Mitten im politischen Trans*-Herbst

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"Nimm nichts an" - Geschlechtszugehörigkeit sollte der Selbstdefinition unterliegen

Der Transgender Day of Remembrance steht vor der Tür. Ein aktueller Nachrichtenüberblick zeigt, was trans*politisch auf der Agenda steht.

Internationaler Aktionstag für Trans*-Entpathologisierung

Mit über 200 Aktionen in 45 Städten in verschiedenen Regionen weltweit haben trans* Menschen und Unterstützer*innen rund um den Internationalen Aktionstag für Trans*-Entpathologisierung am 22. Oktober öffentlich für ein Ende der Pathologisierung von trans* Menschen geworben. Unter dem Motto „Stop Pathologizing Gender and Bodily Diversity” veranstalteten Vereine und Gruppen auf allen Kontinenten Aktionen - z.B. auf der jährlichen Konferenz von ILGA Europe, in Nikosia/Zypern. Ziel der Kampagne ist es, kritisch die Revision der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD) der Weltgesundheitsorganisation zu begleiten. Die ICD-11 wird in 2018 erwartet, und trans* soziale Bewegungen weltweit werben für eine Entfernung der trans-spezifischen Kategorien aus dem Kapitel „Psychische und Verhaltensstörungen". Die in einer Beta-Version des geplanten ICD-11 vorgesehene trans*-spezifische Kategorie im Kapitel der „sexuellen gesundheitlichen Bedingungen“ stößt bei trans* Expert*innen weitgehend auf Zustimmung. International kritisieren trans* Initiativen wie die STP-Kampagne aber den Plan einer diagnostischen Klassifikation der Geschlechtervielfalt in der Kindheit, für die eine „Geschlechtsinkongruenz“-Diagnose vorgesehen ist.

Frankreich verabschiedet überfälliges Trans*-Gesetz mit Verbesserungsbedarf

Das französische Parlament hat am 12. Oktober ein Gesetz verabschiedet, das trans* Menschen erstmals ermöglicht, ohne erzwungene Sterilisation und ohne Nachweis von medizinischer Behandlung ihren Geschlechtseintrag anzupassen. Ohne Kritik bleibt das Gesetz dennoch nicht, denn weder ist es für minderjährige trans* Menschen zugänglich, noch zählt alleine die Selbstdefinition der Person als Grundlage für die Anerkennung des neuen Geschlechtseintrags. Stattdessen muss der antragstellende trans* Mensch eine Beweiskette vorlegen, um die nicht stimmige Geschlechtszugehörigkeit nachzuweisen.

Dabei hatte schon zu Anfang der 1990er Jahre der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Frankreich ermahnt, sein Prozedere zur rechtlichen Geschlechtsangleichung menschenrechtskonform zu machen – was erst jetzt, nach einem Vierteljahrhundert, zum Gesetzesentwurf geführt hat, der jedoch auch im europäischen Vergleich längst kein Meilenstein mehr ist. Julia Ehrt, Geschäftsführerin von Transgender Europe (TGEU), dem europäischen Dachverband von trans* Organisationen: „Trans* Menschen haben jeden Grund, mit diesem Gesetz nicht zufrieden zu sein“, denn es bleibt hinter vorbildlichen Gesetzen aus den vergangenen Jahren, wie etwa dem argentinischen Geschlechtsidentitätsgesetz zurück, das seit 2012 das weitreichendste Vorbild für menschenrechtskonforme Trans*-Gesetzgebungen ist.

Gedenken an trans* Frauen in Mexiko

Im Gedenken an vier trans* Frauen, die allein seit Ende September in verschiedenen Regionen des Landes ermordet worden sind, und weitere Opfer trans*feindlicher Gewalt haben am 19. Oktober Aktive des TransFormations – Trans Film Festival Berlin zu einem Gedenken am Brandenburger Tor eingeladen: in Erinnerung an Paola Ledezma, Itzel Durán Castellanos, Alessa Flores und eine nicht namentlich genannte Frau. Über alle Taten hat das mexikanische Centro de Apoyo a las Identidades Trans (CAIT) berichtet, und in diesem Monat verschiedene mexikanische Nichtregierungsorganisationen und Behörden an einen Tisch gebracht, um die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen und Gewalt nicht unerwidert zu lassen - mit dem kurzfristigen Ergebnis, das zumindest in Mexiko-Stadt ab sofort ein auf zwei Jahre begrenztes Projekt in Kraft tritt, das trans* Menschen begleiten und unterstützen soll. In Mexiko sind allein zwischen 2008 und 2015 rund 230 Morde an trans* Menschen bekannt geworden.

Trans* in Frauen-/lesbischen Räumen

Wie steht es um die Öffnung von Frauen*räumen und lesbischen Räumen für trans* Menschen? Zu diesem Thema veranstalten TransInterQueer e.V. und das Schwule Museum* in Berlin am 6. November einen Talk mit Gästen. Eingeladen ist z.B. die Lesbenberatung Berlin, die sich in den vergangenen Jahren zu einer verlässlichen Verbündeten von trans* Menschen entwickelt hat, und Wildwasser Berlin. Ebenso dabei ist das Schwule Museum* selbst, das soeben erst die Ausstellung „millionaires can be trans* // you are so brave“ beendet hat, nachdem es bereits im Jahr 2012 die Ausstellung „trans*_homo“ gezeigt hatte. Ausgehend von kurzen filmischen Beispielen („Sense8“, „Transparent“, „Herstory“) geht es bei dem Talk um Fragen rund um lesbische trans* Identitäten in mehrheitlich cis Frauen-/Lesbencommunities. Anschließend sprechen die Gäste über die Entwicklungen „ihrer“ Räume, die sich erst im Laufe der Zeit zu Orten entwickelt haben, die sich als explizit trans*inklusiv verstehen. Wie verliefen die Öffnungsprozesse, wie wurde mit Konflikten umgegangen, was brachte die Öffnung Gutes mit sich, und vor allem: Wie nehmen trans* Menschen, die die Orte nutzen oder an ihnen arbeiten, selber die Öffnung wahr?

Trans* und Sexarbeit

Im TrIQ-Projekt „transsexworks“ tut sich Gutes: es wird ein wöchentliches Treffen für trans* Sexarbeiter*innen bei Subway e.V. geben, wo trans* Sexarbeiter*innen gemeinsam kochen, bekocht werden, und anschließend Workshops angeboten bekommen. Außerdem übernimmt die Berliner Aids-Hilfe Professionalisierung-Workshops für trans* Sexarbeiter*innen. Wenn am 20. November der jährliche Transgender Day of Remembrance (TDoR) begangen wird, zum Gedenken an die weltweit ermordeten und verstorbenen trans* Menschen, wird Transgender Europe in Kooperation mit „transsexworks“ eine Kundgebung im Berlin-Schöneberger Kurfürstenkiez veranstalten – einer der zentralen Arbeitsstätten für trans* Sexarbeiter*innen in Berlin. Im Anschluss an den TDoR erscheint eine Broschüre zur Gewalt gegen trans* Menschen mit Fokus auf Trans*-Sexarbeit.

Trans* und HIV, Safer Sex und selbstbewusste Sexualität

ICH WEISS WAS ICH TU“ (IWWIT), die bundesweite Präventionskampagne der Deutschen Aids-Hilfe für schwule Männer, spricht ab 2017 auch die Zielgruppe von trans* MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) an - ein wichtiger Schritt in Richtung Prävention für und sexuelles Empowerment von trans* Männern, existiert doch nahezu kein deutschsprachiges Material zu Safer Sex, HIV-Prävention und Risiken sexuell übertragbarer Krankheiten, das speziell trans* Männer, trans* Frauen und Menschen jenseits dieser Kategorien adressiert. Zwar gibt es in englischsprachigen Regionen eine Handvoll guter Materialien, z.B. die Broschüre „Primed“ aus Kanada, doch zeigen stichprobenhafte Erhebungen z.B auf Trans*-Tagungen immer wieder, dass es wesentlich mehr Angebote und Informationen braucht.