Der deutsche Frauensicherheitsrat

Ute Scheub

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Am 20. März 2003 begann der Krieg der US-Streitkräfte gegen den Irak. Fast zum selben Zeitpunkt, am 28. März 2003, konstituierte sich in Bonn der deutsche „Frauensicherheitsrat“. Der Frauensicherheitsrat ist ein rein ehrenamtlich arbeitendes Netzwerk, das von rund 50 Aktivistinnen aus politischen Stiftungen, Menschenrechtsvereinigungen, entwicklungspolitischen Organisationen, Friedensinitiativen und Friedensforschungsinstituten getragen wird. Es gibt kein Büro und keine Hauptamtlichen. Die Kommunikation wird über eine Website sowie eine externe und interne Mailingliste organisiert, die vom Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Sitftung betreut wird. Gesteuert wird der Frauensicherheitsrat durch eine zehnköpfige Steuerungsgruppe. Sie hat drei wesentliche Ziele formuliert:

 

  • Lobbypolitik und Öffentlichkeitsarbeit zugunsten der Umsetzung von UN-Resolution 1325. Da Deutschland seit Januar 2003 für zwei Jahre nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat war, schien die Gelegenheit besonders günstig.
  • Förderung von zivilen statt militärischen Interventionen.
  • Stärkung und Vernetzung von Frauen in der Entwicklungs-, Außen- und Sicherheitspolitik und die Sensibilisierung von Menschen, die in diesen Bereichen arbeiten, für Geschlechterfragen.

Die Steuerungs-Frauen kamen unter anderem aus der Heinrich-Böll-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung, den Friedensforschungsinstituten BICC und Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF bzw. auf Englisch WILPF), Unifem, der Plattform zivile Konfliktbearbeitung, amnesty international, medica mondiale, dem Frauennetzwerk für Frieden und dem Verein „Scheherazade“. Der Name „Frauensicherheitsrat“ rührt aus der Erfahrung, dass der UN-Sicherheitsrat bei der Wahrung des Weltfriedens immer wieder versagte und nicht selten als „Unsicherheitsrat“ agierte, auch, weil seine fünf ständigen Mitglieder gleichzeitig die größten Waffenexporteure der Welt sind.

Im Laufe der Jahre hat der Frauensicherheitsrat eine erkleckliche Anzahl von Aktivitäten gestartet: Aktionsbündnisse, Veranstaltungen, Konferenzen (unter anderem die internationale Tagung „Roadmap to 1325“), Expertentagungen, Podiumsdiskussionen, Kampagnen, Presseerklärungen, Diskussionen mit PolitikerInnen, Stellungnahmen und Schattenberichte zu offiziellen Regierungsberichten. Die Erfahrungen, die der Frauensicherheitsrat im Umgang mit Politikerinnen und Ministerien gewonnen hat, lassen sich in einem Satz zusammenfassen, den einst der Soziologe Ulrich Beck formulierte: „Verbale Offenheit bei weitgehender Verhaltensstarre.“ Beck zielte damit eigentlich auf das Verhalten deutscher Männer gegenüber ihren Frauen, doch diese Sentenz trifft genauso auf die faktische Verhaltensstarre der Politik gegenüber Geschlechterfragen zu. Zwar ist die bundesdeutsche Politik zur Umsetzung von „Gender Mainstreaming“ und damit auch zur Überprüfung ihrer Vorhaben auf die unterschiedlichen Folgen für Frauen und Männer verpflichtet – doch faktisch wird dies kaum umgesetzt.  Zwar gibt es einzelne engagierte PolitikerInnen – doch sie stehen in ihren Ministerien oder Parteien allein auf weiter Flur. Zwar wurden immer wieder Vertreterinnen des Frauensicherheitsrats in Ministerien oder politische Gremien eingeladen – doch dem folgten kaum Konsequenzen, die Außen- oder Sicherheitspolitik blieb genauso geschlechterblind wie vorher.

Sowohl die rot-grüne als auch die schwarz-rote und schwarz-gelbe Bundesregierung haben sich  geweigert, einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung von Resolution 1325 aufzulegen. Begründung: Das schaffe nur Verwirrung, denn die Bundesregierung habe doch schon zwei andere Aktionspläne, nämlich den zur zivilen Konfliktprävention und den zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Aus Sicht des Frauensicherheitsrates hat dies dazu geführt, dass die Regierung die in der Resolution 1325 formulierten Anliegen weder bündelt noch zu einer Gesamtstrategie formt, sondern sich in vielen kleinen Projekten verzettelt. Das zeigte sich beispielhaft in den beiden bisher vorgelegten Berichten der Bundesregierung zur Umsetzung der Resolution. Hier wurden zahlreiche Projekte und Projektchen aufgeführt, ohne dass eine rote Linie oder kohärente Gesamtstrategie erkennbar gewesen wäre.

Ein wirksames Mittel für Nichtregierungsorganisationen, sich zu Wort zu melden und Kritik zu üben, sind „Schattenberichte“ - also Gegenreports zu offiziellen Regierungsberichten. Auch der Frauensicherheitsrat hat sich dieses Mittels bedient und ausführliche Schattenberichte veröffentlicht, die hinter den Kulissen teilweise erheblichen Wirbel verursachten. Die Kritik des Frauensicherheitsrat lässt sich so zusammenfassen:

  • Die Bundesregierung hat keinerlei systematische Umsetzungsstrategie.
     
  • Im Bericht der Bundesregierung gibt es nur eine vage Definition von Sicherheit. Dieser Sicherheitsbegriff scheint sich an der traditionellen nationalen Sicherheit und an vermuteten Bedrohungsszenarien für die Bundesrepublik zu orientieren und nicht an den Erfordernissen der konkreten und vielfältigen Lebensrealitäten von Frauen und Männern. Das in Teilen sehr innovative Konzept der „Menschlichen Sicherheit“ (Human Security), das inzwischen von mehreren Ländern wie Kanada oder der Schweiz verfolgt wird, taucht nicht auf.
     
  • Außerdem fehlt jeder Hinweis auf die Tatsache, dass die Außen- und Sicherheitspolitik national wie international von Männern und damit ihren Denk- und Wahrnehmungsmustern bestimmt wird. In den meisten Ländern der Welt wird Männlichkeit mit Wehrhaftigkeit und Waffentragen gleichgesetzt, was in vielerlei Hinsicht fatale Folgen hat.
     
  • Resolution 1325 ist ein Schlüssel für eine nachhaltig stabile Friedensordnung, die auf Gewaltfreiheit auf personaler, struktureller und kultureller Ebene beruht, auf sozialer Gerechtigkeit und auf Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. Demgegenüber orientiert sich der Bericht der Bundesregierung anscheinend an einem Friedensziel, das auf kurzfristige und eindimensionale Stabilität ausgerichtet ist.
     
  • Auch der zweite Umsetzungsbericht der Bundesregierung erweckt den Eindruck, als läge eine Begriffsverwirrung vor. Der Querschnittsansatz des Gender Mainstreaming ist weder identisch mit Frauenförderung noch in Deckungsgleichheit zu bringen mit der zielgerichteten Resolution 1325. Gender Mainstreaming ist eine Methode, mit der Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen hergestellt werden soll. Die Ministerien und Behörden sind verpflichtet, jede politische Initiative zu prüfen, ob sie Frauen und Männer gleichermaßen fördert, und wenn nicht, entsprechende Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen. Resolution 1325 hingegen formuliert konkrete Ziele, die unter „3 Ps“ zusammengefasst werden können: Partizipation von Frauen auf allen Ebenen von Friedensprozessen, Prävention von bewaffneten Konflikten, Protektion von Frauen und Mädchen vor sexualisierter Gewalt.
     
  • Die Bundesregierung nützt Resolution 1325 in keiner Weise, um den dringend nötigen Umkehrschub in der bestehenden (inter)nationalen Außen- und Sicherheitspolitik einzuleiten. Umkehrschub in dem Sinne, dass die Außen- und Sicherheitspolitik nicht weiter fast ausschließlich von Männern bestimmt wird. Und Umkehrschub auch in jenem Sinne, dass in Krisen-, Kriegs- und Nachkriegssituationen Frauen die Chance erhalten, auf allen Ebenen gleichberechtigt an der Gestaltung von Prozessen mitzuwirken und somit auch in Führungspositionen zu gelangen. In vielen Teilen der Welt versuchen Männer in gewaltsamen Auseinandersetzungen, mit militärischen Mitteln und massiven Unterdrückungsmethoden ihre Vormachtstellung in der Gesellschaft zu sichern, alle führenden Positionen in Politik und Gesellschaft zu erhalten und Frauen an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Afghanistan und Irak sind hier zwei besonders anschauliche Beispiele. Mit Resolution 1325 läge zum ersten Mal ein Werkzeug vor, diese extrem undemokratische Entwicklung zu stoppen.

Die Situation der afghanischen Frauen war ein Thema, das den Frauensicherheitsrat von Anfang an begleitete. Die fast unverändert schlimme Lage der afghanischen Frauen und Mädchen und ihr weitgehender Ausschluss aus dem nationalen Wiederaufbauprozess ist durchaus typisch für die Fehler und Versäumnisse der internationalen Gemeinschaft. In ähnlicher Weise blieben folgende Probleme bis heute ungelöst:

  • Frauen werden in Friedensprozessen, Friedensverhandlungen und am Nation Building weiterhin kaum beteiligt. Beispiele dafür sind neben Afghanistan auch der Irak, Nahost, Sudan-Darfur oder die Demokratische Republik Kongo.
     
  • Der Frauenanteil auf hohen UN-Posten stagniert ebenso wie der beim Sicherheitspersonal von UN-Friedenseinsätzen.
     
  • Die UN-Friedensmissionen sind vorwiegend männlich bestückt und sind damit Teil des Problems statt der Lösung: In Kambodscha, Kosovo oder Westafrika haben UN-Soldaten Prostitution, Frauenhandel und Aids-Ansteckungsraten befeuert.
     
  • Massenvergewaltigungen und sexualisierte Gewalt werden weiterhin kaum bestraft, da sich die weiblichen Opfer nicht gegenüber männlichem UN-Sicherheitspersonal offenbaren.
     
  • Auch in bundesdeutschen Ministerien existiert herzlich wenig Sachwissen in Sachen Gender & Conflict. Und das, obwohl die Frauenfrage im Zentrum aller Konflikte in und mit der islamischen Welt steht.
     

Weitere Informationen unter:  www.gwi-boell.de.
 

Der Text ist eine gekürzte und veränderte Fassung eines Artikels aus dem Buch „Hoffnungsträger 1325“, herausgegeben vom Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung, Ulrike Helmer Verlag 2008.

Krisen bewältigen, bewaffnete Konflikte beenden - Friedenspolitische Strategien von Männern und Frauen

In Kooperation mit: Frauensicherheitsrat & Friedensfrauen weltweit