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Meine Eier sind am Verfaulen

Zwei kinderlose Frauen und drei Frauen mit Kindern quatschen. „Na klar habe ich mal abgetrieben!“, sagt eine der Mütter. Sie kommt aus Schweden, alleinerziehend, vierzig Jahre alt, ihre Tochter ist 14. „Ich habe dreimal abgetrieben, bevor ich mein Kind bekommen habe.“ – „Ja, ich zweimal“, sage ich. „Ich nur einmal“, sagt eine andere Mutter. Sie ist – natürlich – die Deutsche in der Runde. Deutsche Frauen sind immer zu organisiert, um mehr als einmal abtreiben zu müssen. Auch sie ist vierzig, ihr Sohn sieben. Auch alleinerziehend. Sie raucht diese „Indianer“-Zigaretten, die man im Bioladen kauft. Eigentlich ist sie gegen Cultural Appropriation, aber die sind halt gesund.

„Ich auch einmal“, sagt eine kinderlose Frau. Ich sage Frau, auf Englisch würde ich sie aber „girl“ nennen. Sie ist die Jüngste in der Runde, Schottin, keine dreißig. „Ich war so traurig“, sagt sie. „Der Mann war alt, vierzig oder so.“ Wir nicken, wissen, was sie meint. „Er sagte, wenn ich nicht abtreibe, würde ich ihn nie wieder sehen. Aber nach der Abtreibung hat er sich nur zweimal mit mir getroffen. Und er hat mir keine Blumen geschenkt! Ist das normal? Ich dachte immer, wenn du abtreibst, dann gibt er dir nachher Blumen?“

„Bin ich die Einzige hier, die keine Abtreibung hinter sich hat?“, fragt die Letzte, eine kinderlose Britin. „Ich würde nie abtreiben. Wirklich nie. Ich würde das traumatisierend finden. Die Vorstellung, Mama zu werden, würde mich freuen.“ – „Du solltest dich beeilen mit dem Schwanger-Werden“, erwidert die Schwedin. „Jetzt bist du 36, oder? Deine Eier sind am Verfaulen.“ – „Meine Eier sind nicht am Verfaulen!“ – „Deine Eier sind am Verfaulen!“, bekräftige ich. „Sie sind noch nicht total hinüber, aber sie nähern sich ihrem Verfallsdatum.“

„Was ist mit Cherie Blair? Sie war 45, als sie ihr jüngstes Kind bekam“, sagt sie. „Willst du wirklich noch Kinder kriegen?“, sagt die Deutsche und dreht sich eine Zigarette. „Es ist so anstrengend.“ – „Nur mit dem Richtigen!“, sagt die Britin. „Mit einem Mann, der mich liebt, der auf das Baby aufpasst, während ich mir ein Bad gönne.“

Alle Mamas gucken sich skeptisch an. „Wenn du wirklich ein Kind bekommen willst“, sage ich, „dann gehst du in die Disco, schnappst dir einen hübschen Mann und sagst, dass du unfruchtbar bist.“ – „Ich warte auf den Richtigen!“, sagt sie. Wir lachen alle. Dann sagt sie:

„Vielleicht lasse ich meine Eier einfrieren!“

Ich fand den Begriff Social Freezing schon immer komisch. Er ist – natürlich – wie etwa „Handy“ und „Beamer“ kein englischer Begriff, sondern eine deutsche Wortschöpfung. Er wirkt negativ auf mich. Wie „Social Climbing“ oder „soziale Kälte“. Ich denke an Karrierefrauen in Miniröcken, die sich vor der Arbeit schnell die Eier einfrieren lassen, in einer Schickimicki-Klinik in Berlin-Mitte, damit sie sich ihren Karrieren widmen können. An Krebskranke, die sich vor einer Chemotherapie Eizellen entnehmen lassen, um sie zu retten, denke ich nicht. Ich denke an Selbstbestimmung und an Freiheit. Obwohl ich glaube, dass die deutsche Gesellschaft Frauenkörper weniger eklig findet als etwa die britische oder US-amerikanische, glaube ich auch, dass das deutsche Gesundheitssystem die Freiheit von Frauen eher einschränkt. Die Frist, in der es möglich ist, eine Schwangerschaft abzubrechen, ist kurz, die „Pille danach“ erst seit Kurzem rezeptfrei erhältlich. Männer dürfen Samen spenden, aber Frauen nicht ihre Eizellen. Ältere Frauen müssen für eine künstliche Befruchtung ins Ausland gehen. Am traurigstem von allem: Lesbische Elternpaare dürfen sich auch gegenseitig keine Eizellen spenden, so wie im Kinofilm „The Kids Are Alright“.

Aber Social Freezing geht in Deutschland klar. Immerhin. Ich hole mir den Laptop aus dem Wohnzimmer und stelle ihn auf den Küchentisch. Die Deutsche zündet sich noch eine Zigarette an. Die Schwedin lacht und gießt uns allen Wein nach. Wir googeln.

„Seracell Freezing“, sagt die Britin. „Guck mal, wie schön das Gebäude ist!“ Beim Unternehmen Seracell Freezing kostet es 2.500 Euro, deine Eier einfrieren zu lassen. Dafür kriegt man alles: Erstberatung, ärztliche Untersuchung, die Eier rausgeholt – ähm, Entnahme der Eizellen heißt das – und ein Jahr Lagerung ist auch drin. Nachher musst du 290 Euro pro Jahr bezahlen, um den Platz in Eizellen- Tiefkühlschrank zu behalten. „Warum darf man sie nicht bei sich zu Hause haben?“, fragt die junge Kinderlose. „Spinnst du?“, fragt die Schwedin, die inzwischen besoffen ist. „Muss richtig kalt sein“, sagt sie. „Ich habe meine Plazenta im Tiefkühlschrank aufbewahrt“, sagt die Deutsche. Überrascht mich nicht besonders. Wer „Indianer“-Zigaretten raucht, bewahrt auch Plazenta auf. „Guck mal bei einem anderen Anbieter“, sage ich. „Vielleicht kriegst du das billiger.“

Wir schauen auf der Homepage der Kinderwunschärzte Berlin. Die Praxis ist in Dahlem, gleich am U-Bahnhof Oskar-Helene-Heim. Sie listen erst gar keine Preise. Sie schreiben: „Empfehlenswert ist es, ein Social Freezing vor dem 35. Lebensjahr durchzuführen, da hier die Qualität der Eizellen noch deutlich besser ist und eine höhere Eizellreserve besteht. Die Eizellreserve kann mit dem AMH-Wert gemessen werden.“ „Keine Preise“, sagt die Schwedin. „Wahrscheinlich total teuer, so wie bei Restaurants, die keine Preise in ihre Speisekarte schreiben.“ – „Oder Fitnessstudios“, sagt die Nochnichtdreißigjährige.

Wir googeln weiter und finden viele Artikel über die Ethik des Konzepts von Social Freezing, aber nur wenige Angebote in Berlin. Eine spanische Klinik hat ihre Webseite auf Deutsch gestaltet. Die ist noch teurer – dreitausend Euro nur für die Entnahme, alles zusammen zehntausend Euro! Auf der Homepage schreiben sie in sehnsüchtigem Ton, dass US-amerikanische Firmen die Kosten für das Einfrieren für ihre Mitarbeiterinnen im fruchtbaren Alter übernehmen. Meine britische Freundin ist freiberufliche Künstlerin. „Vielleicht sollte ich bei der Künstlersozialkasse nachfragen?“, sagt sie. Wir finden eine Klinik in Wien. Das Wunschbabyinstitut Feichtinger. Aber hier ist nicht von Social Freezing die Rede, sondern von einer Kryokonservierung von Embryonen. Die Österreicher*innen sind immer so classy.

Babys machen. Sex ist schon lange keine Voraussetzung mehr, um Kinder zu kriegen. Für wen gilt eigentlich das proklamierte Recht auf Fortpflanzung? Werden wir befreit oder drohen neue Zwänge? Und wie begegnen wir den feministischen Herausforderungen der globalen Fortpflanzungsindustrie?

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„Artikel über Ethik, blablabla“, liest die Britin vor. „Noch ein Artikel über Ethik. Noch einer. Warum gibt es so viele von diesen Artikeln und so wenige Kliniken? So unethisch kann das doch nicht sein!“ Schon als Teenager habe ich festgestellt, dass die Natur genauso misogyn ist wie die Gesellschaft. Denn Gebärende würden fast immer bei der Geburt sterben, wenn wir es der Natur überlassen würden. Und der Körper einer Person mit Gebärmutter ist oft ein Gefängnis. Vor allem, wenn sie schwanger ist. Du bist kein Mensch mehr, sondern ein Container. Du kannst nie frei sein, nicht wirklich – wenn du dich entleibst, hast du dein eigenes Kind getötet. Aber auch kinderlose Cisfrauen sind gefangen, auf eine Art und Weise, in der Cismänner nie gefangen sein können.

Manchmal wird man ungewollt schwanger – manchmal will man ein Kind bekommen, aber der Zeitpunkt stimmt nicht. Wir können das ändern. Wir haben jetzt die Technik, um das Gefängnis zu zerstören – oder zumindest ein bisschen zu kontrollieren. Aber die Gesellschaft möchte, dass die Körper von gebärfähigen Menschen Gefängnisse bleiben. Die Idee, dass sie daraus ausbrechen könnten, macht die Gesellschaft wütend und ängstlich. Ethik, Ethik, Ethik, Kontroverse, Kontroverse. Als ob das Leiden von Gebärmutterträger*innen etwas moralisch Erhabenes wäre.

Wir putzen alle unsere Zähne, um sie zu pflegen, und sind zum Mond geflogen, aber sogar ich, die Superfeministin, habe sofort negative Gefühle bei der Idee, dass eine gebärfähige Person Wahlfreiheit statt Fruchtbarkeitsgefängnis genießen könnte. Das gibt mir zu denken. „Ich mache es nicht“, sagt meine Freundin. „Lass dich von einem hübschen Typen bei einem One-Night-Stand schwängern!“, sagt die Schwedin. „Mach einen Boris-Becker-Blowjob!“, sage ich.

Wir haben wenige Freiheiten, wenn es um unseren Körper geht. Aber die, die wir haben, sollen wir nutzen, ohne Ethik reinzubringen. Ethik ist irrelevant. Ich denke nicht an Ethik, wenn ich meine Zähne putze, und Gebärmutterträger*innen sollen auch nicht an Ethik denken, wenn sie ihre Eizellen einfrieren lassen. Wir sitzen in einem Gefängnis – aber es ist ein Gefängnis mit Wänden, die sich manchmal bewegen. Dann können wir schnell durchrennen und das müssen wir tun.