Super Tuesday: Risse in der Glasdecke statt rosa Welle

Analyse

Der Super Tuesday war eine herbe Enttäuschung für Elizabeth Warren. Im Status-Quo-Wahljahr 2020 hielten die Demokrat*innen in den Vorwahlen Joe Biden und Bernie Sanders für geeigneter, um gegen Donald Trump anzutreten. Bei den Kongresswahlen geht es darum, die Gewinne von Frauen, Minderheiten und LGBTQ-Kandidat*innen aus dem Jahr 2018 zu verteidigen.

Nicht einmal in Massachusetts hat es gereicht, ganz zu schweigen von Kalifornien. Elizabeth Warren beendete die Vorwahlen am Super Tuesday weit abgeschlagen hinter Joe Biden und Bernie Sanders - zwei betagten weißen Männern. In ihrem Heimatstaat Massachusetts wäre ein Sieg für die demokratische Senatorin symbolisch besonders wichtig gewesen. In Kalifornien hätte sie 15 Prozent der Stimmen gebraucht, um Delegierte für die Nominierung zur Präsident*innenschaftskandidatur ihrer Partei zu gewinnen. Beides ging schief.

Kalifornien hätte niemals ein Rennen um den zweiten Platz werden dürfen, beschrieb ein Vorbericht in kalifornischen Lokalzeitungen am Montag die besorgte Stimmung unter enttäuschten Warren-Anhänger*innen. Für die erste Frau im Weißen Haus sollte Kalifornien  „die Auffahrrampe sein, nicht die Bremsschwelle“. Aber für Warren wurde es in Kalifornien ein Kampf um den dritten Platz mit dem früheren Bürgermeister von New York Mike Bloomberg, einem dritten alten weißen Mann. Noch dazu einem, gegen den Klagen laufen, weil er weibliche Angestellte seines gleichnamigen Wirtschafts-Nachrichtendienstes diskriminiert und eine Unternehmenskultur sexueller Belästigung toleriert haben soll.

Wie war das möglich - ausgerechnet in Kalifornien? Hollywood war das Epizentrum der #MeToo-Kampagne. Die “Women’s March”-Bewegung, die im Januar 2017 als Protest gegen die Amtseinführung von Donald Trump in Washington begann, ist in der Bay Area um San Francisco bis heute sehr aktiv. Aus Kalifornien stammt Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses. Der Westküstenstaat hatte einen großen Anteil an der „rosa Welle“, auf der 2018 eine neue Generation von Frauen und LGBTQ-Politiker*innen ins Repräsentantenhaus einzog.

Weibliche Auslöschung statt feministisches Revival?

Die Gründe für Warrens Super-Tuesday-Niederlage sind vielfältig, aber so viel steht fest: Feminist*innen sahen am 3. März 2020 keinen Grund zu feiern. „Im Jahr 2020 sprechen wir von einer weiblichen Auslöschung statt von einem feministischen Revival“, schreibt die Autorin Sady Doyle auf dem Online-Portal Medium. Sie kontrastiert dies mit der Tatsache, dass Frauen einen Großteil der demokratischen Basis stellen – und dann offenbar trotzdem nicht für eine Frau stimmen.

Am Ende geht es immer um die angebliche „Wählbarkeit“. Erschüttert von der rechten Gegenbewegung gegen den ersten schwarzen Präsidenten Barack Obama und von Hillary Clintons Niederlage gegen den Macho-Republikaner Donald Trump, scheint die demokratische Basis vor allem zurückzuschrecken, was wie ein neues Experiment aussehen könnte. Der frühere Vizepräsident Joe Biden ist der Kandidat des Status quo. Bernie Sanders, der im US-Kontext als „Sozialist“ gilt, ist die ideologisch riskantere Wahl, aber im Unterschied zu Warren immerhin ein Mann.

Die feministische Autorin Doyle glaubt, dass Gender im Wahlkampf am Ende immer eine Rolle spielt, ja spielen müsse, aber dass Kandidatinnen sich meist schadeten, wenn sie die Gender-Karte zögen. Warren mag Applaus dafür geerntet haben, als sie Bloomberg mit den Sexismus-Vorwürfen gegen ihn konfrontierte. Als Warren einen Bericht bestätigte, wonach ihr Rivale Sanders ihr ins Gesicht gesagt habe, er glaube nicht, dass eine Frau 2020 die Wahl gewinnen könne, wurde sie in sozialen Medien mit Schlangen-Emojis bedacht. Hashtag: #WarrenIsASnake

Frauenschwund im Vorwahlkampf

Das Rennen um die demokratische Präsident*innenschaftskandidatur hatte mit einer Rekordzahl von sechs weiblichen Kandidatinnen begonnen. Aber Kirsten Gillibrand, Kamala Harris und Marianne Williamson verließen das Rennen bereits vor Beginn der Vorwahlen. Die konservativere Demokratin Amy Klobuchar stieg vor dem Super Tuesday aus und sagte Biden ihre Unterstützung zu. Wie übrigens auch Pete Buttigieg, der einzige homosexuelle Kandidat im Vorwahlkampf. Als einzige Frau außer Warren steht nur noch Tulsi Gabbard auf den Wahlzetteln, aber die Kongressabgeordnete aus Hawaii gewann bisher nur eine Delegiertenstimme auf der Pazifikinsel American Samoa.

Historisch betrachtet sind die demokratischen Vorwahlen 2020 jedoch keine Auslöschung, sondern die berühmten kleinen „Risse in der Glasdecke“, von denen Hillary Clinton sprach, als sie im Vorwahlkampf 2008 gegen Barack Obama unterlag. Mit Warren, Klobuchar und Gabbard steigt die Zahl der Frauen, die in der amerikanischen Geschichte Delegierte in US-Präsident*innenschaftsvorwahlen gewonnen haben, von fünf auf acht. Die erste Frau war die republikanische Senatorin Margaret Chase Smith, die 1964 die Nominierung gegen Barry Goldwater verlor. Die zweite war die Afro-Amerikanerin Shirley Chisholm, die beim Nominierungsparteitag 1972 auf 152 Delegierte kam. Die fünfte war Hillary Clinton in den Vorwahlen 2008 und 2016. (Siehe diesen Bericht in Ms. Magazine für einen Überblick.)

Auch im US-Kongress geht es langsam, aber stetig voran. Seit 2019 stellen Frauen etwa ein Viertel aller Mitglieder im Senat und Repräsentant*innenhaus. Das ist zwar wenig im internationalen Vergleich (im deutschen Bundestag sind 31 Prozent der Abgeordneten weiblich), aber ein Rekord für die USA.

Auch im Kongresswahlkampf sieht es nicht so aus als werde die rosa Welle der Demokrat*innen von 2018 versickern. Nur ist es im Status-quo-Jahr 2020 unwahrscheinlich, dass sie weiter an Wucht gewinnt. Das gilt vor allem für die Republikanische Partei, die nur 13 weibliche Abgeordnete im Repräsentant*innenhaus stellt. Es bleibt abzuwarten, wie viele der 215 republikanischen Kandidatinnen in diesem Jahr Erfolg haben werden.

Weiblich, progressiv, divers: Was ist wichtiger?

Weibliche und LGBTQ Abgeordnete, die 2018 im Lager der Demokrat*innen gewählt wurden, haben gute Chancen, ihre Sitze zu verteidigen. Aber es dürfte schwierig werden, das Repräsentant*innenhaus in diesem Jahr noch weiblicher, noch progressiver und noch diverser zu machen. In Texas etwa scheiterte die 26jährige Jessica Cisneros in den Vorwahlen zum Repräsentant*innenhaus bei dem Versuch, den konservativen demokratischen Abgeordneten Henry Cuellar in der Vorwahl herauszufordern. Cisneros war eine von sieben Kandidatinnen, denen Alexandria Ocasio-Cortez ihre Unterstützung ausgesprochen hatte.

Ocasio-Cortez ist das Gesicht einer Gruppe von jungen weiblichen demokratischen Politikerinnen mit ethnisch diversem Hintergrund, die 2019 in den Kongress einzogen. Für die Abgeordnete aus New York mit Wurzeln in Puerto Rico ist Solidarität unter Frauen wichtig, aber nicht das ausschlaggebende Kriterium. Manchmal schickt sie Frauen gegen Frauen ins Rennen, wie in Texas, wo die frühere Luftwaffen-Veteranin MJ Hegar dem Republikaner John Cornyn seinen Sitz streitig machen will. Hegar gewann die Vorwahl gegen die Favoritin von Ocasio-Cortez.

Im Präsident*innenschaftswahlkampf trug Ocasio-Cortez nicht dazu bei, die Glasdecke zu zertrümmern. Sie erklärte im Oktober ihre Unterstützung für Bernie Sanders. Sie begründete dies damit, dass Sanders sich für die Belange von Menschen aus der Arbeiterklasse mit ethnisch diversem Hintergrund einsetze. Ocasio-Cortez ist die Mitgründerin des Green New Deal gegen Klimawandel und für soziale Gerechtigkeit, den auch Sanders unterstützt. Grün ging ihr in diesem Fall vor rosa.