Die Emma wird 40 – es ist kompliziert

Feministischer Zwischenruf

Die Emma wird 40 – und neben ihrer eingeschworenen Fangemeinde melden sich auch ihre nicht gerade wenigen Kritiker*innen zu Wort. 40 Jahre feministische Bevormundung, so könnte man die Haltung vieler jüngerer aber auch älterer Feminist*innen zusammenfassen.

Die Emma wird 40 – und neben ihrer eingeschworenen Fangemeinde melden sich auch ihre nicht gerade wenigen Kritiker*innen zu Wort. Die Kritik ist alt – und entzündet sich an jeder Äußerung von Alice Schwarzer neu:  Ihre Tendenz zur Verallgemeinerung etwa bei der Debatte um die Kölner Silvesternacht trug ihr zum wiederholten Mal den Vorwurf des Rassismus ein. Auch ihre strikte Gegnerinnenschaft zum muslimischen Kopftuch fiel unter dieselbe Kritik. Ihre abolitionistische Haltung in der Prostitutionsfrage, ganz aktuell bei der Debatte um Sexualassistenz für Behinderte, trug ihr den Vorwurf des Maternalismus ein. Die Emma: 40 Jahre feministische Bevormundung, so könnte man die Haltung vieler jüngerer aber auch älterer Feminist*innen zusammenfassen.

Die Emma dagegen sieht sich als Verteidigerin der universalen Rechte der Frauen. Freiheit ist ihr höchstes Gut. Das kann doch nicht falsch sein!, erklärt sie immer und immer wieder. Beziehungsstatus: Es ist kompliziert.

Heide Oestreich ist Redakteurin der taz, die tageszeitung und betreut dort vor allem die Geschlechter- und Gesellschaftspolitik. 2004 erschien von ihr das Buch "Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam". 2009 wurde sie vom Journalistenverband Berlin Brandenburg für ihre langjährige Berichterstattung über unbewußte Geschlechterklischees mit dem Preis "Der lange Atem" ausgezeichnet.

Was läuft da schief? Wie wird die Verteidigerin der Freiheit, die Emma, plötzlich zur Gegnerin der Freiheit, als Maternalistin beschimpft? Die Tücke liegt im Detail: Um wessen Freiheit geht es genau? Die Emma nimmt hier ein kollektives Subjekt an. Alle Frauen möchten emanzipiert sein, über ihren Körper selbst bestimmen, unabhängig sein und in Sicherheit leben. Zu Recht sind das universale Werte. Aber wie jede sie lebt, kann eben ganz verschieden aussehen. Und da hapert es bei der Emma. Keine Frau mit Kopftuch kann frei und unabhängig sein, postuliert sie. Und keine Prostituierte kann selbstbestimmt leben. Ebenso gilt für die Männer: Alle, die im Islam beheimatet sind, sind Patriarchen. Alle Nordafrikaner müssen wegen ihrer verkorksten Sexualerziehung anfällig für sexuelle Übergriffe sein. Kollektives Subjekt, kollektives Objekt.

Wenn sich nun einzelne Subjekte selbstständig machen, gern ein Kopftuch tragen und dabei gar  keinen Mann haben, der sie unterdrückt, gern den Beruf einer Prostituierten ausüben, dann kann eine Universalistin darauf auf zweierlei Art reagieren.

Sie kann es machen, wie die Emma. Abweichung ist im Universalismus nicht vorgesehen, den entsprechenden Damen wird falsches Bewusstsein unterstellt, Kollaboration mit dem feindlichen System.

Oder man macht es, wie einige von Emmas Kritiker*innen und hört den abweichenden Stimmen  eher zu und versucht, auch ihnen gerecht zu werden. Dann wird die Position schwieriger und man muss mehr erklären. Man kann dann aber die Augen dafür öffnen, dass noch andere Konflikte die Subjekte durchziehen. Etwa die soziale Lage: Ja, es gibt Arten von Prostitution, die wir nicht gutheißen, aber es gehört zum Selbstbestimmungsrecht der Frauen, dass sie auch diese Existenz für sich wählen, und sei es, weil sie schlicht Geld brauchen. Ja, der Islam wird heute überwiegend patriarchalisch ausgelegt, aber ihn in Bausch und Bogen ohne weitere Unterschiede zu verdammen ist eben auch rassistisch. Und es gehört zur weiblichen Freiheit, dass Frauen sich in diesem System bewegen wollen. Es wäre sozusagen ein erweiterter Universalismus, der mehr Konfliktlinien sieht und mehr Varianten zulässt.

Diese Erkenntnisse, dass die Annahme eines Kollektivsubjekts, einer kollektiven Identität an sich schon die Freiheit der Einzelnen beschneidet und andere Konfliktlinien verdrängt, ist wertvoll. Aber ehrlich gesagt, eine Stimme, die in unserem intersektionalen Konzert eben auch die Geschlechterlinie in den Vordergrund rückt, und an der man sich abarbeiten kann, auf die möchte ich in den nächsten 40 Jahren auch nicht verzichten.