Emancipation is for everybody

Feministischer Zwischenruf

Emanzipationsprozesse können nicht erzwungen werden. Die Tendenz jedoch bestimmten Frauen* zur Emanzipation zu verhelfen, wird in scheinbar progressiven Kreisen immer gegenwärtiger. In Zeiten von vermehrter (vermeintlicher) Emanzipation möchte ich dieses zu kurzgedachte Emanzipationsbestreben (für Andere) problematisieren.

Foto einer Kreuzung in New York. Zwei Straßenschilder mit "One Way"-Aufschrift weisen in verschiedene Richtungen.
Teaser Bild Untertitel
Emanzipation ist keine Einbahnstraße. Es gibt keinen Einen, für alle gültigen, universellen Weg der Befreiung.

“We must courageously learn from the past and work for a future where feminist principles will undergird every aspect of our public and privates lives. Feminist politics aims to end domination to free us to be who we are – to live lives where we love justice, where we can live in peace. Feminism is for everybody.”

- bell hooks in Feminism is for EVERYBODY. Passionate Politics (2000, 118)

Vermeintlicher Emanzipation

Mit vermeintlicher Emanzipation meine ich die Idee, dass bestimmte Frauen* von bestimmten Abhängigkeiten befreit werden müssen, ob gewollt oder nicht. Ich begreife vermeintliche Emanzipation als eine Form von Unterdrückung und empfinde sie als gewaltvoll. Sie wird oft als feministischer Akt, als Unterstützung zur Gleichberechtigung, Unabhängigkeit oder Selbstbestimmung legitimiert. Gleichzeitig werden rassifizierte und marginalisierte Akteur*innen mundtot und ihre emanzipatorischen Handlungen nichtig gemacht. Die Fähigkeit über sich selbst zu wissen, zu sprechen und zu abwägen was gut ist oder nicht, wird abgesprochen.

Ich beobachte zum Beispiel, dass (weiße) „emanzipierte“ Frauen* rassifizierten Frauen* vermeintliche Hilfestellung geben –ungefragt und von oben herab, ohne Dialog oder gar Transparenz. Dabei wird mit einer Selbstsicherheit und Impetus agiert, die mir respektlos und gewaltvoll erscheinen. Die Frage nach dem emanzipatorischen Gehalt stellt sich mir immer wieder von Neuem.

Weiße Frauen emanzipieren

Konkret möchte ich das, anhand folgender Situationen schildern:
Als Fachexpertin hatte ich einen Austausch mit einer pädagogischen Fachkraft, die mir versicherte, sie sehe als Teil ihrer pädagogischen Arbeit den „ausländischen Müttern“ ihrer Schulkinder zur Emanzipation zu verhelfen, denn wir sind schließlich in Deutschland (sic!). Wie ich im Übrigen erfuhr, waren diese „ausländische Mütter“ Frauen* of Color aus den globalen Süden, oft von Armut betroffen und häufig nicht einer christlichen Religion zugehörig. Ich schlug vor, lieber die Schüler*innen zu stärken und ihnen zur Emanzipation zu verhelfen, indem sie ihnen und ihren Familien als gleichberechtigte Ansprechpersonen begegnete. Sie meinte, nein, sie seien alle unterdrückt, das wüsste sie.
Das Gespräch endete nach einer kurzen Weile mit einem schnellen Abschied, nach einer unangenehme Stille und das lautlose Versprechen an mich selbst, mir etwas Gutes zu tun.
Wie oft war ich diese ausländische Mutter, die emanzipiert werden musste? Ich erkannte, Emanzipation wird nicht immer als ein selbstermächtigter, befreiender Akt begriffen. Emanzipation ist ein ambivalentes Unterfangen, ambivalent, weil es mit zweierlei Maß gemessen wird, wenn es um selbstbestimmte Entscheidungen bestimmter Frauen* geht. Emanzipation als selbstbefreiender Akt wird untergeordnet, während die Aktion des Emanzipierens als rettender Akt hervorgehoben wird.

Ein anderes Mal berichtete mir eine muslimische Studentin darüber, dass sie bei einem Sprachseminar an einer Berliner Universität von einer weiße Dozentin, die sich als Feministin selbstpositionierte, rassistisch behandelt wurde: Jede*r einzelne anwesende Student*in hatte die Aufgabe während einer Seminareinheit, ein Statement über das Kopftuchtragen der Studentin vorzutragen. Eklatant war, dass sich keine*r der Student*innen mit der Studentin solidarisierte. Klar verhielt sich die Dozentin rassistisch, aber auch die Student*innen. Für viele Universitätsangehörige jedoch, handelte die Dozentin nicht nur emanzipatorisch, sondern zudem im Sinne der freien Meinungsäußerung (sic!). Für die Studentin hatte diese rassistische, traumatische Erfahrung einen direkten negativen Einfluss auf ihr weiteres Studium. Die Dozentin jedoch konnte sich im universitären Raum sicher fühlen, unbeschadet und ohne Befürchtung vor Einbußen in ihrer akademischen Laufbahn. Antimuslimischer Rassismus wird nicht nur toleriert, er bleibt auch unbestraft. Entsolidarisierung wird belohnt. Das alles hat Konsequenzen für rassifizierte und marginalisierte Frauen*.

Offensichtlich verstanden diese Bildungsakteurinnen* Feminismus bzw. Emanzipation nicht als selbstbestimmtes „Befreiungsakt“ (zu Freiheit siehe z.B. Emine Aslan, 2016 „Freimachen, bitte!“ ) sondern, als Instrument  von Dominanz und Macht um Frauen* zu emanzipieren, wobei die allgemeingültige Perspektive, unbedingt die der Befreienden* sein muss und nicht die der vermeintlich Befreiten*.

Das Kopftuch als Symbol der Unterdrückung

Weder die Dozentinnen noch die pädagogische Fachkraft, so scheint es mir, haben die Möglichkeit gehabt, ihre Perspektiven zu reflektieren, diese etwa kritisch zu betrachten oder gar zu transformieren. Ich frage mich, ob sie zum Beispiel über das Thema Islamischer Feminismus informiert waren? (Siehe Kübra Gümüşay, 2016 „Islamischer Feminismus. Die Arbeit im Stillen“). Die Argumentation, ein Kopftuch (Hijab) zu tragen sei ausschließlich ein Manifest für Unterdrückung oder Unterwerfung, bleibt dominant.

Das Tragen eines Kopftuchs, in Institutionen beispielsweise, ist in Berlin verboten. Eine Grundschullehrerin mit Kopftuch darf nicht unterrichten, wegen des sogenannten Neutralitätsgesetzes. Das Verbot besteht aufgrund eines tief verankerten strukturellen, institutionellen Rassismus, in diesem Fall konkret antimuslimischen Rassismus. Intersektional betrachtet gibt es hier viele Anknüpfungspunkte: Einer ist, dass explizit Frauen* das sichtbare Tragen religiösen Zeichens verboten wird. Mit Emanzipation hat das in diesen Zeiten rassistischer Hetze nichts zu tun.

Olenka Bordo Benavides lebt in Berlin und ist Pädagogin, Sozialwissenschaftlerin und Mutter. Sie arbeitet im Bildungsbereich und ist als Dozentin und Teamerin tätig, sowie als Externe Evaluatorin zum Berliner Bildungsprogramm. Ihre Schwerpunkte sind Bildung, Care, Dekolonialität, Empowerment, Diskriminierungs- und Rassismuskritik, Gender, Identität, Inklusion und Transnationalität.

Emanzipation! Für wen?

Die Beispiele spiegeln in kruder Form ein Teil der Lebenssituationen marginalisierten Frauen* wieder.
Die Personen, die sich das Emanzipieren von marginalisierten und rassifizierten Frauen* zum Ziel setzten, hatten einiges gemeinsam: sie sind weiß, heterosexuell, christlich sozialisiert, haben einen sicheren Aufenthaltsstatus und eine relativ solide soziökonomische Lage, sie nannten sich emanzipiert bzw. feministisch und sie handelten in Namen der „Emanzipation“ und „unserer deutschen Gesellschaft“. Aber wessen? Wessen Emanzipation?

Diese „Emanzipationsform“, die als „die einzige Emanzipationsform“ präsentiert wird, ist vornehmlich von Dominanz und Aufrechterhaltung der Macht- und Herrschaftsstrukturen geprägt.
Sie zwingt Frauen* dazu, sich anzupassen.
Sie erkennt keine weiteren Emanzipationsprozesse, -Kämpfe und -Wege an. Denn sie suggeriert, dass es nur den Einen, für alle gültigen, also universellen Weg der Befreiung gibt.

Everybody?

Ich sage: Ja! Emancipation is for everybody!
Emanzipation verstehe ich als etwas Plurales: Emanzipationen.
Emanzipationen heißt, Handlungen und die Entscheidungen von Akteur*innen nicht mehr in Frage zu stellen. Das Wissen der Akteur*innen über sich selbst anzuerkennen. Ihre Stimmen und Entscheidungen zu respektieren.
Emanzipationen sind möglich, wenn Solidarisierung real ist. Wenn Dialog multiperspektivisch und gleichberechtigt ist.

Dazu gehört, die Entscheidungen von Akteur*innen und deren Transformationsbestrebungen bewusst als emanzipatorischen, gar befreienden Akt zu betrachten, mit aconcept or concepts that includes rethinking feminisms, emancipations and struggles, opening up to other feminisms, other emancipations and other struggles.

Denn:

Radical visionary feminism encourages all of us to coraugeously examine our lives from the standpoint of gender, race, and class...To ensure the continueted relevance of feminist movement in our lives visionary feminist theory [and action] must be constantly made an re-made so that it addresses us where we live, in our present.”

- bell hooks in Feminism is for EVERYBODY. Passionate Politics (2000, 116f)