Lesen Sie das Kleingedruckte

Wie haben sich feministische Debatten über reproduktive Rechte bzw. über Reproduktionsmedizin in den letzten Jahrzehnten verändert?

Sigrid Arnade und Petra Stephan: Die Diskussion über reproduktive Rechte und Reproduktionsmedizin verfolgen wir aus einer feministisch-behindertenpolitischen Perspektive eher skeptisch. Je weiter die Technik fortschreitet, je mehr Kontrollmöglichkeiten es für den Lebensbeginn gibt, umso mehr wird die Selbstbestimmung von Frauen geopfert, umso mehr werden behindertenfeindliche Ressentiments geschürt. Mit den zunehmenden technischen Möglichkeiten wird vorgegaukelt, dass eine Welt ohne Krankheiten möglich und planbar sei – der Mensch hätte es in der Hand.

Unserer Ansicht nach sind die betroffenen Frauen die Verliererinnen dieser Entwicklung. Die Diagnose einer Auffälligkeit während der Schwangerschaft geht schon fast zwangsläufig mit einem Schwangerschaftsabbruch einher: Weder werden die Frauen mit umfassenden Informationen versorgt, noch findet eine öffentliche breite Debatte zu diesen Themen statt. Die betroffenen Frauen bleiben alleine, während der gesellschaftliche und familiäre Druck wächst: bloß kein behindertes Kind zur Welt zu bringen. Von Selbstbestimmung der Frauen kann unter diesen Gegebenheiten immer weniger die Rede sein. Gleichzeitig wird mit dem „Schreckgespenst“ eines Lebens mit Behinderung gedroht. Dazu sollte man zweierlei wissen: Nur etwa vier Prozent der Behinderungen sind angeboren bzw. werden im Laufe des ersten Lebensjahres erworben. Und: Als behinderte Menschen vertreten wir die Auffassung, dass es weniger unsere individuellen Beeinträchtigungen sind, die uns von einer gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft ausschließen, sondern vielmehr die einstellungs- und umweltbedingten Barrieren. Mit Ersteren sind die Vorurteile gegenüber behinderten Menschen gemeint, mit Letzteren die fehlende Barrierefreiheit.

Ein weiterer Aspekt sollte nicht unerwähnt bleiben: Reproduktionstechnologien wie Leihmutterschaft werden im Kontext von Armut realisiert. Frauen sind gezwungen, ihre Gebärfähigkeit zu verkaufen, und nehmen Hormontherapien mit unbekannten Nebenwirkungen hin. Hier vermissen wir Aufschrei und Widerstand in der feministischen Debatte.

 

Sigrid Arnade ist Geschäftsführerin der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e. V. (ISL).
Petra Stephan ist ISL-Sprecherin für bioethische Fragestellungen.


Wer darf sich eigentlich fortpflanzen?

Maria Wersig: Theoretisch alle. Das Recht, über die Zahl und den Altersabstand der Kinder selbst zu entscheiden, gehört zum Kern der Selbstbestimmung. Es gehört zu den reproduktiven Rechten, die die UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW) garantiert, ebenso wie den Zugang zu den für die Ausübung dieses Rechts erforderlichen Informationen und Mitteln. Einschränkungen des Abtreibungsrechts sind also eine Diskriminierung. Trotzdem gibt es in Deutschland kein Recht auf Abtreibung – sie wird nur nach der Fristenlösung mit Beratung nicht bestraft –, sondern im Gegenteil eine Austragungspflicht für Schwangere. Dennoch sind Verhütungsmittel selbst für Bedürftige nicht gratis, denn Verhütung ist „Privatvergnügen“.

Ein Recht auf ein Kind im Sinne eines Leistungsanspruchs gegenüber dem Staat oder Dritten gibt es ebenfalls nicht. Die Umsetzung der eigenen Fortpflanzungswünsche hat also Grenzen – rechtlich, finanziell und tatsächlich, weil es keinen Anspruch gibt, den Körper eines anderen Menschen dafür einzusetzen. Wessen Fortpflanzung ermutigt wird? Ehepaare erhalten eine Kostenübernahme für Reproduktionstechniken von der gesetzlichen Krankenversicherung, andere Paare oder Alleinstehende hingegen nicht. Wenn sich Politiker*innen darüber sorgen, wer angeblich zu wenige Kinder bekommt, sind die gut situierten weißen Akademiker*innen im Fokus der Debatte. Rassistisch markierte Menschen, Menschen mit Behinderungen, Alleinerziehende und alle in prekären Beschäftigungsverhältnissen werden stattdessen nicht unbedingt zur Fortpflanzung ermutigt, was man zum Beispiel daran erkennen kann, dass selbst das Mindestelterngeld bei Hartz IV angerechnet wird oder nur geduldete Ausländer*innen gleich gar keinen Elterngeldanspruch haben.

Können die neuen Reproduktionstechnologien aber nicht auch dazu beitragen, Gleichheit herzustellen, zum Beispiel für gleichgeschlechtliche Paare oder alleinstehende Personen, die damit die Möglichkeiten ihrer Reproduktionsfähigkeit erweitern? Ja, aber nur, wenn man ihnen den Zugang zu Reproduktionstechnologien endlich per Gesetz erlaubt. Deutschland braucht ein Fortpflanzungsmedizingesetz, wie es Österreich bereits hat. Alleinstehende und gleichgeschlechtliche Paare haben nach der Musterrichtlinie der Bundesärztekammer zur künstlichen Befruchtung kein Recht auf eine ärztlich assistierte Fortpflanzung (etwa durch Samenspende und intrauterine Insemination). Es ist ein Skandal, dass der Gesetzgeber diese grundsätzliche Entscheidung ärztlichem Standesrecht überlässt. Bis dahin fahren die Betroffenen ins Ausland oder gehen zu Ärzt*innen, die nicht genau nachfragen, in Bundesländer, deren Ärztekammern nicht so streng sind.

Soll allerdings alles, was technisch geht, auch erlaubt sein? Das biologisch „eigene“ Kind ist inzwischen unbedingter Teil eines gelungenen Lebensentwurfs – zumindest will die Fortpflanzungsmedizinindustrie das den Menschen mit Kinderwunsch einreden, dass dafür scheinbar alles versucht werden muss. Auch das Social Freezing von Eizellen wird mit dem Argument beworben, sich später keine Vorwürfe machen zu müssen, nicht alles versucht zu haben. Inwieweit Menschen, die selbst nicht gebärfähig sind, zum Beispiel über die Leihmutterschaft die eigenen Reproduktionsfähigkeiten erweitern können sollen, ist umstritten. Das deutsche Recht geht davon aus, dass Leihmutterschaft verboten und ein solcher Vertrag sittenwidrig ist. Rechtlich gesehen ist die Leihmutter immer Mutter des Kindes, weil sie das Kind geboren hat (§ 1591 BGB). Die Akzeptanz von Leihmutterschaften aus dem Ausland schreitet in Deutschland allerdings rechtlich voran: Im Dezember 2014 urteilte der Bundesgerichtshof, dass ein schwules Paar als Väter in die Geburtsurkunde ihres in den USA von einer Leihmutter geborenen Kindes einzutragen sei.

Maria Wersig ist Professorin für Sozialrecht an der FH Dortmund und engagiert sich im Deutschen Juristinnenbund.


Warum gilt eine Person, die gebärt, automatisch als Mutter? Kann auch jemand, der*die einen Penis hat, Mutter sein?

Caroline Voithofer und Magdalena Flatscher-Thöni: Die banale Antwort von uns als Juristinnen ist: Weil es so im Gesetz steht und Gesetze für das Recht definieren, was unter bestimmten Begriffen zu verstehen ist. Eine „Mutter“ ist eine Frau, die ein Kind geboren hat. Dieselbe Sicht auf die Welt – nämlich jene aus dem Gesetz heraus – lässt aber auch die Antwort zu: Ja, klar kann diese Mutter auch einen Penis haben, wenn eben die Person, die das Kind geboren hat, einen solchen hat. Penis oder nicht, das ist für das Gesetz irrelevant. Das Recht ist damit ziemlich autoritativ und verleugnet die Selbstbestimmung von Menschen, die nicht „Mutter“ oder doch „Mutter“ sein wollen. In Österreich wurde 2015 eigens der Begriff „Elternteil“ eingeführt, damit ein Frauenpaar, das gemeinsam mittels Reproduktionstechnologien ein Kind bekommt, nicht aus zwei Müttern besteht.  Das Recht ringt hier um eine Eindeutigkeit der Geschlechter- und Elternbezeichnungen, die der Lebensrealität vieler Menschen nicht entspricht. Dabei geht es wohl immer noch darum, eine traditionelle Kleinfamilienordnung – bestehend aus Vater, Mutter, Kind – als Leitmodell aufrechtzuerhalten, obwohl die Wirklichkeiten viel bunter sind. Das geht auf Kosten jener, deren Leben dem nicht entspricht. Dass etwa ein Transmann, der bereits einen langen (rechtlichen) Kampf um die Änderung seines Geschlechtseintrags im Geburtenbuch und seines Vornamens ausgefochten hat, diesen Kampf, wenn er ein Kind gebärt, für den Erhalt einer zu seiner Geschlechtsidentität passenden Elternbezeichnung erneut aufnehmen muss, ist unzumutbar.

Dabei würde ein Blick in die Rechtsgeschichte zeigen, dass das Recht durchwegs mehr Selbstbestimmung zulassen kann: Im Allgemeinen Preußischen Landrecht von 1794 bestand für „Zwitterpersonen“ die Möglichkeit, mit Erreichen der Volljährigkeit selbst zu bestimmen, welchem Geschlecht sie zukünftig angehören wollten. Die dafür zulässigen Geschlechtskategorien waren jedoch nur Mann oder Frau – aber immerhin gab es eine Wahlmöglichkeit.

Caroline Voithofer ist Universitätsassistentin am Institut für Zivilrecht an der Universität Innsbruck und Mitherausgeberin von „juridikum – zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft“.
Magdalena Flatscher-Thöni ist Assistenzprofessorin am Department für Public Health und HTA an der UMIT – Private Universität für Gesundheitswissenschaften in Hall in Tirol. Seit 2011 arbeiten sie gemeinsam an Themen rund um Reproduktionsmedizin und Recht.


In den jeweiligen europäischen Ländern herrschen unterschiedliche Gesetzeslagen – in Deutschland etwa sind Eizellenspende und Leihmutterschaft illegal. Welche Auswirkungen hat dies, wenn ich diese Dienstleistungen dennoch anbieten oder in Anspruch nehmen will?

Felicita Reuschling: Die Frage danach, ob und wie ich persönlich reproduktionstechnologische Services in Anspruch nehmen kann, reproduziert lediglich die Perspektive der zahlungsfähigen Kundin, macht aber nicht die Akteur*innen und Strukturen innerhalb dieses Marktes sichtbar, wie Leihgebärende und Eizellenverkäuferinnen, aber auch Fruchtbarkeitskliniken. Denn ähnlich wie Haus- und Pflegearbeiten häufig von Frauen aus Ländern mit einem niedrigeren Lohnniveau kostengünstig übernommen werden, profitiert auch der Markt für Eizellentransfer vom niedrigen Lohnniveau der Länder, die diese Praktiken legalisiert haben.

Feminist*innen des 20. Jahrhunderts haben sich im Rahmen fordistischer Familienmodelle – wo der Mann für das Einkommen sorgte und die Frau zu Hause blieb – vor allem mit der Bedeutung unbezahlter Reproduktionsarbeiten auseinandergesetzt. Nachholen müssen wir die Diskussion, wie und warum reproduktive Arbeiten zunehmend global warenförmig nachgefragt und eingekauft werden. Das betrifft nicht nur notwendige Haus- und Pflegedienstleistungen, die, bezahlter- wie unbezahlterweise, weiterhin vor allem von Frauen bestritten werden (siehe dazu auch aktuelle Auseinandersetzungen des Bündnisses „Care Revolution“). Es braucht auch feministische Antworten auf reproduktionsmedizinische und klinische Dienstleistungen wie Eizellentransfer und Leihgebären.

Das Buch „Sie nennen es Leben, wir nennen es Arbeit“, das 2015 vom Kollektiv Kitchen Politics herausgegeben wurde, beschäftigt sich kritisch mit der Frage, wie Fortpflanzung zunehmend Teil von Wertproduktion geworden ist. Und auch, wie sich durch Reproduktionstechnologien die Beziehungen zwischen Familienformen und Arbeitsbegriffen verändern. Dabei entsteht ein postutopisches und zugleich paradoxes Szenario: Einerseits wird die Familie zunehmend in den Bereich der Ökonomisierung einbezogen. Das führt zu einer neuen Arbeitsteilung innerhalb der Reproduktionsarbeit, indem Kinderbetreuung oder Eizellproduktion an Dienstleisterinnen warenförmig ausgelagert wird. Gleichzeitig wird aber die Rechtsform der Familie gefestigt. Parallel bleibt der Wunsch nach dem genetisch „eigenen“ Kind, also nach der Sphäre persönlicher Beziehungen im Gegensatz zur Ökonomie, erhalten. Es bleibt zu diskutieren, wie die Idee, familiäre Lebensentwürfe zu transformieren, nicht nur als individuelles Projekt formuliert werden kann, sondern auch als gemeinschaftliche und gesellschaftliche Sorgepraxis abseits der „genetischen“ Kleinfamilie.

Felicita Reuschling ist Kulturproduzentin für Ausstellungen, Veranstaltungsreihen und Texte in Berlin und Mitglied des Herausgeber*innenkollektivs Kitchen Politics.


Derzeit wird in Indien über ein Verbot der kommerziellen Leihmutterschaft für Paare aus dem Ausland diskutiert. Wie ist ein solcher Gesetzesvorstoß einzuschätzen?

Christa Wichterich: Nirgendwo boomt das Geschäft mit Leihmüttern so wie in Indien, nirgendwo ist es so industrialisiert und normalisiert, wenn auch heftig umstritten. Seit 2002 hatte die indische Regierung Lizenzen an dreitausend Kliniken zur In-vitro-Fertilisation vergeben, eine Vielzahl von Vermittlungsagenturen, Kanzleien zur Rechtsberatung sowie spezialisierte Logistik- und Touristikunternehmen sind entstanden. Schätzungen besagen, dass im vergangenen Jahrzehnt 25.000 Babys auf Bestellung in Indien geboren wurden, achtzig Prozent der Bestelleltern sollen aus dem Ausland kommen. Der Preis für die ganze Prozedur beträgt nur die Hälfte von dem, was in den USA anfällt.

Der Hintergrund für das neue Gesetz sind reichliche Skandale: Eine Leihmutter starb nach der Geburt, die Verfahren wurden zunehmendinformeller, Rikschafahrer agierten als Vermittler und sahnten dabei kräftig ab. Bei Bollywoodstars ist es chic, im fortgeschrittenen Alter noch ein Leihmutterkind zu bekommen, Kinder deutscher Wunscheltern durften nicht ausreisen, weil Leihmutterschaft in Deutschland verboten ist. Die reproduktiven Märkte in Asien funktionieren gerade wie ein Schachbrett, auf dem die Figuren durch immer neue Gesetze verschoben werden. Indien hat – wie auch Russland – Leihmutterschaft für Schwule verboten, Thailand hat sie für Ausländer*innen verboten, in Nepal ist sie komplett untersagt, China hat seine Ein-Kind-Politik revidiert und Leihmutterschaft erlaubt.

Die indische Außenministerin hat als Vorsitzende der Gesetzeskommission das geplante Verbot doppelt begründet: Einerseits gehe es darum, arme Inderinnen vor Ausbeutung zu schützen, andererseits entspräche Leihmutterschaft nicht der indischen „Moral“. Nach 14 Jahren Wildwuchs in der Reproindustrie gibt die nationalistische, hindu-chauvinistische Partei nun plötzlich der Moral Vorrang vor den neoliberalen wirtschaftspolitischen Interessen. Hier geht es mehr um ihr Image moralischer Überlegenheit als um die Interessen armer Frauen. Schon jetzt gehen die Reproduktionsunternehmen in den Untergrund. Indische Kliniken und Vermittlungsagenturen bauen Zweigstellen in Kambodscha auf, um ihre Geschäfte von dort aus zu betreiben.

Babys machen. Sex ist schon lange keine Voraussetzung mehr, um Kinder zu kriegen. Für wen gilt eigentlich das proklamierte Recht auf Fortpflanzung? Werden wir befreit oder drohen neue Zwänge? Und wie begegnen wir den feministischen Herausforderungen der globalen Fortpflanzungsindustrie?

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Welche Auswirkungen hätte ein solches Verbot für die betroffenen Leihmütter?

Als die indische Regierung 2012 Leihmutterschaft für Schwule verbot, wurden schwangere Leihmütter nach Nepal verfrachtet und brachten dort das bestellte Kind zur Welt. Seitdem Thailand Leihmutterschaft verboten hat, werden Thailänder*innen zum Embryotransfer und zur Geburt nach Kambodscha geflogen, verbringen die Schwangerschaft aber zu Hause. Solche mobilen Arrangements sind auch für indische Leihmütter die Zukunft.

Das zentrale Motiv indischer Leihmütter ist das Einkommen (im besten Fall 6.500 Euro), das so hoch ist wie der Zehnjahresverdienst eines Landarbeiters oder Rikschafahrers. Es steigert ihr Selbstbewusstsein, so viel in die Familie einzubringen. Was immer der Anstoß für die Leihmutterschaft ist – meist ein Mix aus Druck vonseiten des Ehemanns, eigener Befürwortung und Rekrutierung –, die meisten Frauen tun es, damit ihre Kinder eine bessere Zukunft haben. Doch die Vorstellung, dass dieser Verdienst die Familie von Armut in Wohlstand befördert, ist ein Mythos. Meist ist das Geld schnell verteilt und ausgegeben, sodass sich nicht wenige Leihmütter für eine zweite oder gar dritte Leihmutterschaft entscheiden. Leihmütter fordern eine Anerkennung ihrer Tätigkeit als Arbeit, denn sie müssen ständig den Verdacht der Sexarbeit abwehren und gleichzeitig der Erwartung gerecht werden, dass sie einem fremden Paar altruistisch „helfen“ wollen, ein Wunschkind zu bekommen. Emotional ist für viele Frauen die Trennung vom Baby unmittelbar nach der Geburt jedoch schwierig.

Wenn das Verbot von Leihmutterschaft in Indien in Kraft tritt, werden die gut funktionierenden reproduktiven Märkte neue Strategien erfinden. Die Frauen werden in andere Länder transferiert, sie bekommen keinen Vertrag mehr wie bisher und müssen mehr an dubiose Schlepper und Vermittler abdrücken. Ein Verbot beseitigt nicht die Ursachen für die Leihmutterschaft, es reguliert nicht die dubiosen Geschäfte und die Ausbeutung, sondern treibt die Frauen in die Illegalität und damit in eine noch größere Rechtlosigkeit.

Christa Wichterich war Gastprofessorin für Geschlechterpolitik an der Universität Kassel. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Bevölkerungspolitik, Reproduktionstechnologien und sexuellen und reproduktiven Rechten.


In der Schweiz ist die Leihmutterschaft – so wie in vielen anderen europäischen Staaten – verboten. Sie plädieren dafür, dieses Verbot zu überdenken. Warum sollte Leihmutterschaft legal sein?

Andrea Büchler: Die Frage ist falsch gestellt: In liberalen Gesellschaften sind nicht Erlaubnisse, sondern Verbote begründungsbedürftig. Für das Verbot der Leihmutterschaft wird vorgebracht, sie untergrabe tradierte Vorstellungen von Mutterschaft, gefährde das Kindeswohl und sei inhärent ausbeuterisch. Zum ersten Argument: Traditionelle Konzepte von Elternschaft werden durch fortpflanzungsmedizinische Verfahren herausgefordert. Wir tun gut daran, diese Herausforderungen anzunehmen und uns zu überlegen, welche Bedeutung der Intention im Zusammenhang mit Elternschaft zukommen soll. Zum zweiten Argument: Der Nachweis, dass von Leihmüttern geborene Kinder in ihrer psychosozialen Entwicklung gefährdet wären, konnte bislang nicht erbracht werden. Zum dritten Argument: Es mutet paternalistisch an, der Leihmutter jegliche Fähigkeit abzusprechen, autonome Entscheidungen zu treffen.

Die Mehrheit der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin der Schweiz hat in einer Stellungnahme aus dem Jahr 2013 die Ansicht vertreten, die Leihmutterschaft könne grundsätzlich zugelassen werden. Zugleich hat sie jedoch Zweifel daran geäußert, dass es gelingen würde, annehmbare Rahmenbedingungen zu schaffen, die für alle den angemessenen Schutz gewährleisten. Ich war damals noch nicht Präsidentin der Nationalen Ethikkommission, kann aber diesen Ausführungen gut folgen. Es stimmt, dass die Leihmutterschaft in vielen Fällen ein Geschäft ist und Leihmütter mitunter ausgebeutet werden – insbesondere dann, wenn ein großes Gefälle zwischen den Wunscheltern, der involvierten Klinik und einer aus Not handelnden Leihmutter besteht. Und Leihmutterschaftstourismus, zum Beispiel nach Asien, liegt eine tiefgreifende soziale Ungerechtigkeit zugrunde: Erst das Schweizer Verbot gepaart mit dem massiven Einkommensgefälle machen ihn zu einer nachgesuchten Option.

Leihmutterschaft muss jedoch nicht unter allen Umständen ethisch unzulässig sein. Es geht darum, zu prüfen, ob und wie die komplexen Beziehungen, die mit Leihmutterschaft einhergehen, bei uns rechtlich angemessen gefasst werden können. Das heißt, darüber nachzudenken, ob sensible Vereinbarungen möglich sind, die sowohl den Schutz der Leihmutter als auch das Wohl des werdenden Kindes gewährleisten.

Andrea Büchler ist Professorin für Rechtswissenschaften an der Universität Zürich und Präsidentin der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin in der Schweiz