Auf dem Weg zur Verbandsklage: Digitale Gewalt ist kein Kavaliersdelikt

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Fachgespräch: It’s right, isn’t it?

Dieser Artikel ist Teil unseres einführenden Dossiers „Feminismus & Gender".

Am Schluss stand ein Konsens: Wir brauchen die Verbandsklage. Oder zumindest spricht nichts dagegen, sich aktiv für diese einzusetzen. Das war das Ergebnis des Fachgesprächs It’s right, isn’t it? am 14.12. im Gunda-Werner-Institut. Nach zehrenden Jahren, in denen digitaler Gewalt gegen Frauen* von staatlicher Seite völlig unzureichend begegnet wurde, stellten sich Aktivist*innen, Betroffene, Expert*innen – oft vereint in einer Person – nun erneut selbst dem Kampf und loteten das Potenzial einer möglichen Verbandsklage aus.

Das Thema frisst alle Energien

Geschlecht, Körper, Race…— fast alle Formen, entlang derer in unserer Gesellschaft offline diskriminiert wird, sind auch bei digitaler Hate Speech Angriffsziele, wie Jasna Strick und Anne Wizorek in ihrem einführenden Input klarmachen. Dabei sind diese jedoch nicht trennscharf voneinander zu unterscheiden und beispielsweise rassifizierte sexistische Kommentare sind an der Tagesordnung. Die schiere Menge an Hassrede und die Tatsache, dass jeden Tag mit einem entsprechenden Vorfall gerechnet werden muss, frisst unglaublich viel Energien, hält von der eigentlichen Arbeit ab und führt immer wieder dazu, dass Personen sich – punktuell – aus der Öffentlichkeit zurückziehen.

Bildet Banden / Nicht allein, gemeinsam

Das Thema ausgesucht, so viel wird klar, hat sich kaum jemand in der Runde. Eher ist es ihnen auf ihrem Weg als unliebsames, erschreckendes, wütend-machendes Hindernis begegnet. Entsprechend groß ist das Anliegen, es nun endlich aus dem Weg zu räumen. Doch bei einem normalen Prozess käme auf die Klagende ein jahrelanges Verfahren, finanzielle Risiken und große psychische Belastungen zu — all das Hürden, die die Entscheidung für eine Klage erschweren. „Wie können wir die Last von der Einzelperson nehmen?“ lautet also die Frage, die auch den Anstoß für das Fachgespräch gab.

Die Verbandsklage im Recht

Verbandsklagen ermöglichen, dass Verbände beistehend oder vertretend für ein Individuum an einem Prozess beteiligt sind. Für Aufklärung, wie genau das Verbandsklagerecht in Deutschland geregelt ist, sorgt Vera Egenberger vom Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V.. Theoretisch gibt es drei Formen, wie ein Verband sich an einem Prozess beteiligen kann: Beistandschaft, Prozessstandschaft und Verbandsklagerecht. Während die Beistandschaft einem Verband die Möglichkeit gibt, eine Individualperson bei ihrem Prozess zu begleiten, gibt die Person bei der Prozessstandschaft das Klagerecht an den Verband ab, sodass dieser ähnlich einem Anwalt die Klage führen kann. Das Verbandsklagerecht selbst, bei dem ein Verband ohne betroffene Person Klage einreichen kann, ist in Deutschland sehr eng gefasst. Im Naturschutz und bei der Behindertengleichstellung können Verbände mit diesem unter der Voraussetzung eines öffentlichen Interesses eigenständig klagen, um einen Sachverhalt zu klären. Das Ziel dieser Klagen ist es, Rechtskonformität herzustellen, individuelle Rechte durchsetzen kann das Verbandsklagerecht hingegen nicht.

Das Strafmaß: Zwei Jahre Internetsperre

Die Potenziale der Verbandsklage sind schnell klar: Langfristigkeit, Expertise und ein professionelles Vorgehen können von einem Verband abgesichert werden, die Hindernisse einer Individualklage sind gemindert. Dies wäre schon bei der Möglichkeit einer Prozessstandschaft der Fall, eventuell die realistischere Option, da in Deutschland große Vorbehalte gegenüber dem richtigen Verbandsklagerecht herrschen. Im besten Fall könnte eine erfolgreiche Verbandsklage zu einer Erlassung, Entschädigungszahlungen oder Bußgeldern mit abschreckender Wirkung führen. Auch eine Internetsperre für verurteilte Täter wird unter den Teilnehmer*innen diskutiert — ob das rechtlich umsetzbar wäre, bleibt allerdings offen.

Wen klagen wir an? Das rassistische Patriarchat

Auch wer angeklagt werden könnte, ist nicht leicht zu beantworten. Betreiber oder Einzeltäter? Oder gar Dritte? Auch das rassistische Patriarchat steht als potenzieller Angeklagter im Raum. Es zeigt sich: hier liegt einer der Knackpunkte einer Klage gegen Digitale Gewalt. Anders als in früheren Fällen gibt es nach geltendem Recht selten einen klar identifizierbaren Aggressor oder Rechtsbrecher. Darüber hinaus wäre die individuelle Verurteilung nur bedingt das Ziel. Mindestens ebenso geht es den Anwesenden darum, die Systematik digitaler Gewalt aufzuzeigen und diese ebenso systematisch einzudämmen.  

 

Straftrecht, AGG oder Strafprozessordnung? – Im Dickicht der Justiz

Die rechtliche Verankerung einer Verbandsklage könnte an verschiedenen Gesetzbüchern ansetzten: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), Strafrecht und Strafprozessordnung sind die Stichwörter, die immer wieder fallen. An alle diese Rechtstexte könnte ein Verbandsklagerecht angedockt werden, wobei die konkreten Möglichkeiten der Rechtseinklage sich jeweils stark voneinander unterscheiden würden.

Intersektionale Perspektiven: warum wir uns die Sammelklage wünschen

Ein Manko, das auch das Recht auf eine Verbandsklage nicht wettmachen könnte, ist die fehlende Option der Sammelklage in Deutschland. Jamie Schaerer von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland betont, dass diese aus schwarzer feministischer Perspektive wünschenswert wäre, denn mit der Sammelklage könnte ein gemeinsamer Prozess schwarzer Frauen oder Frauen of Color und weißer Frauen angestrebt werden. Eine intersektionale Perspektive verlangt, dass sich Menschen mit unterschiedlichen Diskriminierungserfahrungen im Kampf gegen Hate Speech zusammentun. Nur so kann die Intersektionalität von Straftaten deutlich gemacht und dem inhärenten Rassismus des Rechtssystems wirkungsvoll etwas entgegengesetzt werden.

Fallstricke im Diskurs

Einer der Fallstricke einer Verbandsklage zeigt sich in der Diskussion um das schillernde Thema Meinungsfreiheit — und das in einer Zeit, in der das Wettern gegen „political correctness“ Konjunktur hat. Tatsächlich ist es nicht neu, dass das Recht auf Meinungsfreiheit gegen den Schutz vor Diskriminierung ausgespielt wird. Viel zu oft werden dabei Straftaten verharmlost und Täter kommen unbehelligt davon. In der Diskussion um die Strafbarmachung von Hasskommentaren bewegt man sich also auf vermintem Terrain, doch davon wollen die Aktivist*innen sich hier nicht abschrecken lassen. Gerade in Zeiten, in denen es Rechtspopulisten immer öfter gelingt,  den Diskurs an sich zu reißen und damit dazu beizutragen,  Hate Spech im Netz zu normalisieren, ist es notwendig klar zu zeigen: Digitale Gewalt ist ein Verbrechen, kein Kavaliersdelikt. Eine Verbandsklage könnte ein Instrument sein, der Straflosigkeit dieses Verbrechens ein Ende zu bereiten.