FEMEN: Analyse der Diskurse

Schaufensterfigurenoberkörper mit Aufschrift Femen wird hochgehalten
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Symbolisches Bild für Femenaktivistinnen

FEMEN ist eine radikale Frauenbewegung, die in Kiew vor ca. zwei Jahren entstanden ist. In der Ukraine wird sie meistens skeptisch wenn nicht sogar kritisch wahrgenommen (im Unterschied zu eher positiven Reaktionen der westlichen Massenmedien). Von anderen Formen des Frauenaktivismus und der Frauenbewegung in der Ukraine zeichnet sich FEMEN ganz besonders aus: sie ist für ihre „Topless“-Proteste und für die aktive Nutzung moderner elektronischer Medien bekannt, um schnell und effizient sozial-politische Problemlagen zu akzentuieren.

Die Handlungslogik von FEMEN sieht ungefähr so aus: wenn der weibliche Körper für kommerzielle Werbung so gut geeignet ist, warum sollte man ihn dann nicht für die Thematisierung sozial-politischer Probleme nutzen? Diese schlichte Überlegung hatte natürlich Auswirkungen auf die Symbolik der Dinge. FEMEN benutzt zwar die erkennbare Sprache „des weiblichen Körpers“ aber in untypischen Zusammenhängen. Dieses verursacht scharfe Kritik seitens unterschiedlicher sozialer Gruppen, die diese Symbolik wahrnehmen als „Schutzmechanismus des legitimen Systems der Aufteilung von Bereichen und Sprachen, das von ihr [der Gruppe FEMEN] verletzt wird1.“

FEMEN wird in der Ukraine aus verschiedenen Positionen kritisiert:

Akademisch-feministische Kritik. Ein Teil der akademischen Feministinnen halten FEMEN für „Opfer des Patriarchats“, die ihre eigenen Ziele und Aufgaben nicht festlegen kann. Wenn ihre Handlungen sogar irgendwelchen provokativen Wert besitzen, so wird dieser von der sexistischen Stilistik der Aktionen (sexualisierte Körperlichkeit) entwertet. Der etwas mehr radikale akademische Diskurs nimmt an, dass die „sozial-politischen Probleme“, die von den FEMEN-Aktivistinnen angerissen werden, nur ein Deckmantel sind, der ihrer Nacktheit einen bestimmten Motivationswert und gewissen Heroismus verleiht. Ihr wahres (obwohl nicht immer bewusstes) Ziel ist den eigenen Körper sichtbar zu machen, der ihre einzige Ressource des sozialen Erfolgs ist. (Und die einzige Chance zum Promoten der konkurrenzunfähigen unpopulären Frauen darstellt2).

Anzumerken ist, dass für die akademische Gendergemeinde die Frage nach der Rezeption der Gruppe FEMEN ein echter Prüfstein geworden ist, weil dadurch methodische und ideologische Grundlagen des Theoretisierens enthüllt werden. So entsteht eine paradoxe Situation, weil in dieser Kritik rechte und linke Ansichten zusammentreffen: „von links“ kommen Beschuldigungen der Diskreditierung des Feminismus und des Bürgeraktivismus und „von rechts“ der Entlarvung von nationalen Traditionen und Werten.

Philisterische Kritik. Das misogyne postsowjetische Massenbewusstsein ignoriert sowohl den politischen, als auch den ironischen Bestandteil des FEMEN-Aktionismus und konzentriert sich auf die nackte sexualisierte weibliche Körperlichkeit. Von dieser Perspektive aus verwandeln sich die FEMEN-Aktionen in eine Strip-Performance für Männer. Solche „Fußboden“-Rezipiente können FEMEN nicht kritisieren, sondern versuchen die Ergebnisse ihrer Aktionen zu entwerten und zu neutralisieren. Diese Art von Kritik schaltet unermüdlich und stetig die Aufmerksamkeit von Protesthandlung auf Sex-Performance, Peep Show, Striptease, Unzucht um. (Hier sind typische Kommentare aus dem FEMEN Blog: „Fahre nach Kiew, bin gespannt, (1.) was die Mädels vom Femen-Salon kosten? (2.) Kann man sie per Call bestellen?“ (Nutzer ans24128). Die Nutzer regen sich besonders auf, wenn in den Slogans der Aktionen politische Botschaften wahrzunehmen sind (Kommentar zur Aktion über den Schutz der ukrainischen Sprache vom Nutzer khokholkin „Fuck, werdet ihr euch irgendwann anziehen, ich mag Titten, aber bitte keine Politik mit nackten Möpsen, lauft durch die Straßen, postet eure Fotos, aber ohne Politik“).

Trotz der offensichtlichen Unterschiede haben die erwähnten kritischen Positionen (akademische und philisterische) einen gemeinsamen Grund. Zum einen wird den FEMEN-Aktivistinnen jegliche Subjektivität abgesprochen, und der weibliche „glamourous“-gestylte Körper wird als a priori protestunfähig gesehen. Solche Ansicht interpretiert FEMEN als eine marginale Gruppe von Frauen mit „verkaufsgeeignetem“ Aussehen, die in die Hauptstadt gezogen sind und originelle und effiziente Möglichkeiten zur Steigerung ihres sozialen Kapitals durch scheinbar politische Proteste „topless“ gefunden haben. Zum anderen kommen solche Ansichten von der positivistischen Position „Was ist eigentlich FEMEN?“. (Auf solche Weise werden die gleichen Verhältnisse von „Wissen und Macht“ (Foucault) aufgebaut.)

FEMEN ist eher ein postmodernes, außersystemhaftes Phänomen, das nicht relevant für die üblichen Ansätze der soziologischen Analyse – Kategorien der Klassendominanz und der binären Frames (Mainstream / Marginalität)3 ist. FEMEN kann als Phänomen betrachtet werden, das von folgenden typischen postmodernen Kategorien beschrieben wird: Ironie, Performance, Spiel, Kitsch, Sekundarität. Als Strategie benutzt FEMEN das karnavaleske Parodieren kommerzieller Praktiken, die den weiblichen Körper objektivieren; außer kommerziellen und Werbungsmustern werden auch nationalistische Ideologeme parodiert (Fragmente der Nationaltracht, Kränze, gelb-blaue Farbe am Busen).

FEMEN inkorporiert kitschige glamourouse Bühnenstilistik und Weiblichkeitsmuster – langbeinige schlanke blonde Frauen, Barbies mit schönem Make-up, die sicher und geschwind in ihren High Heels laufen (womit sie natürlich scharfe Tadel der feministisch gesinnten Frauengruppen erwecken). Dieses Abbild der „hohen“ Magazin-Weiblichkeit haben die Aktivistinnen in den Kontext der Straßenproteste, des Unfugs und der Anti-Matrimonialität übertragen. (Nicht zufällig wird so oft nachgefragt, was ihre „boyfriends“ von diesem Aktivismus halten.) Dies evoziert bestimmte Angst oder morale Panik beim größten Teil der ukrainischen Bevölkerung.

Mit parodistischen (manchmal sehr selbstironischen) Mitteln machen die FEMEN-Aktivistinnen ihre Körper komisch und ungeeignet für verehrte traditionelle Frauenrollen, denn ihre öffentliche Entkleidung des Busens ironisiert alle „Busen“-Interpretationen der Weiblichkeit (vom Stillen der Babies bis hin zu erotischen Implikationen). Aus dieser Perspektive wird FEMEN auch als ein lokales postsowjetisches und postkoloniales Projekt gesehen. Die Aktivistinnen haben versucht, den Frauenkörper zu dekolonialisieren, der von der Gewinnlogik (im neoliberalen Diskurs) oder Reproduktion (in der neorechten Bewegung) usurpiert ist.

FEMEN verletzt immer wieder neue symbolische Grenzen des weiblichen/feministischen Bereiches, indem sie ihr Interesse an der grenzenlosen Vielfältigkeit der sozialen und politischen Probleme zeigt. Seit zwei Jahren lenkt FEMEN mittels der Sprache von Verspottung, Witz, Parodie und Unfung öffentliche Aufmerksamkeit auf sich und sichert sich mediale Spannung. Sowohl der berühmte „Tittengraf“ von FEMEN, als auch die glänzende, im Fotoshop verschönerte Blonde mit einem Teller Warenyky auf dem Schloss (als Antwort auf zahlreiche bissige Internet-Fragen, wann „alles andere“ gezeigt wird), als auch „Straßenpissing“ – das alles provoziert eine ganze Welle von Skandal, Kreativität und Paradox, womit bestehende Theorien und übliche soziale Praktiken ständig zur Transgression gebracht werden

Endnoten:

1 Die Definition der Soziologin Julia Soroka aus Charkiw: Gender Museum

2 Wenn diese Interpretation relevant wäre, würden wir mindestens die Abwanderung der „populärsten“ FEMEN-Mitgliederinnen in entsprechende Nischen (z.B. Show-Business) oder „erfolgreiche“ Ehe beobachten. Solche Tendenzen wurden aber bisher nicht festgestellt.

3 Die Idee der Soziologin Larissa Beltser-Lisiutkina, geäußert in den E-Diskussion vom Zentrum für Gender Studies Charkiw