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Die Situation von Frauen in Russland - Eine Einleitung

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Wenn von der Lage der Frauen in der Russischen Föderation die Sprache ist, sehen sich viele Forscher/innen und Politiker/innen genötigt, eine paradoxe Situation zu konstatieren: Nachdem in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein schneller Weg der Frauenemanzipation durchschritten wurde, der die Legalisierung nichtehelicher Partnerschaften und der Abtreibung brachte, war Russland bereits zum Ende der 30er Jahre wieder in eine strenge Patriarchatsordnung abgerutscht. Über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg fanden sich russische Frauen in einer Situation ständiger Rollen- und Statuswechsel wieder: von der Rolle der emanzipierten und von Haushaltsarbeit freien Arbeiterin bis hin zu der eines Sexualobjekts, von dem die Geburt von Kindern und das Sorgen um Mann und Familie erwartet werden. Folge dieser widersprüchlichen Rollen ist ein komplexes Gebilde unterschiedlicher und bisweilen miteinander unvereinbarer Ansprüche, mit denen Frauen durch Staat und Gesellschaft konfrontiert werden.

In der Verfassung der Russischen Föderation gibt es keine Definition der Diskriminierung der Frau. Die Verfassung verkündet das Prinzip der Gleichstellung der Geschlechter, enthält jedoch kein klares Verbot der Diskriminierung auf Grund des Geschlechts. Der zuständige UNO-Ausschuss CEDAW hat Russland empfohlen, eine gesonderte Gesetzgebung zur Gewährleistung wirksamer Maßnahmen zur Beseitigung der Frauendiskriminierung zu schaffen. Die Staatsduma hat jedoch keinen der vorgelegten Gesetzentwürfe über staatliche Garantien für gleiche Rechte und Freiheiten sowie über die Gewährleistung gleicher Möglichkeiten für beide Geschlechter verabschiedet.

Ungeachtet mehrfacher Bemerkungen seitens der UNO ist in der Russischen Föderation für Frauen die freie Wahl des Berufes oder der Art der Beschäftigung bis heute eingeschränkt. Die Liste der Tätigkeiten, bei denen der Einsatz weiblicher Arbeitskräfte verboten ist, enthält über 450 Berufe. Gleiche Möglichkeiten für Frauen und Männer beim beruflichen Aufstieg sind nicht gewährleistet, ebenso wenig gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit.

Russische Frauen werden mehr als je zuvor als Sexualobjekt betrachtet. Diese Verobjektivierung sowie die gewohnte Behandlung der Frauen als männliches Eigentum führen zu Erscheinungen wie häuslicher Gewalt, Vergewaltigung, sexueller Belästigung und Beleidigung. Diese Verbrechen werden in der Regel nicht offen angesprochen und nicht verfolgt. In Russland ist immer noch kein spezielles Gesetz gegen häusliche Gewalt gegen Frauen verabschiedet worden, und häusliche Gewalt wird nicht einer Straftat gleichgestellt. Als Sexualstraftat gilt allein die Nötigung zum Geschlechtsakt. Andere Arten sexueller Nötigung oder Belästigung werden nicht bestraft. Eine Definition von „Belästigung“ ist in den Gesetzen nicht zu finden.

Zu einem Massenphänomen ist auch geworden, dass Frauen und Mädchen Opfer von Prostitution und internationalem Menschenhandel werden.

Ernste Sorgen bereitet auch die Klerikalisierung der Staatsmacht. Die Ende der 90er Jahre als neue „nationale Idee“ verkündete „geistige Renaissance“ hat in der Praxis zu einer Wiedergeburt strenggläubiger Religionen in ihren schlimmsten Formen geführt. Frauen sind dadurch religiös motivierter psychischer und physischer Gewalt (bis hin zum Mord) ausgesetzt. So werden in Tschetschenien Frauen, die sich nicht nach den Vorschriften der Scharia kleiden, mit Paintball-MPs beschossen; in Inguschetien, Dagestan und Karatschajewo-Tscherkessien werden Ehrenmorde registriert. Vertreter der Russisch-Orthodoxen Kirche führen eine intensive PR-Kampagne, propagieren dabei die „natürliche Bestimmung“ der Frau und setzen die Idee der Gleichstellung herab. Führer der Russisch-Orthodoxen Kirche rufen nach Gesetzen, durch die Frauen, die abgetrieben haben, wie für einen Mord bestraft würden. In öffentlichen Stellungnahmen schieben sie die Schuld für Vergewaltigungen den Frauen zu und erklären dabei die Taten der Vergewaltiger mit einem „unschicklichen“ Äußeren der Opfer dieser Gewalt.

In der Russischen Föderation haben Frauen eine doppelte Last zu schultern, indem sie neben der bezahlten Beschäftigung unbezahlt im Haushalt arbeiten und die Kinder großziehen. Zu den ärmsten in Russland gehören jetzt alleinerziehende Frauen mit minderjährigen Kindern. Soziolog/innen und Wirtschaftswissenschaftler/innen sprechen von einer zunehmenden Feminisierung der Armut: Die Geburt eine ersten Kindes verringert den Lebensstandard einer Frau um 30 %, die eines zweiten Kindes um 60 %.

Um diese negativen Prozesse aufzuhalten, muss die gesellschaftliche Diskussion in Russland an die tatsächliche Situation der Frauen angepasst werden. Es müssen Antidiskriminierungsgesetze verabschiedet und eine entsprechende Praxis in der Rechtsanwendung aufgebaut werden. In der Gesellschaft muss eine feministische Agenda geschaffen und die Frauenbewegung wiederbelebt werden.

Das 21. Jahrhundert hat gezeigt, dass die in schwierigem sozialem und politischem Kampf errungenen Rechte und Freiheiten erneut in Gefahr sind, und dass soziale Veränderungen aller Art in die viel beschworene „Frauenfrage“ münden. Jetzt ist die richtige Zeit, aktiv zu werden!

In den folgenden Interviews sowie mit einer kleinen Fotoreportage stellen wir die Positionen und Ansichten verschiedener Forscherinnen, Politikerinnen und Aktvistinnen vor, die sich zu den Besonderheiten der aktuellen Lage der Frauen in Russland äußern.