Leerstellen diskutieren und regeln

Pränatale Diagnostik, späte Schwangerschaftsabbrüche und Fetozide sind schwierige Themen, mit denen Schwangere nicht alleine gelassen werden sollten.

doctor with stetoscope

Die Pro Choice Bewegung kritisiert die grundsätzliche Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen und fordert die Abschaffung des Strafgesetzparagrafen in Deutschland. Alternativvorschläge gibt es allerdings bislang kaum. Einige Themen, die für schwangere Personen besonders belastend sein können, sind bisher noch nicht Teil der Debatte geworden: Pränatale Diagnostik, späte Schwangerschaftsabbrüche und Fetozide.

Feminist*innen mit Behinderung kritisieren diese Leerstellen und die Diskussionsverweigerung seit den 1980er Jahren, getan hat sich allerdings wenig. Mittlerweile ist es dank Intersektionalitäts- und Inklusionsdebatten etwas selbstverständlicher, FLINT[1] mit Behinderung mitzudenken. Worüber gelte es also zu reden, um zu einer intersektionalen und emanzipatorischen Neuregelung von Abtreibungen zu kommen?

Pränatale Diagnostik, späte Schwangerschaftsabbrüche und Fetozide

Pränatale Untersuchungen gehören zum Standard der Schwangerenversorgung[2], die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten vieler Tests. Zwar gibt es eine medizinische Aufklärung darüber, nach welchen Markern und Beeinträchtigungen die jeweiligen Tests suchen, diese findet jedoch in der Logik statt, dass dies der Schwangeren „Sicherheit“ biete und das erworbene Wissen positiv für das potentielle Kind sei. Warum eine schwangere Person unter diesen Bedingungen die kassenfinanzierten Tests ablehnen sollte, ist schwer vermittelbar.
Kaum kommuniziert wird jedoch das weitere Vorgehen, wenn tatsächlich eine Auffälligkeit oder Beeinträchtigung festgestellt wird – nur bei den allerwenigsten gibt es irgendwelche Behandlungsoptionen, die dem Fötus tatsächlich helfen können. In der Mehrheit der Fälle ist es dagegen so, dass bei einer Bestätigung durch weitere, psychisch und physisch oft zermürbende abklärende Diagnostik die schwangere Person vor der Entscheidung steht, ob sie die eigentlich gewollte Schwangerschaft beendet.

Schwangerschaftsabbrüche aufgrund der Beeinträchtigung des Fötus sind seit 1995, als die embryopathische Indikation gestrichen wurde, nicht mehr legal. Seitdem finden solche Abbrüche allerdings unter der medizinischen Indikation statt, die Abbrüche erlaubt, wenn die Schwangerschaft die Gesundheit der schwangeren Person gefährdet. Damit dient die medizinische Indikation seit der Reform des § 218 dezidiert als „‚Auffangindikation‘ für die früher embryopathisch indizierten Schwangerschaftsabbrüche“[3].

Bislang wird die Pränataldiagnostik in Deutschland vor allem durch das Gendiagnostikgesetz und das Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt. Welche pränatalen Untersuchungen von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden, ist nicht gesetzlich geregelt, sondern wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) entschieden, einer Selbstverwaltung von Krankenkassen und Ärzte*innenvereinigungen. Patient*innnen und Betroffene haben in dem Gremium nur eine beratende Funktion. Das Gremium entscheidet nur nach medizinischen und ökonomischen Aspekten. Eine Debatte darüber, wie gesellschaftliche und ethische Gesichtspunkte in diese Entscheidungsprozesse eingebracht werden können, oder ob sie der Kompetenz des G-BA entzogen werden sollen, wenn letztere überwiegen, hat begonnen.

Das Gendiagnostikgesetz soll Benachteiligungen auf Grund genetischer Eigenschaften verhindern. Zu diesem Zweck verbietet es, dass das genitale bzw. chromosomale Geschlecht des Fötus den werdenden Eltern vor der 14. Schwangerschaftswoche (SSW) mitgeteilt wird. Eine Diskussion darüber liegt nahe, ob es analoger Regelungen bedarf, wenn Beeinträchtigungen, welche die Gesundheit des Fötus nicht gefährden und deren Mitteilung, keine Handlungsoption bieten könnte, als den Abbruch der Schwangerschaft.

Um solche Probleme aufzufangen, beschloss der Bundestag 2009 eine Änderung des Schwangerschaftkonfliktgesetzes, welches die Paragrafen 218/219 ergänzend regelt. Ärzt*innen sind demnach zu einer Beratung nach pränataler Diagnose, zur Hinzuziehung weiterer relevanter Fachärzt*innen und zur Information über psychosoziale Beratungsmöglichkeiten verpflichtet. Außerdem muss zwischen der Beratung und der Feststellung einer medizinischen Indikation bei der schwangeren Person eine Wartezeit von drei Tagen eingehalten werden. Dies ist eine Regelung analog zur Pflichtberatung und Wartezeit vor einem Schwangerschaftsabbruch nach Beratungsregelung, mit dem Unterschied, dass hier die Ärzt*innen und nicht die Schwangeren verpflichtet werden. De facto betrifft er jedoch die schwangere Person, was die Frage aufwirft, ob diese Beratungspflicht, wie auch die verpflichtende Beratung vor einem Schwangerschaftsabbruch vor der 12. SSW, abgeschafft werden sollte und durch ein breites und frühes psychosoziales Beratungsangebot ersetzt werden sollte.

Ein weiteres Problem ergibt sich bei der Wahl der Methode. In Deutschland wird bei Abbrüchen ab der 14. Woche häufig eine Geburt eingeleitet.[4] Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geschieht das, weil der Fötus „dann oft schon so groß [ist], dass ein Schwangerschaftsabbruch nicht mehr mit der Absaugmethode oder einer Ausschabung der Gebärmutter möglich ist“. In den Niederlanden[5] und den USA[6] werden späte Abbrüche dagegen unter Narkose durchgeführt – der Muttermund wird medikamentös erweitert und der Fötus wird operativ vaginal entfernt. Schwangere sollten hier die Wahl haben und über die Vor- und Nachteile der Methoden aufgeklärt werden.

Bereits 2013 warnte eine Studie des Bundesfamilienministeriums vor einer Verschlechterung der Versorgungslage bei Spätabbrüchen.[7] Pro Familia wies 2017 darauf hin, dass die medizinische Indikation „zumeist nur ausgestellt“ werde, „wenn fetale Fehlbildungen vorliegen, nicht aber aufgrund einer anderen schweren Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit der Frau“. Nach der 12. SSW sei es „in vielen Regionen Deutschlands sehr schwer, sowohl Ärzt*innen zu finden, die eine Indikation ausstellen, als auch Einrichtungen, die diese anerkennen und einen Schwangerschaftsabbruch in der fortgeschrittenen Schwangerschaft aufgrund der psychischen Situation der Frau durchführen, wenn keine fetale Fehlbildung vorliegt“.[8] Diese Situation hat sich seitdem wohl eher verschlechtert. Hier braucht es vor allem mehr Ärzt*innen, die solche Abbrüche überhaupt durchführen, sowie eine breite Debatte in der Ärzt*innenschaft darüber, was eine Gefährdung der Gesundheit der schwangeren Person überhaupt bedeutet und welche Abbruchmethoden angesichts der unterschiedlichen internationalen Praktiken angemessen sind.

Nach der 22. SSW wird zudem von einer potentiellen eigenen extrauterinen Lebensfähigkeit nach der Geburt ausgegangen. Um zu verhindern, dass der Fötus die Abtreibung überlebt, wird daher ein Fetozid durchgeführt, bei dem der Fötus eine Kaliumchloridspritze ins Herz erhält. Rechtlich ist diese Praxis nicht geregelt. Im Falle einer Neuregelung der Abtreibungsgesetzgebung muss auch über dieses schwierige Thema gesprochen werden.

Die Behindertenbewegung kritisiert seit langem, dass mit der pränatalen Suche nach Beeinträchtigungen und Normabweichungen ein negatives Bild von Behinderung verbunden ist und verstärkt wird. Die reale Angst der*des Schwangeren vor einer Behinderung des potentiellen Kindes ist kein medizinisches Problem, das mit pränatalen Untersuchungen und Schwangerschaftsabbrüchen behandelt werden kann. Es ist vielmehr ein Gesellschaftliches: Behinderung gilt als untrennbar verbunden mit persönlichem Leid, körperlichen Schmerzen und unzumutbaren Einschränkungen. Dieses Bild gilt es zu ändern, wenn die Angst von schwangeren Personen vor einem Leben mit Behinderung reduziert werden soll. Zudem muss das Leben von Menschen mit Behinderung von Bürokratie und unzumutbaren Belastungen beispielsweise bei der Wohnungs- oder Arbeitsplatzsuche befreit werden.

Die genannten Problembereiche sind kaum gesetzlich geregelt. In den Überlegungen dazu, wie Schwangerschaftsabbrüche nach einer Streichung der Paragrafen 218 und 219 aus dem Strafgesetz geregelt werden sollen müssten sie aber mitbedacht werden, um bisherige problematische Regelungen und Konventionen durch Fortschrittliche, Diskriminierungsfreie und Gerechte ersetzen zu können.

 


[1] FrauenLesbenInterNonbinaryTrans

[2] Die Studie „Schwangerschaftserleben und Pränataldiagnostik“ im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 2004 mit knapp 800 ehemaligen Schwangeren zeigt, dass PND als fester Bestandteil der Schwangerenversorgung wahrgenommen wird: Nur 15 % der befragten Frauen haben auf PND verzichtet, über 70 % haben mehr als die drei von den Mutterschaftsrichtlinien empfohlenen Ultraschalluntersuchungen in Anspruch genommen. https://www.forschung.sexualaufklaerung.de/projekt/schwangerschaftserle…

[3] Nationaler Ethikrat: Genetische Diagnostik vor und während der Schwangerschaft. Stellungnahme, Berlin 2003, Seite 68.

[7] BMFSFJ: Interdisziplinäre und multiprofessionelle Beratung bei Pränataldiagnostik und Schwangerschaftsabbruch (§ imb-pnd), Abschlussbericht. htpps://www.bmfsfj.de/blob/94040/e66d925286b076af8c322989c5703b5b/interdiszipli…, 2013, Seite 35

[8] Pro Familia: Schwangerschaftsabbruch – Fakten und Hintergründe. https://shop.profamilia.de/fileadmin/publikationen/Fachpublikationen/Hi…, 2017, Seite 29f.