Sind die Feministinnen schuld an Corona?

Covid-19 Statistics Screenshot

Am 2. Mai meldeten spanische Medien endlich eine gute Nachricht: An drei aufeinander folgenden Tagen1 hatte es weniger als 300 an Covid-19 Verstorbene pro Tag gegeben. Spanien stand mit 216.582 bestätigten Infizierten an der Spitze von Europa und weltweit auf Platz zwei nach den USA und gehört auch aktuell noch zu den Spitzenreitern.

Die Suche nach Schuldigen ist in solchen Krisen eine beliebte Strategie, um von eigenen Fehlern abzulenken und sich politisch zu profilieren. Die Konservativen und extreme Rechte haben sich in Spanien darauf eingeschossen, dass der Feminismus und dessen Einfluss auf die Regierung schuld sei an der hohen Zahl von Toten. Speziell der Frauenkampftag, der 8. März mit seinen großen Demonstrationen soll zur Verbreitung von SARS-CoV-2 beigetragen haben.

Politische Rechte sucht Konfrontation mit feministischer Bewegung

Der Sprecher des rechtskonservativen Partido Popular (PP) im Senat, Javier Maroto, beschuldigte die Regierung im Fernsehen, viel zu spät gehandelt zu haben. Statt bereits am 8. März eine Ausgangssperre zu verhängen, hätten die Arbeitsministerin und andere Ministerinnen darin gewetteifert, den besten Slogan für die feministischen Proteste zu entwerfen. Obwohl die Regierungsparteien PSOE und Podemos nichts mit der Organisation der Demonstrationen zu tun haben, warf Maroto ihnen indirekt Körperverletzung vor: Es sei „ein schöner Feminismus, der mit der Mobilisierung von tausenden von Frauen deren Ansteckung riskiert“2.

Tatsächlich war die feministische Demonstration in Madrid in den sozialen Netzwerken gerade für ihre Größe sehr gefeiert worden. Mehr als 120.000 Frauen und Verbündete waren unter dem Motto „Revuelta feminista. Con derechos, sin barreras. Feministas sin fronteras“3 (Feministische Revolte. Mit Rechten, ohne Barrieren. Feministinnen ohne Grenzen.) auf die Straße gegangen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufte die mit dem Coronavirus verbundene Gesundheitskrise erst in der folgenden Woche von einer Epidemie zu einer Pandemie, also zu einem weltweiten Problem, hoch.

Die digitale Tageszeitung Okdiario4, eine der meistgelesenen des Landes, beschuldigt die Regierung, bereits am Nachmittag vor der Demonstration gewusst zu haben, dass der „Ausbruch des Virus außer Kontrolle“ war. Die Zeitung mit dem verschwörungsideologisch anmutenden Motto „die Seite für Nonkonformisten“ behauptet, dass es am 8. und 9. März eine „Explosion“ neuer Fälle gegeben habe. Diese Angaben stimmen jedoch nicht mit den durchschnittlichen Inkubations- und Testzeiten überein.

Die links- und marktliberale Tageszeitung El País5 schreibt, dass bereits drei Tage vor der Demonstration Bedingungen bestanden hätten, um Maßnahmen wie social distancing einzuführen und größere Events abzusagen. Die Zeitung spekuliert, dass sich die Gleichstellungsministerin, Irene Montero von Podemos und die Ministerin für Regionalpolitik, Carolina Darias (PSOE) auf der Demonstration angesteckt hätten. Demnach hätte auch der Parteitag der extrem rechten Partei Vox6, der am gleichen Wochenende in der Madrider Stierkampfarena Vistalegre stattfand, abgesagt werden müssen. An diesem nahmen 9.000 Mitglieder teil. Der Parteitag war extra auf dieses Datum gelegt worden, um die Konfrontation mit der feministischen Bewegung zu suchen. Rocío Monasterio, die Vorsitzende des Madrider Landesverbandes von Vox, bezeichnete den Feminismus als totalitäre Doktrin. Der Generalsekretär der Partei, Javier Ortega Smith, hatte sich trotz Covid-19-Symptomen ohne Sicherheitsmaßnamen auf dem Parteitag bewegt und sogar ein Bad in der Menge genommen. Er wurde später positiv getestet, genau wie der Parteivorsitzende Santiago Abascal, den er möglicherweise angesteckt hat.

Jetzt ermittelt sogar das Amtsgericht der Region Madrid gegen verschiedene Mitglieder der Regierung wegen der Genehmigung der Frauentagsdemonstration, wie die taz Ende Mai berichtete.7 Der Vorwurf lautet „Rechtsbeugung“, der Beweis ist ein Untersuchungsbericht der paramilitärischen Polizeieinheit Guardia Civil, der voller Fehler und unbelegter Behauptungen sein soll.

Andere Gründe entscheidend

Am 13. März verhängte die Regierung den Ausnahmezustand, er trat am folgenden Tag in Kraft. Dadurch zog sie alle Kompetenzen zur Krisenbekämpfung an sich. Das Gesundheitssystem, für das die autonomen Regionen verantwortlich sind, ist seitdem dem Gesundheitsministerium unterstellt. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Ankündigung gab es in Spanien mehr als 4.200 positiv getestete Fälle und bereits 120 Tote. Die Stadt und die Region Madrid waren mit mehr als der Hälfte der positiven Fälle und 64 Todesfällen am schwersten betroffen.

Das linksradikale Nachrichtenportal Lamarea8 rechnete vor, dass der Anstieg der Fälle nicht mit der Demonstration in Verbindung stehen könne, da sich die Menschen bereits vorher angesteckt haben müssten. Da es mehrere Tage dauere bis Infizierte Symptome bemerkten und noch einmal einige Tage, bis die Ergebnisse der Tests vorliegen, könne der statistische Anstieg unmöglich von den Feministinnen verursacht worden sein – von dem Parteitag des extrem rechten Vox allerdings auch nicht. Zwar habe es in den Tagen danach zwei Peaks gegeben, die allgemeinen Zahlen wären jedoch in dem Zeitrahmen eher gesunken.

Die katastrophale und tödliche Ausbreitung des Virus in Spanien hat andere Gründe und Verstärker: Die Testraten sind gering, die tatsächliche Zahl der Infizierten ist also wahrscheinlich viel höher als statistisch ausgewiesen. Der Virus wurde früh in den Altersheimen verbreitet, die darauf nicht vorbereitet waren. Alte Menschen sind eine vulnerable Gruppe für einen schweren Verlauf der Krankheit – umso mehr, wenn sie keine angemessene Behandlung erhalten. Als die Armee im Zuge des Ausnahmezustandes begann, die häufig privat betriebenen Altersheime zu desinfizieren, fanden die Soldat*innen unversorgte Schwerkranke und sogar Tote in den Betten.

Austeritätspolitik führte zu Einsparungen im Gesundheitssystem

Längerfristig betrachtet, hat die Austeritätspolitik der EU, die ihre wegen der Wirtschaftskrise verschuldeten Mitglieder Anfang des vergangenen Jahrzehnts zu erheblichen Einsparungen in ihren Sozial- und Gesundheitssystemen zwang, einen großen Anteil an der jetzigen Situation. Spanien ist unter den vier Ländern, die im Zuge der Eurokrise im Gesundheitswesen am meisten gekürzt und privatisiert haben. Während in Spanien pro Einwohner*in 3.300 Euro für Gesundheit ausgegeben werden, sind es in Deutschland 6.000 Euro. In Spanien wurden unter der Regierung des PP allein im Jahr 2012 die Ausgaben für das Gesundheitssystem um 5,7 Prozent gesenkt. Die beiden europäischen Länder, die derzeit am stärksten von der Covid-19-Pandemie betroffen sind, haben nur sehr wenige Intensivbetten: Italien 8,6, Spanien knapp 10 pro 100 000 Einwohner*innen. Dafür trägt auch die deutsche Regierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein hohes Maß an Mitverantwortung, da sie in der EU immer auf eine radikale Reduzierung der Staatsschulden gedrängt hatte.

Kein Virus ist schlimmer als das Patriarchat

Einige Feministinnen mögen auf der Demonstration mit Parolen9 wie „El único virus peligroso es tu machismo“ (Der einzige Virus, der gefährlich ist, ist Dein Machismus), „No hay virus peor que el patriarcado” (Es gibt kein Virus, das schlimmer ist als das Patriarchat) nicht unbedingt bewiesen haben, dass sie die Gesundheitsgefahr durch das Coronavirus sehr ernst genommen haben, für seine massive Verbreitung und die hohe Zahl an Toten sind sie jedoch nicht verantwortlich zu machen.

---------------------------------------------------------------------------------------------

2 "Menudo feminismo es es que llevó a miles y miles de mujeres a las calles a un potencial contagio" https://www.lasexta.com/programas/sexta-noche/entrevistas/javier-maroto…