- Fußball und Frauen*Fußball – Begriffe durchkreuzen
- Geschlechterbilder – Geschlechtergrenzen – Geschlechternormen umdribbeln
- Kein Sommermärchen reloaded – nationalistischen Tendenzen die Laufwege verstellen
- WM, Liga-Alltag und Geschlechterrollen: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel
- Gleichberechtigung reloaded
1. Fußball und Frauen*Fußball – Begriffe durchkreuzen
Wir lassen uns gerne durch unser Alltagswissen beruhigen: Geschlecht scheint eine natürliche, feste und fixierbare Größe bzw. Kategorie, die sich in vermeintlich eindeutigen Repräsentationen von Weiblichkeit und Männlichkeit, von Frauen und Männern zeigt.
Verborgen bleibt bei einer solchen Betrachtungsweise, das Ordnungssysteme, wie Alter, sexuelle Orientierung, Ethnizität, körperliche und psychische Verfasstheit und Geschlecht als machtvolle gesellschaftliche Differenzkategorien wirken. Gleichsam unentdeckt bleibt, wie viele Subjektivitäten und Identitäten im Umgang mit Geschlecht hergestellt werden können.
Fußball-Sport und Körper-Politik(en) sind miteinander verbunden. Wenn über Sport nachgedacht, berichtet und medial inszeniert wird, muss auch über die Konstruktion und Inszenierung von und durch Körper und Körperinszenierung und –darstellung nachgedacht werden.
Im Fußball wird, wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen, das hergestellt, was wir uns als männliche und weibliche Körper vorstellen.
Es gibt flexible Geschlechter, Zwischenformen, Übergänge und Uneindeutigkeiten : der Sport kennt nur Frauen und Männer. Im Sport darf es nur Frauen und Männer geben.
Um diesem Dogma etwas entgegen zu setzen , ist hier im Weiteren nicht von Frauenfußball die Rede, sondern von Frauen*Fußball. Der * ist aus der Bezeichnungspraxis von Trans* Personen entlehnt und dient auch hier als Platzhalter für viele Möglichkeiten der Bezeichnung und Identitäten.
2. Geschlechterbilder – Geschlechtergrenzen – Geschlechternormen umdribbeln
Das Motto der WM „20ELF VON SEINER SCHÖNSTEN SEITE!“, ihr Maskottchen "Karla Kick" und der WM-Werbespot "Mitspielen" (re-)produzieren das Verbot, die Grenze der strikten Zweigeschlechtlichkeit zu verlassen:
Im Werbespot würde Manuel Neuer, Torwart von Schalke 04 und Torhüter des deutschen Männer*Nationalteams, gerne bei der WM 2011 der Frauen* im eigenen Land mitspielen. Bundestrainer_in Silvia Neid meint dazu:„Unsere Mannschaft steht für gelebte Integration, aber das kann ich beim besten Willen nicht machen.“ Celia Okoyino Da Mbabi, Nationalspieler_in ergänzt: „Integration hin oder her, aber dass sieht ja jeder, dass das nicht geht.“
- WM 2011: Ticketspot "Mitspielen" (Video auf DFB-TV)
Über den Fußball werden Normalitätsvorstellungen und Identitätskonstruktionen, die Ausschlüsse rechtfertigen, hergestellt und reproduziert. Sport im Allgemeinen und Fußball im Besonderen ist ein geschlechtlich kodierter Bereich.
Normgerechte heterosexuelle Verhaltensweisen versprechen Anerkennung. Das Überschreiten und Durchkreuzen normierter Verhaltensweisen ziehen Abwertung und Ausschluss nach sich, wie u.a. die starke Homo- und Trans*feindlichkeit und der Rassismus in den Stadien zeigt.
Wenn Theo Zwanziger sagt: „Den Frauenfußball kann man nicht mit den Männern vergleichen. Es wird sicher eine familiärere WM werden.“ kann daraus geschlossen werden, dass er Frauen*Fußball eher als ein familiäres Event betrachtet, wo sich alle wohlfühlen und versorgt werden. Man assoziiert mit Familien* gefüllte Ränge, spielende, lachende Kinder und gefüllte Picknickkörbe. Im Gegensatz zum Männer*Fußball als einem sportlichen Wettkampf, der die vermeintlichen männlichen Tugenden, wie Härte, Zielstrebigkeit, und Siegeswillen erfordert, den überwiegend männliche Fans lautstark aus der Fankurve einfordern. Selten käme wohl jemand auf die Idee, die heimische Fankurve als Zone eines Familienfestes zu bezeichnen. Hier werden heteronormative Rollenzuschreibungen vorgenommen, die einer Gleichbehandlung und Gleichberechtigung aller zuwiderläuft.
Ein vermeintliches Wissen um Geschlecht und Sexualität prägen unsere Wahrnehmung gesunder, leistungsfähiger und schöner Körper.
Im Fußball werden Vorannahmen über Heterosexualität und strikte Zweigeschlechtlichkeit, Gesundheit, Be- und Enthinderung, Homo- und Trans*feindlichkeit, Nation und Rassismus (re-)produziert. Diese verfestigen verallgemeinernde Annahmen über Körper und damit über ihre soziale Anerkennung oder soziale Abwertung.
Es gibt einige Fragen, die aus einer queer_feministischen Perspektive an den deutschen Frauen*Fußball gestellt werden müssen: Welche Möglichkeiten bietet der Frauen*Fußball (Geschlechter)Normen zu que(e)ren? Kann der Besuch im Stadion die Möglichkeit eröffnen, einen Ort zu definieren, an dem Frauen* nicht ständig damit konfrontiert werden, sich „wie ein richtiges Mädchen“ zu benehmen oder “trotzdem eine Frau“ zu sein?
3. Kein Sommermärchen reloaded – nationalistischen Tendenzen die Laufwege verstellen
Fußballspiele sind nicht von Politik und nationaler Identität zu trennen.
Das Spielfeld ist ein Ort der nationalen Mythenbildung, von Zugehörigkeit, Geschlossenheit und Identifikation. Große Fußballereignisse bieten eine gute Projektionsfläche für politische und soziale Veränderungen und den Umgang mit der Nation (1954, 1974 1990, 2006). Es gewinnen nicht elf Spieler_innen das Finale, „wir“ die Deutschen sind Weltmeister_innen. Diese Ereignisse mobilisieren auch deutsche Empörung und Empfindlichkeiten und rekonstruieren alte historische Feindbilder und Ressentiments. Patriotismus, Vaterlandsliebe, Stolz und „Deutschland, Deutschland“-Rufe wecken keine guten Erinnerungen.
Im Fußballstadion und rund um die Medienübertragungen werden Mechanismen nationaler Identifikationsstrukturen sichtbar. Spieler_innen und Zuschauer_innen erfahren Einbindungen und Ausschlüsse auf Grund von Zugehörigkeiten. Zugehörigkeiten und Ausschlüsse werden über Geschlecht, Ethnizität, Religion, sexuelle Orientierung oder körperlicher und psychischer Verfasstheit zu- bzw. abgesprochen. Über die „Nation“ wird definiert wer dazugehört und wer nicht.
Fußball ist ein Ort der Inszenierung nationaler Selbstbilder und der öffentlichen Repräsentation. Wo sonst werden so inbrünstig Nationalhymnen gesungen oder Flaggen geschwenkt wie in den Fußballstadien? Hier findet die für die „gefühlte“ Einheit der Nation so wichtige nationale Symbolik einen Platz.
Der Diskurs um nationale Identität ist durch die Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit, von „Deutsch- und Anderssein“ stark mit dem Frauen*Fußball und der WM 2011 in Deutschland verknüpft. Fußball, auch der der Frauen*, fungiert als Identitätsstifter für eine nationale Zugehörigkeit, der sich aber nicht jede_r anschließen darf, der_die das möchte.
4. WM, Liga-Alltag und Geschlechterrollen: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel
Es gibt viele, die sich für den Frauen*Fußball engagieren und dafür (auch medial) eintreten.
Frauen*- und Mädchen*Fußball erlebt in jüngster Zeit einen größeren Aufschwung. Dazu tragen nicht zuletzt internationale Erfolge bei. Seit 1995 sind die deutschen Frauen* Europameister_innen. Und in diesem Jahr könnten die Kicker_innen als erstes Nationalteam zum dritten Mal hintereinander den WM-Titel gewinnen. Und das vor heimischem Publikum. Dabei hatte der DFB bis 1970 den Frauen*Fußball verboten und ihn auch danach lange Zeit eher marginal behandelt. In den Medien wurde er zunächst überwiegend spöttisch bis verachtend kommentiert. Bis heute finden sich in der Berichterstattung, über Frauen*Fußball Stereotype, die zwischen „Mannweibern“ und „sexy Kicker_innen“ pendeln. Eine Sexualisierung in der Sportberichterstattung lässt sich seit geraumer Zeit beobachten. Dabei geht es weniger um sportliche Erfolge der Athlet_innen als um physische Attraktivität und (hetero)sexuelle Ausstrahlung. Dazu passt auch die Feminisierung der „neuen Generation“ in Abgrenzung zur „alten Generation“. Jene steht unter dem Verdacht eckig, stur, vernünftig, unweiblich, hässlich und lesbisch zu sein. Die „neue Generation“ kann „gut aussehen und gut spielen“. Statements wie: „Dass Nia Künzer 2003 das „Golden Goal“ für Deutschland schoss, war ein Glücksfall. Blond, kommunikativ, heterosexuell – so kannte man den Frauenfußball vorher gar nicht.“1 und „Unsere schönste Weltmeisterin trifft sogar in Pumps“2, sind nicht gerade dazu geeignet, Geschlechtergrenzen -rollen und -normen ins Abseits zu stellen.
So wird der Frauen*Fußball weiterhin eine medial-sportlich untergeordnete Rolle spielen und Frauen* weiterhin auf einen Objektstatus reduziert.
Vielleicht bietet die WM 2011 die Möglichkeit einer ausgewogeneren und gleichberechtigteren Berichterstattung den Weg zu ebnen. Denn laut einer Studie zum Thema mediale Aufmerksamkeit wünschen sich über 50% der Befragten, dass die Berichterstattung in den Medien dauerhaft eine größere Rolle spielen sollte. Das könnte nachhaltige Effekte für die Ligen und das Nationalteam über die WM 2011 hinaus erzielen.
5. Gleichberechtigung reloaded
Es braucht, wie in allen Bereichen der Gesellschaft, eine ernstgemeinte Gleichstellungspolitik, die Menschen den gleichen Zugang zu Ressourcen gewährt, die eine gleichberechtigte Bezahlung garantiert, die eine gleichwertige und gleichberechtigte Anerkennungskultur installiert, die Menschen nicht aufgrund bestimmter Merkmale ausschließt, die eigene Privilegien und Machtstrukturen hinterfragt und zu Veränderungen bereit ist.
Das emanzipative Potential dieser WM liegt unter anderem darin, sich mit den o.g. Fragestellungen zu beschäftigen, sie zu thematisieren und die Machtverhältnisse in Frage zu stellen.
Es ist bereits viel geschafft: Es gibt Mädchen*- und Frauen*Fußballvereine. Es gibt die (Frauen*)Bundesligen, es gibt Schiedsrichter_innen, es gibt Trainer_innen in den höchsten Spielklassen und eine Bundestrainer_in. Es gibt Hannelore Ratzeburg als Vizepräsidentin für Frauen- und Mädchenfußball des DFB. Es gibt Blogs, Magazine, Zeitschriften und wissenschaftliche Arbeiten die sich explizit mit Frauen*Fußball beschäftigen.
Es braucht aber noch viel mehr. Es braucht eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit Zuschreibungen und Stereotypisierungen. Es braucht eine bessere finanzielle Ausstattung aller Vereine, es braucht gleichberechtigte Präsenz des Themas in den Medien und beim DFB.
Es braucht gleichberechtigte diskriminierungsfreie Anerkennung von Differenz.
Frauen*Fußball braucht keine Barbie, er braucht sportliche Vorbilder und politische Unterstützung!
Es braucht Fußballleidenschaft nicht nur im Herzen, sondern auch im Kopf.
Dann braucht es auch kein „Sommermärchen reloaded“. Ich brauche es jedenfalls nicht. Sie?
Endnoten:
1 Welt Online: Blond und heterosexuell ist ein Glücksfall
2 Aktuelle Nachrichten online - FAZ.NET
Petra Rost, M.A.
arbeitet im Bereich der Antidiskriminierungs-, Diversity- und Gleichstellungspolitik.
Sie ist Historiker_in, Gender- und Politikwissenschaftler_in. Sie arbeitet im Genderkompetenzzentrum Berlin und ist Mitgründer_in des Vereins gender/queer e.V. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Sport und Körperpolitik(en); Critical Whiteness, Heteronormativitäts- und Repräsentationskritik.
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