POSITIONEN DES GUNDA-WERNER-INSTITUTS

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Neue Krisen und Kriege
Das Ende des Ost-West-Konflikts - verschärfte globale Ungleichheiten. Internationaler Terrorismus, Wirtschaftskrise und Klimakatastrophe haben neue Bedrohungs- und Gewaltszenarien mit sich gebracht. Clans und Warlords, globale Terrornetzwerke, internationale Drogenkartelle, Waffen- und Menschenhändlerringe stellen die internationale Sicherheits- und Friedenspolitik vor völlig neue Anforderungen. Zwar sind Konflikte und Kriege zwischen Staaten nicht verschwunden. Aber die Mehrheit aller gewaltförmigen Konflikte wird innerhalb von Staaten und zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ausgetragen. Das Gewaltmonopol und die Schutzaufgabe des Staates werden zunehmend ausgehöhlt, erheblich mehr ZivilistInnen als KombattantInnen fallen kriegerischen Auseinandersetzungen zum Opfer.

Menschliche Sicherheit bedeutet mehr als die Abwesenheit von Krieg
Die Ursachen der Konflikte und Kriege sind unter anderem in Armut, Krankheiten, Umweltzerstörung, ungleichen Macht- und Gewaltverhältnissen, aber auch in Terrorismus und Kriminalität zu finden. Die Organisation der Vereinten Nationen (UNO) hat auf diese Probleme reagiert und neue sicherheits- und entwicklungspolitische Konzepte entwickelt, die die Durchsetzung und Wahrung von Menschenrechten einfordern. Dazu gehört unter anderem das weltweite Recht auf Unversehrtheit, Freiheit, soziale Gerechtigkeit, aber auch die Versorgung mit Nahrung und Wasser. Das im Rahmen der Vereinten Nationen ausgearbeitete neue Sicherheitskonzept »Human Security« zielt auf die Sicherheit von Menschen statt auf die von Staaten. Das Konzept bietet die Chance, die persönliche Sicherheit von Frauen und Mädchen einzubeziehen und weist einen Weg zu einem neuen, nachhaltigen Verständnis von Frieden und Sicherheit.

Frieden und Sicherheit durch Militärpräsenz?
Auch die USA und die Europäische Union haben ihre Außen- und Sicherheitspolitik im Hinblick auf die von ihnen definierten Sicherheitsrisiken neu bestimmt. Die neue Sicherheitspolitik der EU, die von Deutschland geteilt wird, erweitert ihre Definition von Sicherheit. Militärische Interventionen sind darin wie selbstverständlich vorgesehen. Die Umstrukturierung militärischer Einrichtungen und Bündnisse wie Bundeswehr und NATO ist in vollem Gange. In diesen Strategien spielen menschen- und frauenrechtliche Aspekte kaum eine Rolle. Indem die Aufgaben des Militärs sich bis weit in den zivilen Bereich ausdehnen, soll in Konfliktregionen „Sicherheit“ und „Frieden“ hergestellt werden. Aber: Um wessen Sicherheit geht es hier? Herrscht Frieden, wenn die Zivilbevölkerung in Angst und Schrecken lebt, Hunger und Mangel leidet? Wie kann Frieden einziehen, wenn zivile Kräfte in den Hintergrund gedrängt werden und einheimische Frauen bei der Gestaltung des ‚Friedens’ außen vor bleiben?

Friedens- und Sicherheitspolitik ist geschlechterblind
In der Außen- und Sicherheitspolitik fast aller Staaten, auch der Europäischen Union, wird die Geschlechterfrage nach wie vor ausgeblendet. Das Wissen darüber, dass ungleiche Geschlechterverhältnisse politische Konflikte verursachen und verschärfen können, wird ignoriert. Stattdessen reproduzieren militärische Strategien häufig veraltete Geschlechterbilder und Vorurteile. Aber die Zuschreibung »Frauen = Frieden« versus »Männer = Krieg« ist irreführend: Frauen und Männer sind immer, wenn auch unterschiedlich, in Gewalt-, Konflikt- und Kriegsituationen verstrickt. Zugleich werden gerade Frauen regelmäßig als »nationale Siegerbeute« behandelt und vergewaltigt; nach Kriegsende werden sie oft von den militärischen Schutztruppen sexuell ausgebeutet. Frauen tragen außerdem die Hauptlast einer zerstörten Infrastruktur und deren Auswirkungen auf die Familien.

Frauen an Entscheidungen über Krieg und Frieden beteiligen
Frauen müssen auf allen politischen Entscheidungsebenen - auch den höchsten - gleichberechtigt beteiligt sein, wenn es um Krisenbewältigung und Friedenssicherung, Militäreinsätze, Waffenstillstände oder Friedensverträge geht. Seit Jahren ist dies eine zentrale Forderung von Frauen in Krisen- und Konfliktregionen, von frauenpolitischen und feministischen Netzwerken weltweit. Dabei stützen sie sich auf die Menschenrechtskonventionen und das Völkerrecht, insbesondere auf die im Jahr 2000 verabschiedete Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrats. Die UN-Resolution ist ein Meilenstein zu einer geschlechtersensiblen Friedens- und Sicherheitspolitik: Zum ersten Mal hat der UN-Sicherheitsrat eine völkerrechtlich bindende Vorgabe zur Beteiligung von Frauen über Krieg und Frieden und zur Berücksichtigung von Geschlechterkompetenz bei internationalen Einsätzen gemacht. Aber solange die meisten nationalen Regierungen keine konkreten Umsetzungsschritte entwickeln, zum Beispiel Aktionspläne zur Umsetzung von Resolution 1325, bleibt diese nur ein Stück Papier.

Geschlechtergerechtigkeit als Basis für Konfliktprävention und Frieden
Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Die Ziele einer geschlechtergerechten und gewaltfreien Gesellschaft sind nicht durch das Militär, sondern durch zivilgesellschaftliche Formen der Konfliktregulierung, vor allem durch Prävention zu verwirklichen. Konfliktbeilegung ohne die Beteiligung der Frauen ist nicht möglich. Dabei geht es nicht darum, eine marginalisierte Bevölkerungsgruppe einzubeziehen, sondern um den Ausgleich grundlegender Machtasymmetrien, die fast jede Gesellschaft dieser Welt strukturieren. Die UNO hat mit mehreren Weltgipfeln in diese Richtung gewiesen und die zivile Konfliktprävention sowie menschen- und frauenrechtliche Normen gestärkt.

Fachgespräch am 26.05.2009: Responsibility to Protect (R2P): Schutzverantwortung aus Gender-Sicht

Feministische Dilemmata
Nicht alle Konflikte können allein mit zivilen Mitteln gelöst werden. Militärische Interventionen können das letzte Mittel sein, wenn Genozid, andere Formen von Massenmord oder ethnischen „Säuberungen“ nicht anders zu verhindern sind. Bedingung hierfür ist die Legitimation durch die UN. Daher müssen sich auch Menschen mit einer feministisch-pazifistische Haltung die Frage nach der Beteiligung von Frauen im Militär stellen. Gender-Kompetenz und Wissen um die Geschlechterverhältnisse in Einsatzgebieten sind ein Muss für jede Militärausbildung und durch die aktive Beteiligung von Soldatinnen werden einheimische Frauen eher vor sexueller Ausbeutung und Frauenhandel durch Einsatztruppen geschützt.

Zivile Konfliktprävention hat ein Legitimationsproblem
Wenn Gewaltkonflikte durch Konfliktprävention verhindert werden, ist dies kaum mess- und beweisbar. Die Kosten für Konfliktprävention sind politisch schwerer legitimierbar. Auch ist Konfliktprävention medial wenig interessant. Dies gilt auch für geschlechterpolitische und feministische Ansätze sowie andere Initiativen in diesem Bereich, die die völkerrechtlichen Vorgaben der UN aufgreifen: Sie finden im Mainstream nur wenig Beachtung. Damit diese neuen Ansätze zur Konfliktprävention von den nationalen Regierungen ernst genommen werden und nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben, hat das Gunda-Werner-Institut in Zusammenarbeit mit dem „Frauensicherheitsrat“ ein europaweites Projekt zur Durchsetzung der UN-Resolution 1325 entwickelt: »Roadmap to 1325«.

Forderungen zur praktischen Umsetzung
Die Geschlechterperspektive ist ein wichtiger Faktor für die Nachhaltigkeit politischer Strategien der Friedenssicherung und Konfliktprävention. Im Interesse einer nachhaltigen Friedenspolitik haben wir konkrete Vorschläge und Forderungen entwickelt. Dazu gehören die Beteiligung von Frauen und der systematische Aufbau von Genderkompetenz für alle Bereiche der Konfliktprävention, Konfliktbearbeitung und Nachkriegsarbeit. Für den Erfolg von Friedensmissionen ist gendersensibles und qualifiziertes Personal unabdingbar. Gendertraining muss in die Aus- und Fortbildung von Militär und polizeilichem Friedenspersonal integriert werden. Jede Sicherheitsstrategie ist auf ihre spezifische Wirkung nach Geschlecht und Gruppenzugehörigkeit hin zu überprüfen. Das völkerrechtliche Gewaltverbot muss auf allen Ebenen gestärkt, der Schwerpunkt der Politik auf Maßnahmen der zivilen Friedenssicherung liegen.

Anmerkung
Diese Thesen sind das Ergebnis eines Positionspapiers, das 2006 vom ehemaligen Feministischen Institut im Kontext der interdisziplinären Arbeitsgruppe Gender in der Friedens-, Sicherheitspolitik und zivilen Konfliktprävention erarbeitet wurde. Wir danken herzlich: PD Dr. Christine Eifler (Universität Bremen), Prof. Dr. Cilja Harders (damals Ruhr-Universität Bochum), Jutta Kühl (damals Humboldt Universität zu Berlin), Prof. Dr. Ilse Lenz (Ruhr-Universität Bochum), Daphné Lucas (Berlin/Genf), Dr. Regine Mehl (damals Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Bonn), Ute Scheub (Journalistin und Autorin, Berlin), Dr. Cornelia Ulbert (Institut für Entwicklung und Frieden, Universität Duisburg-Essen), Barbara Unger (Gutachterin, Berlin) Johanna Bussemer (Berlin), Gitti Hentschel, Ulrike Allroggen und Magdalena Freudenschuß (damals Feministisches Institut). Stand: Dezember 2008

Thesenpapier als [» PDF]. Eine ausführliche gedruckte Version dieses Positionspapiers finden Sie in der Broschüre „Sicherheit für alle“, die Sie bei uns im Institut bestellen können.