Paradigmenwechsel in der deutschen Friedens- und Sicherheitspolitik

Die EU-Sicherheitspolitik hat einen Paradigmenwechsel von der bisherigen Verteidigungs- zur Interventionspolitik vollzogen, der auf die nationalstaatliche Ebene zurückwirkt. In Deutschland hat er mit der aktuell stattfindenden Umstrukturierung der Bundeswehr zur schnell einsatzfähigen Interventionsarmee seine Umsetzung in die Praxis gefunden, die „Quick Reaction Force“ wird bereits seit Juli 2008 in Afghanistan eingesetzt. Auch hierzulande steht nun der „Kampf gegen den internationalen Terrorismus“ im Vordergrund.

„Die Sicherheit der Bundesrepublik wird auch am Hindukusch verteidigt“ – so plastisch formulierte der damalige Bundesverteidigungsminister Peter Struck diesen Politikwechsel bereits im Dezember 2002. Auch die Bundeswehr verwischt nunmehr die Grenzen zwischen zivilen und militärischen Einsätzen und erweitert ihre Aufgaben in den Zivilbereich und in das Gebiet von Entwicklungs- und Außenpolitik hinein. Das geschieht mit den bereits beschriebenen grundsätzlich problematischen Implikationen bei gleichzeitiger mangelnder Gender-Kompetenz. Das zeigt sich auch bei ihrem Einsatz in Afghanistan.

Deutsche SoldatInnen sind in Afghanistan im Rahmen der ISAF (International Security Assistance Force) im Einsatz, außerdem war die KSK (Kommando Spezialkräfte) im Rahmen des US-geführten „War on Terror“ tätig. Erstere übernahmen als NATO-Truppe Aufgaben der Friedensicherung und des Friedensaufbaus, während bei der KSK Intransparenz bezüglich ihrer konkreten Aktivitäten herrschte. Nicht einmal ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss konnte diesbezüglich Licht ins Dunkel bringen.

Die Gewalt, die afghanische Frauen erleben, ist nach wie vor extrem, sowohl vor als auch hinter ihrer Haustür, im privaten wie im öffentlichen Bereich. Diese Problematik haben die dort tätigen, meist männlichen „Internationalen“ der Militärtruppen nach wie vor nicht im Blick. Sie sind nicht in der Lage, geschlechteradäquate Maßnahmen zu ergreifen, die auch Männer einbeziehen, die Partizipation von Frauen im öffentlichen Raum zu unterstützen oder bedrohte Frauen zu schützen. Wenn afghanische Männer öffentlich auf der Straße ihre Frauen zusammenschlagen, darf die Bundeswehr ausdrücklich nicht eingreifen. Bedrohte Frauenrechtlerinnen oder kritische Journalisten werden von den deutschen ISAF-Truppen nicht beschützt. Zudem fehlen Schulungen zur Sensibilisierung der Einsatzkräfte.. Diese Fragen sind nicht Teil der Ausbildung zur Vorbereitung auf ihren Auslandseinsatz und erst recht nicht Teil der Einsatzstrategie. Siehe dazu „Zivil-militärische Zusammenarbeit in Afghanistan“.

Die Tatsache, dass Frauen inzwischen in die kämpfenden Einheiten der deutschen Truppen aufgenommen werden, ändert an den traditionellen Männlichkeitsmustern in der Bundeswehr kaum etwas. Das erscheint auch bereits durch die Zielvorgabe ausgeschlossen, nach der eine Gleichstellung der Geschlechter bereits als erreicht gilt, wenn 15 Prozent Frauen in kämpfende Einheiten aufgenommen sind...Die „kritische Masse“ einer „Minderheit“ von 30 Prozent, die qualitative Veränderungen herbeiführen könnte, wird gar nicht erst angestrebt.

Der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“, der im Jahre 2004 von der damaligen, rotgrünen Bundesregierung verabschiedet wurde, ist eine Ausnahme im militärisch dominierten Konzept bundesdeutscher Sicherheitspolitik. Er konzentriert sich auf zivile Konfliktbearbeitung und setzt strategisch bei der Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Krisenländern an. Er benennt ausdrücklich die Notwendigkeit der Partizipation von Frauen „an den Machtstrukturen und ihre volle Mitwirkung an allen Bemühungen um Krisenprävention und Konfliktbeilegung“ als Voraussetzung für den friedlichen Wiederaufbau eines demokratischen Rechtsstaates. Er fordert Maßnahmen zur stärkeren Beteiligung der Zivilgesellschaft und dabei besonders zur Förderung geschlechtersensibler Nichtregierungsorganisationen. Im Gegensatz zur Ausbildung bei der Bundeswehr führt der Aktionsplan das Kriterium „gendersensibles Verhalten“ bei der Ausbildung für Polizeikräfte ein.

Der Aktionsplan bietet zumindest einen positiven Anknüpfungspunkt für geschlechterorientierte Ansätze; auch auf die UN-Resolution 1325 wird Bezug genommen. Außerdem finden sich dort Ansätze zur Einbeziehung zivilgesellschaftlicher AkteurInnen sowie zur Nutzung ihrer Expertise. Ohne die Bereitstellung adäquater finanzieller Mittel wird das alles jedoch folgenlos bleiben. Siehe dazu „Aktionsplan zur zivilen Krisenprävention“ und „Institutionen der zivilen Konfliktbearbeitung“.

Dass der Aktionsplan wenig realpolitische Bedeutung hat, lässt sich auch an den Mitteln ablesen, die dafür zur Verfügung gestellt wurden. Eine Schätzung der grünen Bundestagsfraktion für das Jahr 2007 ergab, dass die Ausgaben für das Militär gegenüber denen für die zivile Konfliktbearbeitung mit 3,2 versus 24 Milliarden Euro fast das Achtfache betrugen, und zwar selbst dann, wenn man sehr positiv rechnet und etliche in der Einordnung zweifelhafte Posten zur zivilen Konfliktbearbeitung rechnet. Neu war jedoch, dass der Ressortkreis zivile Konfliktbearbeitung im selben Jahr erstmalig über einen eigenen kleinen Fonds von 10 Millionen Euro verfügte, der für kleine Wiederaufbau-Projekte in Nordafghanistan benutzt wurde.

Im Sommer 2008 hat die Bundesregierung zum zweiten Mal einen Bericht zur Umsetzung des Aktionsplans vorgelegt. Dessen Inhalt war weniger interessant als das, worüber nicht berichtet wurde. Eine Untersuchung zum Stand der Zusammenarbeit zwischen den Ministerien verschwand in den Schubladen, offenbar, weil das Ergebnis erhebliche Mängel zeigte. Vor allem die Kooperation zwischen Außenministerium und Entwicklungsministerium gilt seit Jahren als schwierig, weil sie immer wieder durch Ressortstreitereien und Kompetenzrangeleien behindert wird. Auch die Arbeitsgruppe „Wirtschaft und zivile Krisenprävention“ habe Ende 2007 ihre Arbeit eingestellt, heißt es in dem Bericht, weil sich die Umsetzung des im Aktionsplan vorgegebenen Zieles, „die friedensfördernde Rolle des Privatsektors“ herauszustellen, „schwierig“ gestaltet habe.

Warum, steht nicht in dem Papier: In vielen Fällen spielt die Privatwirtschaft tatsächlich eine konfliktverschärfende Rolle, zum Beispiel beim Rüstungsexport oder bei der Ruinierung westafrikanischer Fischer durch europäische Fangflotten. Im Report ebenfalls kein Thema ist die faktische Schwächung der Strukturen der zivilen Konfliktbearbeitung, obwohl die internationale Lage das Gegenteil erfordert. Sogar und gerade Militärs drängen vielfach verstärkt auf zivile Maßnahmen. Doch der frühere Krisenbeauftragte des Auswärtigen Amtes gab Anfang 2008 sein Amt auf, weil er sich behördenintern zu wenig unterstützt fühlte. Auch wird der Ansatz der zivilen Krisenbearbeitung im Bundesverteidigungsministerium immer noch wenig unterstützt. Im 2006 vorgelegten „Weißbuch“ des Bundesverteidigungsministeriums fungiert der Aktionsplan gerade mal als ein „Baustein“ unter vielen.