Zwei Frauen, kein Feminismus

Feministischer Zwischenruf

Zwei Frauen lenken die beiden Regierungsparteien. Feministische Politik wird trotzdem woanders gemacht. Wenn Frauen Feminismus nur als Karrierebooster verstehen, werden sie von feministischen Männlichkeiten überholt.

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Andere Länder haben den Fokus "Feminismus" schon scharf gestellt

Feminist*innen erzählen sich gern die Geschichte vom Kind, das sich bei seinen Eltern erkundigte, ob denn in Deutschland eigentlich auch Männer Bundeskanzlerin werden könnten. Eine gewisse Genugtuung schwingt dabei mit, über die Tatsache, dass sich sogar in unserem geschlechterpolitisch strukturkonservativen Land eine Frau mit geradezu Kohl'scher Ausdauer an der Spitze behaupten kann.

Dass seit kurzem sogar zwei Frauen die beiden Regierungsparteien lenken, hat allerdings kaum mehr Jubel ausgelöst. Zum einen ist da der hierzulande typische Geschmackssexismus am Werk: Während Männer an der Spitze erst einmal eine Selbstverständlichkeit sind, werden an Frauen zunächst Sympathiepunkte verteilt. Mecker hier über ihre Sprache, Mecker dort, weil sie uns "zu kerlig" ist, Frauen an der Spitze müssen sich zunächst von oben bis unten beschnüffeln lassen, als gelte es, Aufnahme in eine feindliche Hundemeute zu finden.

Aber auch unter den Feminst*innen will sich die rechte Freude nicht einstellen. Zwei fatale Gewohnheitseffekte treffen sich hier. Der eine besteht im alten und leider immer wieder aktualisierbaren Gedanken, dass SPD ein anderes Wort für Verrat an enthusiastischen Projekten ist. SPD-Projekte werden historisch immer binnen kürzester Zeit dem Erdboden gleichgemacht, zuletzt verwandelte Demokratiefreund Gerhard Schröder ein Rot-Grünes Projekt binnen kürzester Zeit in einen gewaltigen Abbau an Chancen - auch für Frauen übrigens. (Nur ein winziges Beispiel, falls Ihnen mal die Argumente ausgehen: Vor Hartz IV hatten Berufsrückkehrerinnen die Chance auf eine Fortbildung in Teilzeit. Gehabt. War dann weg.)

Heide Oestreich ist Redakteurin der taz, die tageszeitung und betreut dort vor allem die Geschlechter- und Gesellschaftspolitik. 2004 erschien von ihr das Buch "Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam". 2009 wurde sie vom Journalistenverband Berlin Brandenburg für ihre langjährige Berichterstattung über unbewußte Geschlechterklischees mit dem Preis "Der lange Atem" ausgezeichnet.

Mit anderen Worten: Von der SPD etwas erwarten heißt: Warten auf Godot. Zweiter Gewöhnungseffekt: Frauen, die etwas wollen, werden in kürzester Zeit auf Männermaß zurechtgestutzt. Christine Bergmann lief vor die Wand namens Schröder, Andrea Ypsilanti, die in Hessen ein linkes Projekt starten wollte, wurde von der Spitze abgesägt. Manuela Schwesig und Malu Dreyer, die angeblich starken Ladies der Partei, haben in den Koalitionsverhandlungen mit der Union kaum ein Frauenprojekt durchgebracht. Und Andrea Nahles hat bisher bis auf die etwas selbstbezogene Ankündigung, dass ihre Karriere angeblich die Gläserne Decke der SPD für alle Zeiten habe bersten lassen, auch noch nichts Vielversprechendes hören lassen. Ja, das Thema Frauen und Feminismus hat sie ganz traditionell unter den Tisch fallen lassen - wie Frauen in Männerparteien es schon immer taten, siehe Merkel.

Das Komische ist, dass wir nun zwei Frauen an der Spitze haben - aber die feministische Politik woanders gemacht wird. Schweden bringt der Welt bei, was feministische Außenpolitik ist. Na gut Skandinavien, anderes Universum, könnte man einwenden. Dann aber kommt im Nachbarland Frankreich ein Emmanuel Macron und erklärt die Förderung der Frauen zur "Grand Cause nationale", mit knallharter Quote und ohne zu fackeln. Und in Kanada befindet ein Justin Trudeau, dass es ja wohl heutzutage völlig normal sei, als Regierungschef Feminist zu sein.

Während die Damen in Deutschland also noch damit beschäftigt sind, Feminismus als Karrierebooster für sich mitzunehmen - aber in der praktischen Politik dem männerlastigen Establishment höchstens alle 10 Jahre mal einen Millimeter Terrain abzutrotzen, hält anderswo eine modernisierte feministische Männlichkeit Einzug, die die weiblichen Spitzen hierzulande aussehen lässt, als hätten sie das 21. Jahrhundert verpasst. Mädels, merkt Ihr was in Euren Parteizentralen? Sie sind dabei Euch zu überholen, ohne Euch einzuholen.

Sattelt die Pferde, macht Euch auf den Weg. Sonst fragen Kinder ihre Eltern demnächst: Papi, können Frauen eigentlich auch Feminist sein?