Erstveröffentlichung in analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 549 / 16.4.2010
Wälder, Fischteiche und Gemeinschaft. Da muss man bei aller Sympathie für Umweltschutz erstmal skeptisch sein. Und doch hört sich zunächst alles so gut an: das Privateigentum infragestellen über die gemeinschaftliche Nutzung von Ressourcen und Gütern. Dies ist die Strategie, welche unter dem Namen commons seit einer Weile in verschiedenen geographischen, kulturellen und politischen Kontexten diskutiert wird. Neben dem Verhältnis zwischen commons und Kapitalismus muss jedoch auch nach einer queerfeministischen Perspektive in dieser Diskussion gefragt werden.
Ein queerfeministischer Anknüpfungspunkt könnte zunächst darin liegen, dass diese Strategie sich erklärtermaßen auf einen Reproduktionsstandpunkt stellt. Von der gesellschaftlichen Reproduktion aus betrachtet, soll gefragt werden, wie die Herstellung gesellschaftlicher Güter ihre eigenen Ressourcen bewahren kann, was die Trennung in Produktion und Reproduktion eigentlich obsolet macht. Darum ging es auch den sozialistischen und materialistischen Feministinnen, die den wesentlichen Beitrag der als unproduktiv bezeichneten Tätigkeiten wie z.B. Haus- und Sorgearbeit für die sogenannte Produktionssphäre herausstellten und damit die historische Allianz zweier gesellschaftlicher Ausbeutungsformen aufzeigten: das moderne Patriarchat und den Kapitalismus. In der Forderung nach Lohn für Hausarbeit sollten die Abhängigkeit der einen Form von der anderen sichtbar gemacht und durch die Unmöglichkeit der Umsetzung dieser Forderung gleichzeitig die Grundlagen der damals aktuellen Form des Kapitalismus bedroht werden.
Was also in der Folge häufig als kaltherzige feministische Preisgabe der intimen und menschlichen Beziehungen in der Familie an die anonyme Warenform kritisiert wurde, war eigentlich der Versuch eine Logik auf die Spitze zu treiben, um gewissermaßen zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Und hier scheint auch ein grundsätzlicher Unterschied zwischen der commons-Strategie und jener feministischen zu liegen: Statt über eine kapitalistische Modernisierung diesen selbst abschaffen zu wollen, wie es jene Feministinnen in den Siebzigern forderten, versucht die Strategie der commons eher durch die Flucht in eine vermeintlich nicht-kapitalistische Gemeinschaft einen neuen antikapitalistischen Ansatzpunkt zu liefern.
Die Dekonstruktion des Masternarrativs
Die "nicht-kapitalistische" Gemeinschaft ist seit einer Weile auch Gegenstand queerer kapitalismuskritischer Diskussionen. Die von JK Gibson-Graham in "The End of Capitalism (as we knew it)" vorgeschlagene Dekonstruktion des Masternarrativs vom ewigen und omnipräsenten Kapitalismus wird als mögliche Verbindung zwischen queeren und kapitalismuskritischen Praxen diskutiert. Das Autorenkollektiv schlägt mit dem Verweis auf bestehende Versuche nichtkapitalistischen Wirtschaftens (sie sprechen z.B. über die Zapatistas und die "Reclaim the streets" Bewegung) vor, diese ernst zu nehmen als Orte der (Wieder)Herstellung politischer Subjekte, aber auch als Labore für zukünftige Formen des Wirtschaftens. Ihre Mitte der 1990er formulierte Kritik muss im Zusammenhang mit der damaligen Anti-Globalisierungs-Bewegung und deren Projekt, gegen die There-Is-No-Alternative-Logik der Ende-der-Geschichte- und Nachwende-Ideologie anzugehen, betrachtet werden.
In gewisser Weise geht es also auch hier, wie in den commons, um Inseln im kapitalistischen Mainstream, von denen Kritik und Widerstand ausgehen kann. Queerfeministisch ist daran neben der dekonstruktiven Methode und theoretischen Perspektive, dass sie über die Betonung von Mikropraxen bzw. durch ihr Interesse an "nicht-kapitalistischen" Wirtschaftsweisen im Hier und Jetzt eine Brücke schlagen zwischen "herkömmlichen" queer politics, d.h. der Kritik heteronormativer gesellschaftlicher Strukturen, und antikapitalistischen Praxen; also wenn man so will, den queer communities und queer families zeigen, inwiefern in ihren Praxen auch antikapitalistisches Potenzial liegt und der Heterolinken zeigen, dass es hier potenzielle BündnispartnerInnen gibt.
Während beide Ansätze - commons und Gibson-Grahams "politics of possibilities" - also nach bestehenden nicht-kapitalistischen Formen fragen, von denen ausgehend sie gesellschaftliche Veränderung bewirken wollen, teilen sie darin vielleicht auch ein Problem. Beide Strategien beinhalten einen mehr oder weniger ausgeprägten Bezug auf eine Gemeinschaft, welche die Veränderungen, die in der sie umgebenden Gesellschaft passieren sollen, gewissermaßen vorwegnimmt. Aus dieser Beobachtung stellen sich mir zwei Fragen: Zum einen, wie kann dieses Verhältnis zwischen common bzw. "alternativen Ökonomien" und dem kapitalistischen Mainstream bestimmt werden? Zum anderen, was begründet eigentlich eine solche Gemeinschaft?
Erinnerung an das Auslaufmodell Hausfrau
Um mit der zweiten Frage anzufangen, muss hier bezüglich der commons gefragt werden, was diese überhaupt als teilbare Ressourcen anerkennen. Das bleibt vermutlich gewollt unbestimmt, vielleicht auch, damit ihr Bereich ausgeweitet werden kann. Dennoch scheinen sich die Diskussionen vor allem entweder um Naturalien oder immaterielle Güter zu drehen. An dieser Stelle würde sich eine ganze Diskussion um sexuelle, affektive und emotionale Arbeit anbieten, die jedoch wenig Raum zu finden scheint. Statt Vermarktung soll für die commons (dies ist vor allem bei den immateriellen Gütern der Fall) soziale Anerkennung und Reputation die Gratisarbeit motivieren. Da wird die Feministin skeptisch. Anerkennung für Gratisarbeit, das ist doch ein alter Schuh: Kochen und Putzen für Liebe usw. Und wer verteilt eigentlich diese Anerkennung? Höchstwahrscheinlich die Gemeinschaft, welche über die Gemeingüter verfügt. Dass Gemeinschaft sich immer in Abgrenzung konstituiert ist hinlänglich bekannt. Wo verlaufen also die Grenzen dieser Gemeinschaft? Welches ist ihre Grundlage? Identität? Nation? Territorium? Eine Idee? Und wenn die affektiv, emotional und sexuell arbeitenden Körper dann dieser Gemeinschaft gehören, erinnert das nicht stark an das Auslaufmodell Hausfrau?
Mit anderen Worten: Anerkennung ist super. Doch fragt sich, welche Ressourcen, Tätigkeiten und Körper sie bekommen. Dies verweist uns darauf, dass diese Gemeinschaft, die community der commons, eben auch Teil der Gesellschaft ist, die sie hervorgebracht hat. Die Warenform ist nicht das einzige sie strukturierende Ausbeutungsverhältnis. Soziale und ökonomische Produktion hängen zusammen, doch bedeutet das nicht, dass sämtliche Herrschaftsverhältnisse sich mit der Abschaffung der Warenform automatisch auflösen. Im Gegenteil kann die gleichmachende Geldwirtschaft sich als immerhin vermittelte Machtform sogar als Ausweg aus den direkteren Herrschaftsbeziehungen herausstellen, wenn man denn zwischen Pest und Cholera wählen muss. Der warenproduzierende Kapitalismus bringt jene Körper und Identitäten hervor, von dem sein Fortbestand wie auch seine Entwicklung abhängen. Eine queerfeministische Perspektive bei der Diskussion um commons mitzudenken ist deshalb notwendig, weil ansonsten die Gefahr besteht, in eine nostalgische Gemeinschaftsverehrung zu verfallen, an der trotz Abwesenheit von Waren gar nichts emanzipatorisches und freies ist - zumindest nicht für alle Positionen.
Wenn es auch queer communities gibt (genauso wie den Streit darum, wer dazu gehören darf und wer nicht), so weinen diese wie auch FeministInnen, den durch den Kapitalismus zerschlagenen Gemeinschaften keine Träne nach. Denn sie waren es, die ihre Körper und ihre Arbeit kollektiv zu besitzen meinten. Es war die kapitalistische Modernisierung, die einen Ausweg aus dieser Gemeinschaft und ihren gewalttätigen Zwängen ermöglichte (was nicht heißt, dass dies notwendig der einzig denkbare Ausweg gewesen wäre). Dahinter zurückzufallen, kann ihnen niemand als Fortschritt verkaufen.
Das führt uns zu der ersten Frage, nach dem Verhältnis von commons oder "alternativen Ökonomien" und dem sie umgebenden Mainstream.
Die notwendige Seite der commons
Frauenhäuser, Hausprojekte, queer families dienten zunächst der Flucht vor der heteronormativen Gewalt und Zurichtung in den Familien. Deren ökonomische Dimension war von Anfang an Thema und Zielscheibe dieser Politik. Denn die Familie als Keimzelle der kapitalistischen Produktion stellt, gestützt von staatlicher Legislation und Repression, sämtliche Individuen in ihre Abhängigkeit und sanktioniert abweichendes Verhalten. Das bekommen nicht nur queers, sondern zum Beispiel auch alleinerziehende Mütter, Heimkinder und von häuslicher Gewalt betroffene Personen zu spüren. Das neoliberale Integrationsversprechen an nicht-heteronormative Lebensentwürfe gilt, wie Anke Engel in ihrem kürzlich erschienen Buch "Bilder von Sexualität und Ökonomie. Queere kulturelle Politiken im Neoliberalismus" gezeigt hat, lediglich jenen Individuen, die das heteronormative Ideal zumindest anstreben. Dass sich jene, die davon ausgeschlossen werden oder dieses Ideal nicht für erstrebenswert halten, zusammenschließen, um überhaupt eine Existenzgrundlage zu bilden, ist also zunächst vor allem eine Notwendigkeit.
Auch die Erhaltung und Bildung von commons hat eine solche notwendige Seite, die von ihren VertreterInnen auch strategisch hervorgehoben wird und sie auf breitere gesellschaftliche Zustimmung hoffen lässt. Diese Notwendigkeit wird zum Teil ökologisch begründet (der Wald und die Fische), zum Teil (was die immateriellen Güter betrifft) für das gesellschaftliche Funktionieren essentiell und gar als Grundlage bestimmter Bereiche kapitalistischer Akkumulation ausgewiesen. Bemängelt wird, dass die Warenproduktion sich munter der commons bedient, jedoch nichts in diese zurück gibt. Vielleicht ist dieses Argument jenem verwandt, welches über die Vermarktung von queer lifestyle auf gesellschaftliche Anerkennung oder zumindest den Rückgang von Gewalt hofft. Aber auch dieses wird immer wieder enttäuscht, weil das "Exotische" immer nur als solches verkauft wird, nicht aber die Norm selbst in Frage stellen darf, sondern vielmehr dazu dient, dass diese sich ihrer selbst vergewissert.
Vielleicht verweist dieses Moment auf eine mögliche Grenze dieser Strategien bzw. auf den Schritt von der beschreibenden Ebene (der Kapitalismus braucht die commons) zu der strategischen Ebene (deswegen soll er sie nicht haben und daran zugrunde gehen). Dass das warenproduzierende Kapital sich freut, Gemeingut ausnutzen zu können ohne etwas zurück zu geben und dass der Hetero-Malestream Frauen und Queers nur sehr bedingt und vorbehaltlich Macht abtritt ist, eigentlich nicht sehr überraschend. Dass in dieser Tatsache ein Überzeugungspotenzial liege, welches selbst Menschen überzeugen soll, denen etwas am Kapitalismus liegt, führt dann doch in die Irre bzw. wirft die Frage auf, ob es darum gehen soll, dem Kapitalismus seine Existenzgrundlage in den commons zu erhalten oder eben gerade dadurch anzugreifen, dass man sie ihm entzieht. Und wie könnte so ein Entzug überhaupt aussehen? Die Grenze der besseren Argumente liegt hier ganz konkret in der Verfügungs- und Bedeutungsmacht sowie im Profit.
Die Beziehungen zwischen der Sphäre der Warenproduktion und einem gemeinschaftlichen Bereich der Widerständigkeit, wie auch immer der aussehen soll, sind also komplex und ein queerfeministischer Bezug darauf kann nur paradox sein. Es geht wie eingangs bereits erwähnt, nicht darum, die hier diskutierten Strategien als reformistisch abzutun. Ihre Vorteile liegen auf der Hand. Mein Versuch ihre gesellschaftliche Situiertheit zu betrachten, soll vielmehr einer kritischen Reflexion ihrer Grenzen und ihres Ungedachten dienen.
2010