Frauen, Flucht und sexualisierte Kriegsgewalt - Ein politisches Forderungspapier

Dr. Monika Hauser und Jessica Mosbahi von medica mondiale e. V. erläutern, wie sexualisierte Gewalt und Flucht zusammenhängen und was sich ändern muss, um Frauen auf allen Stationen ihrer Flucht zu schützen.

Syrische Frauen in einer Unterkunft im Libanon
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Physische, psychische und sexualisierte Gewalt ist oftmals trauriger Alltag in Unterkünften

Aus unserer 25-jährigen Arbeit in Kriegs- und Krisengebieten wissen wir bei medica mondiale: in jedem Krieg wird eine hohe Anzahl von Frauen und Mädchen Opfer von Vergewaltigungen, sexueller Versklavung und anderen grausamen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt.[1]

In Ländern wie Syrien, Afghanistan, Irak, Somalia, oder Eritrea, also den Ländern, aus denen viele Menschen nach Europa fliehen, gehört es für Frauen zur traurigen Alltagsrealität, regelmäßig physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt ausgesetzt zu sein.

Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen durch Einzeltäter oder Gruppen von Männern, durch Ehepartner, Polizisten, Soldaten, oder Rebellen sind allgegenwärtig. Viele Frauen fliehen nicht nur vor den grausamen Auswirkungen von Krieg und Zerstörung im Allgemeinen, sondern auch, weil sie Opfer sexualisierter Gewalt wurden, oder Angst haben, dass sie und ihre Kinder sexualisierte Gewalt erleben werden.

Die Frauen befinden sich also in einem ganz eigenen Krieg. Einem Krieg, der aufgrund ihres Geschlechts gegen sie geführt wird.

Diese multiplen Formen von Gewalt sind jedoch nicht auf den Kriegszustand beschränkt, sondern begegnen den meisten Frauen auch auf der Flucht. Geflüchtete Frauen laufen Gefahr, Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden.[2] Dabei sind die Täter nicht nur Schlepper oder männliche Geflüchtete.

Auch diejenigen, die den Schutz der Frauen gewährleisten sollen, also Polizisten oder UN-Soldaten, nutzen nicht selten ihre Machtposition gegenüber den Geflüchteten aus. Gelingt es den Frauen, in ein vermeintlich sicheres europäisches Land zu fliehen, setzt sich auch hier die Gewaltspirale oftmals fort. Das zeigen eindrücklich die Fälle sexualisierter Gewalt, die auch von MitarbeiterInnen in deutschen Flüchtlingsunterkünften verübt wurden.[3]

Die Fluchtgeschichte vieler Frauen macht somit auf traurige Weise sichtbar, dass die Ausübung sexualisierter Gewalt nicht alleine ein Phänomen kriegerischer Exzesse ist und  sich somit nicht auf den Kriegskontext beschränkt. Vielmehr handelt es sich um ein Gewaltkontinuum, dem Frauen und Mädchen auch in vermeintlichen Friedenszeiten ausgesetzt sind.

Wenn die deutsche Politik also ernsthaft die Ursachen sexualisierter Gewalt bekämpfen und Frauen effektiv vor Gewalt schützen will, müssen ihre Maßnahmen immer auch darauf abzielen, die zugrundeliegenden frauenfeindlichen Strukturen aufzubrechen und zu verändern. Dies kann nur gelingen, wenn alle Schutz- und Präventionsmaßnahmen einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen und sich an den Bedarfen der Frauen orientieren.

Dabei ist jedoch eines klar: alle gut gemeinten Versuche, nach Deutschland geflohene Frauen zu unterstützen, können nur dann Wirksamkeit entfalten, wenn sich die politische Situation für geflüchtete Menschen in Deutschland insgesamt nicht weiter verschärft.

In diesem Sinne und auf der Grundlage der in diesem Dossier veröffentlichten Beiträge, hat medica mondiale detaillierte politische Forderungen zur Verbesserung der Situation geflüchteter Frauen erarbeitet.

I. Geschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt als Fluchtursache für Frauen

Im Juli 2016 erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass die Bekämpfung von Fluchtursachen das zentrale Thema aktueller und zukünftiger Flüchtlingspolitik sei. In der Folge zeigte sich, dass sowohl die Bundesregierung als auch die Europäische Union unter Fluchtursachenbekämpfung vornehmlich die Bekämpfung von Schleppertätigkeiten und sogenannter illegaler Migration verstehen.

Um weitere Fluchtbewegungen zu unterbinden und die Grenzen der Staaten, aus denen viele Menschen in Richtung Europa fliehen, besser zu sichern, schloss die Europäische Union sogenannte Migrationspartnerschaften mit Ländern wie zum Beispiel Mali, Nigeria oder Niger ab,[4]  Ländern also, in denen schwere Menschenrechtsverletzungen durch die eigene Regierung an der Tagesordnung sind. Auch Kooperationen mit Staaten wie Libyen wurden vorangetrieben, um Fluchtbewegungen über das Mittelmeer nach Italien zu unterbinden.[5]

Trotz der Finanzierung einiger sinnvoller Entwicklungshilfeprojekte[6], die zum Ziel haben, die Lebensbedingungen der Bevölkerung vor Ort zu verbessern und dabei auch die Situation von Frauen in den Blick nehmen, erweckt die aktuelle Asyl- und Fluchtpolitik insgesamt den Eindruck, dass es den politisch Verantwortlichen weniger um die nachhaltige Bekämpfung von Fluchtgründen geht, als darum, möglichst viele Menschen von der Flucht abzuhalten.

Insbesondere im Hinblick auf geschlechtsspezifische Fluchtgründe schlagen solche politischen Maßnahmen jedoch fehl. Die Gewalt, die viele Frauen in den sogenannten Fluchtherkunfts- oder Transitländern täglich erleben, wird nicht dadurch gestoppt, dass Grenzsoldaten und -beamte in den betreffenden Ländern darin ausgebildet werden, um Menschen von der Flucht abzuhalten oder den Menschenhandel an der Grenze zu unterbinden.

Denn nicht selten sind gerade diese Grenzbeamten und –soldaten Teil des Problems und gehören zu denjenigen, die sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen ausüben. Solange diese Realitäten nicht in den Blick genommen werden, wird man weder die Frauen, noch die Männer davon abhalten können, aus ihrem Land zu fliehen.

Aus diesem Grund, fordern wir die zukünftige deutsche Bundesregierung auf, folgende Maßnahmen zu ergreifen:

  • Es ist notwendig, im Rahmen deutscher Entwicklungspolitik ausreichende Finanzierung von Projekten zu gewährleisten, die zum Schutz von Frauen vor Gewalt, zur Stärkung ihrer Selbsthilfekompetenzen zu ihrer psychosozialen und rechtlichen Unterstützung sowie zur gesellschaftlichen Aufklärung und Sensibilisierung für das Thema sexualisierte Gewalt beitragen. Auch einkommensschaffende Maßnahmen sollten im Rahmen einer ganzheitlichen Unterstützung gefördert werden, um von Gewalt betroffenen Frauen und ihren Kindern ein möglichst selbstständiges Leben zu ermöglichen. Dabei sollte eine langfristige Finanzierung gewährleistet werden, die zur Nachhaltigkeit dieser Projekte beiträgt. Prioritär sollten die Arbeit lokaler Frauenorganisationen sowie deren Organisationsentwicklung gefördert werden.

  • Die Gelder für langfristig wirkende Entwicklungsprojekte im Ausland sollten nicht zugunsten lediglich kurzfristig wirkender Projekte zur Fluchtursachenbekämpfung gekürzt werden, die lediglich der Abwehr von Geflüchteten dienen. Denn wer sinnvolle Projektarbeit in den sogenannten Fluchtherkunftsländern finanziert und damit echte Perspektiven für die Bevölkerung schafft, trägt automatisch dazu bei, dass die Menschen sich nicht auf die Flucht begeben.
  • Sexualisierte Gewalt und andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt sowie ihre Auswirkungen auf die überlebenden Frauen, ihre Familien und ihr Umfeld müssen im Sinne der UN-Sicherheitsratsresolutionen 1325 und 1820 ff.[7] endlich als ernsthafte Bedrohung für Frieden und Stabilität sowie schwere Menschenrechtsverletzungen anerkannt werden. Das heißt in der Folge, dass es eine in allen relevanten Politikfeldern abgestimmte Politik zur Umsetzung der benannten Resolutionen geben muss, die die Bekämpfung sexualisierter Gewalt als dringendes Anliegen auf die Agenda der deutschen Bundesregierung setzt. Die Umsetzung der benannten Resolutionen stellt einen sinnvollen Beitrag dar, um schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen zu verhindern und damit auch Fluchtgründe zu beseitigen.

  • Internationale Programme, wie zum Beispiel das Welternährungsprogramm müssen ausreichend finanziell unterstützt werden, damit geflüchtete Frauen und Kinder in den Flüchtlingslagern nicht hungern müssen.
  • Darüber hinausgehend ist es entscheidend, solche Staaten, die sehr viele geflüchtete Menschen aufnehmen, finanziell zu unterstützen, damit diese die Versorgung geflüchteter Menschen in adäquater Weise sicherstellen können. Die Vergabe dieser Gelder sollte daran geknüpft sein, dass in den Flüchtlingslagern menschenwürdige Zustände geschaffen werden. Dazu gehört unabdingbar, Frauen und Kindern vor sexueller Ausbeutung und Gewalt zu schützen und ihnen auch in den Lagern Zugang zu Hilfsstrukturen und medizinischer und psychosozialer Versorgung zu ermöglichen.

  • Es ist anzuerkennen, dass Frauen und Kinder besonders gefährdet sind, Opfer sexualisierter Gewalt zu werden, und daraus politische Konsequenzen zu ziehen. Das heißt, möglichst viele Frauen, die bereits geflüchtet sind, und für die es keine dauerhafte Perspektive im Land ihrer ersten Zuflucht gibt, auf legalem Weg nach Deutschland einreisen zu lassen. Dies sollte über bereits bestehende Programme wie das Resettlement-Programm der Vereinten Nationen[8] oder das Europäische Relocation-Programm[9] erfolgen. So darf die Unterstützung des Relocation-Programms nicht aufgrund der geplanten Neuregelung zum Familiennachzug eingestellt werden.
  • Der Familiennachzug für subsidiär geschützte Geflüchtete ist nicht weiter auszusetzen und auch keine Begrenzung des Nachzugs auf 1000 Menschen pro Monat festzulegen. Die Aussetzung des Familiennachzugs trifft besonders Frauen mit voller Härte. Sie sind es, die in den Flüchtlingslagern entlang der Fluchtrouten darauf warten, zu ihren Ehemännern nach Deutschland nachreisen zu dürfen. Die Frauen stecken in den Flüchtlingslagern in prekären Verhältnissen fest und geraten dadurch in Zwangs- und Abhängigkeitsverhältnisse, die geschlechtsspezifische Gewalt befördern.

  • Es dürfen keine weiteren  Abkommen mit menschenverachtenden Regierungen zum Zwecke der Fluchtursachenbekämpfung abgeschlossen werden. Solche Vereinbarungen kommen der Legitimierung der in diesen Staaten herrschenden Gewalt gleich.

II. Aufnahmepolitiken und Aufnahmebedingungen

Weltweit befinden sich zurzeit rund 65 Millionen Menschen auf der Flucht oder leben als Binnenflüchtlinge im eigenen Land.[10] Ungefähr die Hälfte von ihnen sind Frauen.[11] Doch nur wenigen von ihnen gelingt es, nach Europa zu flüchten. Die meisten Frauen verbleiben langfristig in den Grenzregionen ihrer Heimat.

Das belegen auch die Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Im Schnitt waren in den letzten drei Jahren seit 2015 ungefähr ein Drittel der Personen, die einen Antrag auf Asyl gestellt haben, weiblich.[12] Davon wiederum sind die meisten minderjährig.[13]

Frauen sind also auch dann benachteiligt, wenn es um ihre Chancen geht, als Flüchtende nach Europa zu gelangen. Und die Frauen, die es geschafft haben, in ein europäisches Land zu fliehen, haben wiederum kaum Aussicht darauf, aufgrund geschlechtsspezifischer Asylgründe eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Der Anteil der positiven Asylentscheidungen, die im Jahr 2015 beim Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aufgrund geschlechtsspezifischer Verfolgung getroffen wurden betrug, lediglich 1 Prozent.[14]

Die Diskriminierung setzt sich somit fort, obwohl Frauen weltweit in Kriegsländern massiv von sexualisierter Gewalt und anderen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind. Und obwohl es seit 2005 in Deutschland die Möglichkeit gibt, geschlechtsspezifische Verfolgung als Asylgrund geltend zu machen, haben geflüchtete Frauen in der Realität kaum eine Chance ihre Rechte in Anspruch zu nehmen bzw. die überlebte Gewalt als Asylgrund durchzusetzen.

Auch ihre Lebensbedingungen in deutschen Flüchtlingsunterkünften lassen immer noch zu wünschen übrig. Zwar hat die Lobbyarbeit deutscher Flüchtlings- und Frauenorganisationen mehr Aufmerksamkeit und Sensibilität für die Gefährdung von Frauen in den Unterkünften hergestellt und zu einigen wenigen Verbesserungen geführt. Insgesamt ist die aktuelle Situation aber immer noch nicht zufriedenstellend.[15]

Aus diesem Grund, fordern wir die zukünftige deutsche Bundesregierung auf, folgende Maßnahmen umzusetzen:

  • Geflüchteten Frauen ist ein sicherer Aufenthalt in deutschen Flüchtlingsunterkünften zu gewähren und es ist entscheidend, sich für eine bundesgesetzliche Regelung darüber einzusetzen, dass in allen Landes- und Kommunalunterkünften Gewaltschutzkonzepte verpflichtend eingeführt und umgesetzt werden.

  • Ergänzend dazu, sind die Mitarbeitenden in deutschen Flüchtlingsunterkünften umfassend zu schulen, damit sie Gewaltschutzkonzepte kompetent anwenden können. Hierzu gehören unter anderem Schulungen zu Themen wie sexualisierte Gewalt, deren Ursachen und Folgen, Traumatisierungen, die Anwendung eines stress- und traumasensiblen Arbeitsansatzes und die Möglichkeiten zur Selbst- und Teamfürsorge, wie z. B. durch regelmäßige Supervisionen.

  • Die begonnene Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Umsetzung von Mindeststandards zum Gewaltschutz in Flüchtlingsunterkünften ist fortzuführen und langfristig mit ausreichend finanziellen Mitteln auszustatten. Nur so können die in 100 Pilot-Flüchtlingsunterkünften eingestellten GewaltschutzkoordinatorInnen auch zukünftig ihrer Arbeit nachgehen und die Nachhaltigkeit der Initiative gewährleistet werden.

  • Die bisherige Umsetzung der Mindeststandard-Initiative ist zu evaluieren und auf Basis der Evaluationsergebnisse weiter zu entwickeln.

  • Geflüchteten Frauen ist der Zugang zu medizinischer, psychologischer bzw. psychosozialer Unterstützung zu ermöglichen und Gelder für die Fortbildung des Fachpersonals in einem traumasensiblen Arbeitsansatz zur Verfügung zu stellen.

  • Es ist ausreichende Finanzierung für die Arbeit von kultur- und traumasensibel arbeitenden Sprachmittlerinnen zu gewährleisten, damit auch deutsche PsychologInnen und Medizinerinnen in der Lage sind, sich vertrauensvoll mit geflüchteten Frauen zu unterhalten und ihnen kompetent zu helfen.

  • Es ist entscheidend, verpflichtende Fortbildungen für AnhörerInnen und Sonderbeauftragte im BAMF zu sexualisierter Kriegsgewalt, Trauma- und Traumafolgen und zu einem stress- und traumasensiblen Anhörungsverfahren durchzuführen und dafür Sorge zu tragen, dass eine entsprechend ausgebildete Sprachmittlerin bei der Anhörung anwesend ist.

  • Es ist endlich die EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU umzusetzen und in diesem Zusammenhang sind Kriterien für die Erkennung besonders schutzbedürftiger Geflüchteter zu entwickeln. Da Frauen aufgrund ihrer hohen Risikoexposition zur Gruppe der besonders schutzbedürftigen Geflüchteten gehören, müssen sie von der Erstaufnahme in Deutschland bis zur Durchführung des Asylverfahrens spezifische Unterstützung erfahren.

  •  Frauen, die aufgrund geschlechtsspezifischer Gewalt aus ihrer Heimat geflohen sind und bei denen eine besondere Schutzbedürftigkeit im Sinne der EU-Richtlinie 2013/33/EU festgestellt wurde, muss ein Aufenthaltsstatus gewährt werden. Dies muss unabhängig davon erfolgen, ob das Herkunftsland als sicher gilt oder nicht. Sexualisierte Gewalt und andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt finden auch in sogenannten sicheren Herkunftsländern, wie zum Beispiel dem Kosovo statt.

  • Es sind keine weiteren Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Für Frauen gibt es keine sicheren Herkunftsländer. Sie sind grundsätzlich einem hohen Risiko ausgesetzt, Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden. Die Verschlechterung der Bleibeperspektive für Frauen aus vermeintlich sicheren Herkunftsländern führt dazu, dass sie erneut diskriminiert werden. Sie können die Annahme, dass sie in ihrem Heimatland sicher sind, kaum widerlegen und haben keine reale Möglichkeit, sich im Rahmen der verkürzten Fristen über ihre Rechte und Pflichten zu informieren.

  • Keine weitere Verschärfung der Asylgesetzgebung vorzunehmen. Die Umsetzung aktueller Pläne[16] zur Errichtung sogenannter ANkER-Einrichtungen[17] wird dazu führen, dass geflüchtete Frauen es zukünftig noch schwerer haben werden, die für ihre Anhörung notwendige Beratung in Anspruch zu nehmen. Die Unterbringung von Frauen in solchen Einrichtungen würde ihre Isolation und Risikoexposition deutlich verstärken.

III. Empowerment geflüchteter Frauen

So wichtig der Schutz geflüchteter Frauen vor Gewalt in deutschen Flüchtlingsunterkünften und Flüchtlingslagern weltweit ist, so essentiell ist es, gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, dass die Frauen gestärkt und ihre Ressourcen aktiviert werden. Ein solches Empowerment dient dabei mehreren Zielen: zum einen wird der Blick der Öffentlichkeit auf die Ressourcen der Frauen gelenkt und der Annahme entgegengewirkt, dass Frauen lediglich schutzbedürftige Opfer sind.

So kann vermieden werden, dass geflüchtete Frauen insgesamt, aber insbesondere auch Überlebende geschlechtsspezifischer Gewalt, die sowieso schon gegen vielfältige Vorurteile kämpfen müssen, erneut stigmatisiert werden. Zum anderen können Maßnahmen zur Stärkung geflüchteter Frauen dazu beitragen, dass sie wieder aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.

Dies wirkt sich auch positiv auf die Aufnahmegesellschaft aus. Es gilt daher, Maßnahmen zu entwickeln, die nicht nur Schutzcharakter haben, sondern zugleich darauf abzielen, die Selbstwirksamkeit und Selbsthilfekompetenzen geflüchteter Frauen zu stärken. Diese Angebote müssen sich dabei eng an der Realität geflüchteter Frauen, ihrer Fluchtgeschichte sowie ihrem Lebenshintergrund orientieren und sollten mit ihnen gemeinsam entwickelt werden.

Gleichzeitig ist es unabdingbar, dass ergänzend zu sämtlichen Informations-, Stärkungs- und Hilfsinstrumenten für Frauen, auch eine gesamtgesellschaftliche Aufklärung und Sensibilisierung zum Thema sexualisierte Gewalt stattfindet. Denn nur die nachhaltige Veränderung frauendiskriminierender Strukturen und die gesellschaftliche Anerkennung des Unrechts können langfristig zu einer Stärkung von Gewalt betroffenen Frauen führen.

Aus diesem Grund, fordern wir die zukünftige deutsche Bundesregierung auf, folgende Maßnahmen umzusetzen:

  • Es sind Programme zum Empowerment geflüchteter Frauen zu entwickeln und finanziell zu fördern. Dabei sollte Empowerment aber nicht nur auf die Eingliederung von geflüchteten Frauen mit einer langfristigen Bleibeperspektive (in den deutschen Arbeitsmarkt) beschränkt werden. Vielmehr gehört zur Stärkung auch, dass gewaltbetroffene Frauen die Chance bekommen, auf allen relevanten Ebenen, also wie der rechtlichen, psychosozialen, medizinischen und einkommensschaffenden, Hilfe in Anspruch zu nehmen, um sich physisch und psychisch stabilisieren zu können.

  • Es ist entscheidend, sogenannte Peer-to-Peer-Ansätze[18] zu fördern, bei denen Frauen mit eigener Flucht- oder Migrationsgeschichte geflüchtete Frauen unterstützen und als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung stehen. Aufgrund der ähnlichen Lebensgeschichte bauen geflüchtete Frauen zu Frauen mit eigener Fluchtgeschichte eher ein Vertrauensverhältnis auf. Um zu vermeiden, dass Migrantinnen, die selber oft in einkommensschwachen Verhältnissen leben, diese Aufgabe ehrenamtlich übernehmen – wie aktuell oft der Fall – sollten solche Aktivitäten angemessen vergütet und damit auch gewürdigt werden.

  • Es ist dafür Sorge zu tragen, dass geflüchtete Frauen notwendige Informationen über ihre Rechte und Möglichkeiten sowie Hilfsangebote erhalten. Es hat sich herausgestellt, dass es nicht reicht, solche Informationen in schriftlicher Form in Flüchtlingsunterkünften auszulegen. Auch dann nicht, wenn die Informationen in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Dagegen bewähren sich mündliche Informationsveranstaltungen, die ausschließlich für Frauen zugänglich sind und niedrigschwellig verschiedene Themen vermitteln. Eine parallel stattfindende Kinderbetreuung ist dabei unumgänglich, damit die Frauen ungestört teilnehmen können. Gleichzeitig sollten stärkende, traumasensible, psychosoziale und Geschlechterstereotype reflektierende Angebote auch für Männer stattfinden, um auch sie diese für das Thema zu sensibilisieren. Solche Angebote befördern gleichzeitig die Akzeptanz der Männer hinsichtlich der Teilnahme ihrer Ehefrauen, Töchter usw. an diesen Kursen.

  • Es ist eine ausreichende Finanzierung für Projekte, die eine Kooperation zwischen geflüchteten Frauen und nicht geflüchteten Frauen fördern, zur Verfügung zu stellen. Solche Projekte sollten geflüchteten Frauen die Möglichkeit bieten, ihre Geschichte zu erzählen und ihre Bedarfe deutlich zu machen, wenn sie dies wünschen. Die Projekte können sowohl zur Verständigung zwischen deutschen und geflüchteten Menschen als auch zu einer Verbesserung der Lebenssituation geflüchteter Frauen in Deutschland beitragen.

 

Literaturreferenzen


[1] „Allein in Bosnien sind während des Krieges von 1992 bis 1995 fast 50.000 Frauen und Mädchen vergewaltigt worden.“ Schätzungen   zufolge   wurden   während   des   Krieges   in Bosnien   und   Herzegowina (1992–1995) zwischen 20.000 und 50.000 Frauen und Mädchen systematisch vergewaltigt und sexualisierter Gewalt und Folter in Konzentrationslagern oder in Gefangenschaft in ihren Häusern ausgesetzt.“ Vgl. Medica Zenica & medica mondiale e. V. (Hg.) (2014): „We are still alive. Wir wurden verletzt, doch wir sind mutig und stark.“ Eine Studie zu Langzeitfolgen von Kriegsvergewaltigungen und zu Bewältigungsstrategien von Überlebenden in Bosnien und Herzegowina. Zusammenfassung. Köln. S.7.

„Die humanitäre Situation für Flüchtlinge aus Myanmar in Bangladesch ist weiter alarmierend. Die Hilfsorganisation CARE sorgt sich besonders um rund 440.000 Frauen und Mädchen, die sexualisierte Gewalt erlebt oder bezeugt haben.“ Vgl. CARE (2017): Flüchtlinge in Bangladesch: CARE warnt vor Anstieg sexualisierter Gewalt. 17.10.2017, abgerufen am 26.02.2018.

[2]Lobenstein, Caterina (2016): Er hört, wie sie schreien, er sieht wie sie zittern, er riecht, wie sie stinken. In: Die Zeit Nr. 16/2016, 21.04.2016, abgerufen am 26.02.2018.

„Der UNHCR berichtet, dass Frauen Ausweispapiere und Weiterreise mit Geschlechtsverkehr bezahlen müssen, oder aus Verzweiflung heiraten, um vermeintlich mehr Schutz zu erfahren.“ Vgl. Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (2016): Initial Assessment Report: Protection Risks for Women and Girls in the European Refugee and Migrant Crisis. S. 8, abgerufen am 26.02.2018.

[4] So schloss die Europäische Union mit den fünf afrikanischen Schwerpunktländern Mali, Niger, Nigeria, Äthiopien und Senegal, Migrationspartnerschaften im Rahmen der europäischen Migrationsagenda ab. Verbesserungen bei der Rückkehr und Rückübernahme stellen dabei ebenso ein zentrales Ziel des Partnerschaftsrahmens dar, wie die Sicherung der EU- Außengrenzen. Vgl. dazu Deutsche Bundesregierung: Migrationspartnerschaften mit Afrika. Artikel vom 13. Juni 2017, abgerufen am 05. 02. 2018.

Außerdem: Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council, the Council and the European Investment Bank on establishing a new Partnership Framework with third countries under the European Agenda on Migration. Juni 2016, abgerufen am 05. 02. 2018.

[5] Im Juli 2017 verlängerte die Europäische Union die sogenannte EUNAVFOR MED Operation Sophia im südlich zentralen Mittelmeer bis Ende 2018. Seit Juni 2016 wurde das Mandat dieser Operation um die Ausbildung der libyschen Küstenwache erweitert. Ihre Aufgabe besteht laut EU darin, Flüchtlinge aus dem Mittelmeer zu retten und zurück nach Libyen zu bringen. Vgl. Rat der EU: Pressemitteilung vom 25. Juli 2017, abgerufen am 01.02.2018.

Vgl. dazu auch Europäische Kommission: Factsheet EU Action in Libya on Migration. Dez.2017, abgerufen am 01.02.2018.

Die Verlängerung des Mandats fand statt, obwohl deutsche Diplomaten die Zustände in lybischen Flüchtlingslagern im Januar 2017 als „KZ-ähnlich“ scharf kritisierten und obwohl immer wieder belegt wird, dass die lybische Küstenwache sowohl gegen geflüchtete Menschen, als auch gegen jene, die sie von den Booten retten wollen, äußerst brutal vorgehen. Vgl.: Artikel von Manuel Bewarder, Alfred Hackensberger, Christoph B. Schiltz in „Die Welt, 29. 01. 2017, abgerufen am 07. 02. 2018.

Siehe hierzu auch den Bericht des Politmagazins Monitor vom 24. 08. 2017 Grenzen dicht in Afrika: wie die EU Flüchtlinge vom Mittelmeer fernhalten will“, der dies aufzeigt und deutlich macht, dass die Flüchtlinge nicht gerettet werden, sondern vornehmlich in die Lager nach Libyen zurückgebracht werden. Abgerufen am 07. 02. 2018.

[6] So wurde im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in einem Problemviertel in Casablanca ein Bürgerzentrum errichtet, in dem mehrere hundert Frauen, die von Gewalt betroffen sind, beraten und über ihre Rechte aufgeklärt werden. Außerdem können die Betroffenen psychologische Beratung in Anspruch nehmen. Das Vorhaben ist Teil der Sonderinitiative des BMZ zur Stabilisierung und Entwicklung in Nordafrika und Nahost. Vgl. dazu Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Hrsg.): Marokko: Bürgerzentrum im Brennpunkt. 2016, abgerufen am 05.02.2018.

[7] Die Resolution 1325 zum Thema „Frauen, Frieden und Sicherheit“ wurde am 31.Oktober 2000 einstimmig vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verabschiedet. Weltweit wurde die Resolution als Meilenstein im Kampf um die Anerkennung der Rechte von Frauen und Mädchen in bewaffneten Konflikten gefeiert. Vgl. Jeannette Böhme: Die Einbindung von Frauen in Friedendprozesse. In: Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, Ausgabe 6/2017, S.262-266, hier S. 262.

Vgl. auch United Nations Security Council: Resolution 1325 (2000), abgerufen am 01.02.2018

Vgl. ebd. Resolution 1820 (2008), abgerufen am 05.02.2018. Die Resolution wurde am 19. Juni 2008 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verabschiedet. In der Resolution wird erstmalig erklärt, dass Vergewaltigungen und andere Formen sexualisierter Gewalt „ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder eine die Tatbestandsmerkmale des Völkermords erfüllende Handlung darstellen können“ .

[8] Siehe hierzu das Resettlement-Programm der Vereinten Nationen: Vgl. UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR: UNHCR Resettlement Handbook. Auflage 2011, abgerufen am 01.02.2018.

[9] Siehe dazu Europäische Relocation-Programm: Vgl. Europäische Kommission: Factsheet Relocation and Settlement. 2016, abgerufen am 01.02.2018.

[13] Vgl. ebd.

[14] Im Jahr 2016 ist ein Anstieg der positiven Entscheidungen auf 7,8 % zu verzeichnen. Dies ist zunächst einmal positiv zu bewerten. Es ist allerdings noch nicht abzusehen, ob es sich hierbei um einen langfristigen Trend handelt. Insgesamt ist aber zu konstatieren, dass der Anteil im Vergleich zu der Vielzahl der Frauen, die in ihren Heimatländern geschlechtsspezifische Gewalt erleben, immer noch viel zu gering ist. Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtling: Das Bundesamt in Zahlen 2016. Stand August 2017, S.53, abgerufen am 01.02.2018.

[15] Eine Studie der Berliner Charité zeigt, dass 20 Prozent der geflüchteten Frauen von Problemen in ihren Unterkünften berichten. Dazu zählen Lärmbelastungen, fehlende Privatsphäre und Gewalterfahrungen.  Zudem mangelt es deutlich an ärztlicher Versorgung und psychologischer Betreuung. Vgl. dazu Schouler-Ocak et al.: Study on female refugees. Abschlussbericht. Repräsentative Untersuchung von geflüchteten Frauen in unterschiedlichen Bundesländern in Deutschland. 2017, S. 31 f. abgerufen am 05.02.2018.

[16] Diese ANkER-Einrichtungen sollen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen in einem sein. In ihnen sollen die Ankunft, die Identitätsfeststellungen, Asylentscheidungen sowie die kommunale Verteilung bzw. Rückführung der AsylbewerberInnen zentral stattfinden. Dies gilt auch für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bis zur Inobhutnahme durch die Jugendämter.Vgl. dazu Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD. Finale Fassung. 12.01.2018, S. 21 f., abgerufen am 01.02.2018.

[18] Vgl. dazu das MiMi-Gesundheitsprojekt „Mit Migranten für Migranten“ der Sächsischen Landesvereinigung für Gesundheitsförderung, das seit 2004 bundesweit mehrsprachig und kultursensibel über das deutsche Gesundheitswesen und verschiedene Präventionsthemen. Die Sächsische Landesvereinigung für Gesundheitsförderung e. V. möchte das MiMi-Projekt erstmalig ab Herbst 2016 auch in Sachsen unterstützen. Das Projekt zielt darauf ab, geflüchtete Frauen über Formen von Gewalt und Schutzmöglichkeiten zu informieren. In Sachsen werden hierfür MiMi-Mediatorinnen ausgebildet, die uns bei der Prävention von Gewalt unterstützen werden. Stand: 01. September 2016. Zuletzt abgerufen am 26. 02. 2018.

Vgl. dazu auch das MUT-Projekt von DaMigra e.V. Im Rahmen des Projekts greift DaMigra auf wertvolle Erfahrungen von Frauen* mit Migrationsgeschichte zurück, die schon länger in Deutschland leben. Als „Mutmacherinnen* und Brückenbauerinnen*“ informieren, beraten, bilden und begleiten sie geflüchtete Frauen* und unterstützen dadurch ihre gesellschaftliche Teilhabe.Das MUT-Projekt organisiert bundesweit Veranstaltungen sowie Beratungs- und Empowermentprojekte, die Frauen* mit Migrationsgeschichte als „Mutmacherinnen* und Brückenbauerinnen*“ für geflüchtete Frauen* durchführen. Ziel ist es, Frauen* mit Flucht- und Migrationsgeschichte in die Lage zu versetzen, in ihrem neuen Umfeld ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Zuletzt abgerufen am 26. 02. 2018.

Siehe für einen Überblick über die notwendige Ausgestaltung stärkender Peer-to-peer-Gruppenangebote: medica mondiale e. V.: Handreichung: Peer-to-Peer: geflüchtete Frauen durch Gruppenangebote stärken. Stand: Juli 2017. Zuletzt abgerufen am 26. 02. 2018.