodoxe Kirche und ihren Familientag anspielen und zeigen, dass Menschen in der ganzen Stadt keine Angst haben, die AktivistInnen offen zu unterstützen und somit ihrer Unsichtbarkeit entgegenzuwirken.

Mlađenović: „Es geht Schritt für Schritt voran“

Lepa Mlađenović hält ihren Vortrag zu 25 Jahren Aktivismus gegen Homophobie und Transphobie am 21. Mai, vier Tage nach dem Aktionstag. Viele Besucher/innen kommen aus der georgischen AktivistInnenszene, haben  noch frische Eindrücke im Kopf und brennende Fragen auf der Zunge. Die Anne-Klein-Preisträgerin erzählt von ihrem feministischen Engagement im Jugoslawien der späten 70er und  80er Jahre, von ihrem Einsatz gegen den Krieg und für Frauen, die Opfer von Gewalt wurden in den 90er Jahren und vom Aufstieg der LGBTI-Bewegung später.

Mlađenović, die eine starke und optimistische Grundhaltung ausstrahlt und sich selbst als "Happy Lesbian" bezeichnet, berichtet davon, wie schwer es für sie in den 90er Jahren war, ihre lesbische Identität, gesellschaftlich geächtet und moralisch auf der untersten Stufe angesiedelt, mit ihrer Identität als Kriegsopferhelferin zu verbinden, einer moralisch höchst angesehenen Tätigkeit. Sie habe lange gebraucht, um die gesellschaftlich konstruierte Verbindung von "lesbisch" und "schmutzig" zu überwinden und ein positives lesbisches Selbstbild aufzubauen, das sie nun weiterträgt.

Als im Jahr 2000 dann die Demokratisierung Serbiens einsetzte, gewann die LGBTI-Bewegung an Selbstbewusstsein. Die erste Pride Parade fand 2001 statt und wird aufgrund der gewalttätigen Gegendemonstrationen laut Mlađenović auch "Massaker-Parade" genannt. Erst 2010 gab es wieder eine Parade, dieses mal lieferte sich der Mob aus wütenden Männern Straßenschlachten mit der Polizei, die die Aktivist/innen abschirmte. Nachdem die Parade in den darauffolgenden drei Jahren aus Sicherheitsgründen verboten wurde, verlief sie 2014 ohne Zwischenfälle. Auffällig sind die Parallelen zu Georgien, nicht nur was die Gewaltbereitschaft der Gegendemonstranten und deren Unterstützung durch ultraorthodoxe und ultranationalistische Gruppen angeht, sondern auch in Bezug auf deren Argumentation: Homosexualität sei ein Trend, der aus dem Westen komme, etwas, zu dem man sich aktiv entscheiden würde. Eigentlich gebe es so etwas in Serbien beziehungsweise Georgien gar nicht. Genauso wie in Georgien organisierte die orthodoxe Kirche auch in Serbien 2009 und 2010 sogenannte "Familientage", doch inzwischen gibt es diese laut Mlađenović nicht mehr.

Kleine Veränderungen

"Es geht Schritt für Schritt voran", sagt sie. Die Bewegung habe sehr viel erreicht in Serbien, doch es bleibe noch viel zu tun. 25 Jahre seien eine sehr kurze Zeitspanne verglichen mit der Jahrtausende währenden patriarchalen Tradition unserer Gesellschaften. Den georgischen Aktivist/innen macht sie Mut: Die Gesellschaften werden sich verändern. Einerseits wegen des Drucks, den Europa in Menschenrechtsfragen ausübt, andererseits schlicht weil sich die Welt in diesen Belangen positiv verändert. Zudem hätte die "Massaker-Parade" von 2001, so schlimm sie auch war, aufgrund der Ausschreitungen das ganze Land erreicht und damit viele Menschen überhaupt mit dem Fakt konfrontiert, dass es homo- und transsexuelle Menschen in Serbien gibt. Ähnliches könne man wahrscheinlich auch von der Demonstration am 17. Mai 2013 in Tbilissi sagen. Es werde nicht mehr so einfach sein, homo- und transsexuelle Menschen einfach unsichtbar zu machen und ihre Existenz zu verdrängen.

Die Parallelen zwischen der Geschichte des Kampfes gegen Homophobie und Transphobie in Serbien und Georgien und die positive Tendenz in Serbien lässt die georgischen Veranstaltungsteilnehmer/innen hoffen. Sie haben viele Fragen, zum Beispiel zum Umgang mit dem Erlebten auf Veranstaltungen, die in Gewalt umschlugen und der daraus resultierenden Angst. Lepa Mlađenović sagt, es sei wichtig, die Angst zuzulassen und sich nicht dazu zu zwingen, an Aktionen teilzunehmen, wenn man sich vor Gewalt fürchte. "Wir müssen die Angst als einen Teil von uns respektieren." Alle Menschen seien verschieden, manche seien mutiger, manche ängstlicher.

Wichtig sei vor allem, sich gegenseitig zuzuhören und sich gegenseitig zu unterstützen. Dies sei auch eine der beiden Strategien die sie in Serbien verfolge: die "interne Arbeit", die Arbeit am Emotionalen, das gegenseitige Aufbauen und Stärken des Selbstbewusstseins. Die "externe Arbeit" wiederum beinhalte den Gang in die Öffentlichkeit und das Einfordern von Rechten bei politischen und juristischen Institutionen. Wichtig sei im Übrigen die Erkenntnis, dass die LGBTI-Bewegung für die Politik nicht so wichtig sei -  hinter einem "ja" oder einem "nein" zu einer Veranstaltung stünden oft andere Interessen, zum Beispiel der Druck vonseiten der EU oder auch Machtspiele zwischen Regierung und Kirche.

Die georgische LGBTI-Bewegung kämpft auch mit innerer Zerstrittenheit zwischen verschiedenen Aktivist/innen-Gruppen sowie um die Anerkennung und Unterstützung durch andere Menschenrechtsgruppen im Land, wie beispielsweise Frauengruppen. Laut Mlađenović ist dies ein allgemeines Phänomen und komme auch in Serbien leider oft vor. Doch die Solidarität in und zwischen Menschenrechtsgruppen sei sehr wichtig. Deshalb müsse man die Probleme der Bewegung überall ansprechen. Viele Aktivist/innen seien ja nicht nur in LGBTI-Gruppen aktiv, sondern auch in Gruppen, die sich mit anderen gesellschaftlichen Problemen beschäftigen. Dort müsse man überall auf die Lage von Menschen abseits der Heteronormativität aufmerksam machen, ein Bewusstsein schaffen, um Solidarität aufzubauen. Miteinander reden und einander zuhören sei das Wichtigste, sagt Mlađenović. Nur so ensteht ein Bewusstsein füreinander und Solidarität untereinander.

 

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