Weite Wege

Musik ist ein Ventil und bringt unterschiedlichste Menschen zusammen - auch oder gerade in schwierigen Zeiten. So hat es auch Karamo Jabbie erlebt, als er mit 17 alleine den Weg von Gambia nach Deutschland zurücklegte. Gemeinsam mit anderen Jugendlichen hat er an einem Musik Workshop teilgenommen, aus dem ein mehrsprachiger Rapsong und ein Musikvideo entstanden sind.

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Karamo Jabbie im Gespräch mit Wir machen das
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Wie ist es für einen Siebzehnjährigen, sich allein auf den Weg von Gambia nach Europa zu machen? Wie ist es für ihn, wenn er schließlich angekommen ist in einer fremden Umgebung, wo er Fuß fassen soll? Karamo Jabbie könnte sicher viel darüber sagen, denn er hat diese Reise gemacht und lebt nun seit letztem Jahr in Berlin. „Es hat mich schon sehr verändert, diese Erfahrung zu machen“ erzählt er. “Man könnte sagen, dass es dich schnell erwachsen werden lässt, denn du siehst viel, erfährst viel, was du dir als Kind nicht vorstellen kannst. Du lernst einfache eine Menge.“ Aber wohin mit diesen Erfahrungen, wenn man weit weg ist von Freunden und Familie? Es sei nicht einfach neue Freunde zu finden, in der Stadt, erst recht nicht deutsche Freunde, berichtet Karamo.

Er ist nicht der Einzige, der diese Erfahrung macht. Im Jugendwohnen Kladow, wo Karamo in den ersten Monaten wohnte, leben viele Jugendliche, die wie er alleine hergekommen sind. Jungs zwischen 14 und 18 Jahren aus unterschiedlichen Ländern, die erst ein paar Tage, einige Monate oder schon über ein Jahr in Deutschland sind, wenn sie ins Jugendwohnen Kladow ziehen. In jedem Fall befinden sie sich hier noch in der Ankunftszeit. Traumatisierende Erlebnisse zuhause und auf der Flucht, die Sorge um die weit entfernte Familie, Heimweh – all das beschäftigt die Jungs. Gleichzeitig müssen sie sich in einer ihnen völlig neuen Umgebung zurechtfinden und fürchten um ihre Zukunft in Deutschland. In dieser Situation, auf sich alleine gestellt zu sein, ist nicht leicht. Umso wichtiger sind Momente des Unbeschwertseins, in denen alles Schwierige kurz vergessen ist.

Porträt von Karamo Jabbie

Für Karamo kam in dieser Anfangszeit in Kladow die Initiative zum Musikworkshop gerade richtig. Karamos Betreuerin Katrin hatte die Idee und er ließ sich schnell überzeugen. „Zuhause in Gambia, hatte ich viele Freunde die einfach freestylten oder rappten. Erst habe ich nicht mitgemacht, aber naja wie Freunde halt sind, am Ende wirst du doch von ihnen mitgezogen. Also habe ich angefangen Texte zu schreiben – anfangs nur dummes Zeug. Aber als ich nach Europa kam, da habe ich während der drei ersten Monate in Italien wieder angefangen und viel geschrieben.“

Eminem ist sein großes Vorbild, seine Musik hat er mit seinen Freunden zuhause gehört. Und Texte zu schreiben fällt ihm mittlerweile nicht mehr schwer. “Seit ich hier bin fließen die Worte und die Musik einfach aus mir heraus, ich weiß auch nicht.” In der Kladower Einrichtung war Musik sowieso immer präsent. Im großen Gemeinschaftsraum drangen aus allen Ecken unterschiedliche Musikstile und überlagerten sich.

Die kleine Gruppe, die sie schließlich beim Verein TuneUp e.V. für den Workshop einfand, hatte außer dem Interesse an Musik wenig gemeinsam. „Wir waren einfach total unterschiedliche Jungs aus ganz unterschiedlichen Ecken, aber wir haben einfach angefangen und plötzlich Dinge gemacht, die wir selbst nicht erwartet hatten.“ Karamo muss lachen, wenn er daran denkt. „Wir haben getrommelt, Krach gemacht, sind in der Gegend rumgesprungen wie verrückt. Ja, so hat’s angefangen und wir haben begonnen zu reden.“

Im Workshop konnten die Jugendlichen Instrumente und Sounds ausprobieren und erarbeiteten gemeinsam mit dem Team von TuneUp einen Song. Dabei wurde Karamo etwas klar und das war sogar das Wichtigste, das er aus dieser Erfahrung mitnimmt: “Ich dachte immer, ich wär der Einzige, der seine Familie und das Leben zuhause vermisst. Aber als ich diese Jungs getroffen habe, und wir anfingen, über unsere Erfahrungen zu schreiben, Beats zu machen und Spaß zu haben, da haben wir gemerkt, dass wir die gleichen Gedanken haben. Wir haben unterschiedliche Geschichten, aber wir alle vermissen, was wir zurückgelassen haben.“

In “Weite Wege” – so der Titel des entstandenen Songs singen und rappen die Jungs auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Farsi über ihrer Erfahrungen, das Heimweh, Erinnerungen, ihre Fluchtwege und die Schwierigkeiten ihrer jetzigen Situation. Aber es geht auch um positive Erfahrungen in Deutschland, ihre Zuversicht in eine bessere Zukunft und – ganz wichtig – um die Liebe (im umfassenden Sinne). Karamo träumt davon, später mal Medizin zu studieren, um Arzt zu werden. Deshalb möchte er als ersten Schritt dahin, nach der Schule erst einmal eine Ausbildung zum Krankenpfleger machen. Und endlich Freunde finden, das möchte er auch. An seiner Schule bleiben bisher alle Gruppen unter sich und die Willkommensklassenschüler kommen wenig mit den anderen in Kontakt. Aber nachdem er schon so „weite Wege“ zurückgelegt hat, wird es mit den neuen Freunden in Berlin hoffentlich bald auch klappen.

Hier ist das Video

 

Dieser Artikel erschien zuerst beim Aktionsbündnis "Wir machen das". Der Originalbeitrag hier.

 


Der Musikworkshop entstand in Kooperation von Jugendwohnen Kladow (Träger: Stadtteilzentrum Steglitz e.V.), der Schering Stiftung und TuneUP e.V.

Teilnehmer waren: Ahmad M., Majdeldin L. und Ahmad S. aus Syrien, Karamo Jabbie und Basamba C. aus Gambia sowie Ataullah B. und Mohammedmehdi J. aus Afghanistan.