Kann Fußball ein Kick für Emanzipation sein?

Tragetasche mit Aufschrift: Gender Kicks 2011
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Gender Kicks 2011
 

Kann Fußball ein Kick für Emanzipation sein? Das war eine der Leitfragen der „Gegnerinnen-Aufklärung“, einer internationalen Veranstaltungsreihe im Vorfeld der FIFA Weltmeisterschaft der Frauen. Mit „Gegnerinnen-Aufklärung“ wurde die Situation des Frauenfußballs in Brasilien, Mexiko, Nigeria und Deutschland erkundet. Es war ein Brückenschlag zwischen Sport und Politik, zwischen Spielpraxis und Theorie. In dem vorliegenden Beitrag werden einige zentrale Diskussionslinien nachgezeichnet und inhaltlich weiterentwickelt. Es entstehen ein zusammenfassender Rückblick auf „Gegnerinnen-Aufklärung“ und ein Überblick zu aus feministischer Perspektive kritischen Phänomenen im internationalen Frauenfußball.

Frauen schaffen mehr
Was sind eigentlich Fußballprofis? Im Unterschied zu Amateur_innen können Profis ihren Lebensunterhalt allein durch den Sport bestreiten. Das ist jedenfalls eine gängige Definition, bei den weiblichen Profis reicht ein Profivertrag oftmals nicht aus. Navina Omilade, Verteidigerin beim VfL Wolfsburg erklärt, dass es immer mehr Spielerinnen gebe, die aus einer Kombination aus Vereinsgehältern und Werbeverträgen „relativ gut leben können“. Aber immer noch gebe es ein größere Zahl von Spielerinnen, die gleichzeitig einer Erwerbsarbeit nachgehen: „Die kommen von acht bis zehn zum Morgentraining, gehen dann ins Büro und kommen abends dann noch mal zwei Stunden zum Training“. Andere Spielerinnen gehen neben dem Profisein einem Studium oder einer Berufsausbildung nach. So wiederholt sich hier eine zeitliche und psychische Doppelbelastung (Erwerbsarbeit plus X), die für viele Frauen (Mütter, Angestellte, Arbeiterinnen) – im Gegensatz zu Männern – typisch ist.

Die Hoffnung auf das große Geld (1)
Die Verdienstmöglichkeiten im und durch Frauenfußball sind in den letzten Jahren gestiegen. Sie sind in Deutschland verglichen mit denen in den „Gegnerinnen-Aufklärung“-Gastländern sogar sehr gut, und nicht nur, weil die Gehälter in Deutschland sowieso höher sind, sondern auch weil sie den Profis verlässlich ausgezahlt werden. Die nigerianische Sportjournalistin Aisha Falode klagt, dass in nigerianischen Verbänden und Vereinen aufgrund grassierender Korruption zugesicherte Gehälter gar nicht oder nach Erpressung gezahlt werden. In Nigeria spielen Frauen Fußball, in der Hoffnung damit Geld verdienen zu können, also eine finanzielle Unabhängigkeit erreichen zu können, die ihnen anderweitig verwehrt ist. Eine Breitensportkultur gibt es in dem (teilweise) muslimischen Land nicht, Sport hat eine andere gesellschaftliche Bedeutung und ein Konzept von Freizeit, wie es in Europa, Skandinavien oder Nordamerika bekannt ist, gibt es nicht. Dass Fußball „nur als Hobby“ betrieben wird bzw. werden kann, ist mangels Freizeit, ökonomischer Ressourcen und Sportkultur eine Ausnahme.

Auf dem Platz sind (nicht) alle gleich?
Neben den Verdienstmöglichkeiten sind Trainingsbedingungen ein wichtiger Aspekt im Profifußball. Auch in diesem Punkt sind die Aktiven in Deutschland vergleichsweise zufrieden. Die mexikanische Trainerin Ana Montenegro berichtet von spürbaren strukturellen Verbesserungen, sowohl in der Liga als auch in der Nationalelf. Professionalisierungsbedarf sieht Montenegro besonders in der Nachwuchsarbeit und verweist kritisch auf das Phänomen der Spielerinnen-Immigration aus den USA.  Damit ist gemeint, dass in den USA geborene Spielerinnen, die ein mexikanisches Elternteil haben, für das  mexikanische Nationalteam rekrutiert werden. Montenegro: „Sie vertreten dann ein Land, zu dem sie keine  kulturelle Beziehung haben und dessen Sprache sie nicht sprechen. Woher soll dann die Leidenschaft kommen?“ Diana Asak, Sportpsychologie-Studentin und Trainerin aus Nigeria, erzählt von widrigen Trainingsbedingungen: die Plätze seien im schlechten Zustand, die Spielerinnen müssen für viele Unkosten vom Fußballschuh bis zur Anreise selber aufkommen, gute Plätze seien den Männer vorbehalten. Während das deutsche Nationalteam viele Trainingslager und Freundschaftsspiele abhält, werden die Super Falcons einige Wochen vor der WM zusammengezogen und bestreiten nur ein einziges Freundschaftsspiel. Also vollkommen unterschiedliche Trainings- und Vorbereitungsbedingungen,-auf dem Platz sind dann eben nicht alle gleich.
Geht es um die (verhinderte) Professionalisierung des Frauenfußballs wird auch immer erwähnt, dass die wichtigen Posten in den Vereinen und Verbänden ausschließlich mit Männern besetzt sind. In der Nigerian Footbal Federartion (NFF), Federación Mexicana de Fútbol Asociación (Femex) und Conferacao Brasleira de Futebol (CBF) gibt es in Vorstand und anderen Führungspositionen keine einzige Frau. Die Fußballexpertinnen aus Nigeria und Mexiko zollen dem Deutschen Fußballbund (DFB) viel Respekt dafür, dass eine Frau (Hannelore Ratzeburg) Mitglied des Präsidiums ist, und dass die Abteilung für Mädchen- und Frauenfußball fest in weiblicher Hand liegt. Sie hoffen, dass es in ihren nationalen Verbänden ebenso starke Fürsprecher für Frauenfußball gebe wie einen Theo Zwanziger.

Die Bedeutung der Vereine
Gut 370.000 Mädchen und Frauen sind in deutschen Fußballvereinen organisiert, die Vereine sind Personalpools für die Proficlubs. Karin Danner, Trainerin der Damen beim FC Bayern München, unterstreicht die Bedeutung des in Vereinen organisierten Frauenfußballs in Hinblick auf die Nachwuchsarbeit: „Der Straßenfußball alleine kann das nicht schaffen. Wir brauchen die Vereine.“ Und der DFB scheint erkannt zu haben, wie diese Vereine in Zukunft aufgestellt sein müssen, für welche Zielgruppen sie sich öffnen müssen. Zwischen 2005 und 2006 hat eine Forschungsgruppe an der Universität Osnabrück im Auftrag des DFB eine Fußballvereinsanalyse vorgenommen, um „im DFB wissenschaftlich abgesicherte Entscheidungen zur Vereinsentwicklung treffen zu können“. Im Abschlussbericht wird empfohlen, große Anstrengungen zu unternehmen, um Mädchen und Frauen, besonders auch jene mit Migrationshintergrund (2), an die Vereine heranzuführen“. Und weiter heißt es: „Angesichts der demographischen Entwicklungen und dem steigenden Sportengagement von Mädchen und Frauen kann der These zugestimmt werden, wonach die Zukunft des Fußballs (auch) weiblich sein wird. [...] Problematisch für die Entwicklung des Fußballs könnte sein, dass Mädchen und Frauen eher Sportformen ohne Wettkampfcharakter bevorzugen“(Wopp 2006:16).

Einseitige Vermarktungsstrategien für Fußballspielerinnen
Es ist ja gerade dieser Wettkampfcharakter und der Körpereinsatz beim Fußball der Fußball spielenden Frauen einen gewissen Ruf eingebracht hat. Die der normalisierten Weiblichkeit zugeschriebenen Attribute passten nicht auf den Bolzplatz. Das war (ist) ein Widerspruch in sich, „während Männern ein Widerspruch von Fußball und Männlichkeit gänzlich unbekannt sein durfte“, wie Nina Degele schreibt. Neuerdings zeigen einige Profispielerinnen, dass „Weiblichkeit“ und Fußball kein dichotomes Gegensatzpaar sind. Sie lassen sich sinnlich und erotisch in Werbekampagnen inszenieren oder ziehen sich für den Playboy aus. Das dürfte einem individualisierenden Postfeminismus gefallen, aus einer feministisch-systemkritischen Perspektive stößt das bitter auf. Frauen werden hier als Objekte dargestellt und zwar besonders als Objekte der sexuellen Begierde von Männern. Das passt in eine hypersexualisierte Kultur (vgl. Walter 2010), in der Schönheit im Prinzip nur noch Sex-Appeal heißt. Da fallen ungeschminkte, muskulöse oder stämmige Frauen einfach raus. Ein besonders krasses Beispiel dafür lieferte 2008 die brasilianische Nationalspielerin Laísa Andrioli. Sie lies sich vollkommen nackt und in unterwerfenden Posen im Pornomagazin „Sexy“ ablichten. Die SportwissenschaftlerInnen Jörg-Uwe Nieland und Daniela Schaaf sprechen angesichts solcher und ähnlicher Vorgänge schon von einer „Pornografisierung“ des Sports, einer Steigerung der Sexualisierung des Sports. Schaaf und Nieland decken eine „Sport-Medien-Wirtschaftsallianz“ (3) auf, die erstens die Entfaltung und Aufrechterhaltung männlicher Hegemonie im Fußball garantiert, und zweitens dafür sorgt, dass Spielerinnen im Sinne einer sexuellen Ästhetisierungsstrategie vermarktet und medial präsentiert werden (Schaaf und Nieland 2011).

Versäumnisse des Sportjournalismus
Interessanterweise sind diese Vermarktungsphänomene auch Hauptthemen der Sportberichterstattung über Frauenfußball, gerade im Vorfeld der Weltmeisterschaft. Dass in einschlägigen Medien und Feuilletons darüber theoretisiert wird, ist ja verständlich. Aber unverständlich ist, dass der Sportjournalismus über Frauenfußball in den letzten Monaten zu Medien- und Gesellschaftsjournalismus mutiert ist und seine Kernaufgabe vernachlässigt: Informationen zum Sport an sich kommen in den Massenmedien zu kurz. Wenn überhaupt, findet sich etwas zum deutschen Team. Wer genau sucht, erfährt, wie Silvia Neid die Vierer-Kette um Annike Krahn organisiert und wer das Zeug zum Sturm-Shootingstar hat. Aber umfassende sportliche Informationen zu den anderen Teams?- Fehlanzeige. Wer sind zum Beispiel Cynthia Uwak, Faith Ikidi, Ebere Orijy? Warum sollte Alexandra Popp auf die linksfüßige Defensiv-Allrounderin Sonia Bompastor aus Frankreich aufpassen? Was macht die „Damallsvenskan“, die schwedische Liga, so attraktiv? Welche Teams begeistern durch Technik oder eher durch Taktik? Den sportlichen Aspekten des Frauenfußballs müsste in der Sportberichterstattung zur WM viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Damit würde der Sportjournalismus einen echten Beitrag dazu leisten, den Frauenfußball als Sport interessanter zu machen, ihn weiter zu emanzipieren. Das wäre auch im Sinne der Spielerinnen, denn sie wollen in erster Linie als Sportlerinnen wahrgenommen werden. Darin waren sich die Gäste bei „Gegnerinnen-Aufklärung“ ziemlich einig.
Die Zurückhaltung des Sportjournalismus´ kontrastiert mit den Aktivitäten der FIFA, die in Sachen TV-Produktion und -verteilung in 2011 neue Maßstäbe setzt. Das Kameraaufgebot im und ums Stadion herum ist enorm, nie zuvor wurde in so viele Länder und Gebiete übertragen wie bei dieser Frauen-WM. Das passiert auch dank eines Marketingstricks der FIFA: Die Übertragungsrechte für die Männer-WM und für die Frauen-WM wurden in einem Paket zusammen verkauft. Was die Nachhaltigkeit dieser Strategie angeht, schwanken die Kommentator_innen zwischen Hoffnung und Skepsis. Ana Montenegro hofft beispielsweise, dass es in Mexiko dadurch einen großen Schub Bekanntheit und Popularität für das mexikanische Team gibt. Bisher würde Frauenfußball in Mexiko eigentlich nur Leonardo Cuéllar (Trainer und ehemaliger Fußballstar) oder Marigol (Maribel Dominguez, Stürmerin) reduziert. Dass der WM-Hype in punkto mediale Aufmerksamkeit sich auf den Regelbetrieb des Frauenfußballs und die Profiligen auswirkt, wird von nahezu allen Expert_innen ausgeschlossen. Mangelnde Attraktivität und Qualität der Spiele oder leere Tribünen werden dann als nicht „fernsehreif“ oder „pressegerecht“ bezeichnet, auch in Deutschland. Das Argument kann freilich angefochten werden, denn die öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehstationen berichten auch von Dritt- oder Viertligaspielen der Männer mit weniger Zuschauer_innen.

Die Früchte des liberalen Feminismus
Kann Fußball ein Kick für Emanzipation sein? Zu welchen Ergebnissen kommt die „Gegnerinnen-Aufklärung“? Die Erfahrungsberichte aus Brasilien, Mexiko, Nigeria und Deutschland bestärken die These von Andrei S. Markovits und Lars Rensmann, wonach der (gesellschaftliche) Aufstieg des Frauenfußballs in Europa und Nordamerika dem Erfolg des liberalen Feminismus in diesen Regionen zu verdanken sei und den kosmopolitisch, kulturellen Effekten der zweiten Globalisierung. Demnach kann sich Frauenfußball in traditionell muslimischen oder von Machismo geprägten Ländern schwieriger entwickeln. Gleichwohl bietet Fußball, als Profisport oder Street Soccer, zuweilen auch eine Nische für individuelle Emanzipation, für Selbstverwirklichung, Empowerment oder ökonomische Unabhängigkeit (4). Die Diskussion darüber, inwiefern Frauen, wenn sie Fußball spielen ein anderes Spiel spielen, ist noch im Gange (5).  Markovits und Rensmann schreiben, dass sich Frauen in „Männersportarten“ wie Boxen oder Fußball eigene Räume schaffen, aber keine autonomen Räume in dem Sinne, dass sie abgekoppelt von den traditionellen, männlichen Riten, Praktiken und Sprachformen (6) existierten. Im SPIEGEL war dazu jüngst zu lesen: „Die Fußballerinnen wollen unvergleichbar sein und eigenständig und suchen doch noch ihre Identität, ein eigenes Profil. “ (Kramer 2011:97) Es bleibt zu wünschen, dass die Fußballerinnen genau dies bekommen, einen eigenen Raum in der Geschichte, das Recht auf einen Anteil in der Welt des Sports.

 
 

Fußnoten

  1. Vgl. der Dossierbeitrag von Katrin Gänsler „Die Hoffnung auf das große Geld“
  2. Zum Thema Fußball und Integration von Mädchen/Frauen mit Migrationshintergrund siehe auch: (Kleindienst-Cachay 2009)
  3. Diese Allianz besteht aus Personen in den Präsidien der Spitzenverbände im Sport (80-90% Männer), in den Sportredaktionen (92% Männer) und in Sportsponsoring-Abteilungen von werbetreibenden Unternehmen und Agenturen (80% der Entscheider sind Männer).
  4. Siehe dazu den Artikel von Diana Sousa aus Brasilien.
  5. Siehe zum Beispiel die Veranstaltungsreihe „Frauen kicken anders“ an der Universität Konstanz oder die Forschungsergebnisse des Leon Root Motion Analysis Laboratorys in New York
  6. Zum Beispiel heißt es auch bei den Frauen „Manndeckung“ und „Hintermann“ (statt „Fraudeckung“ und „Hinterfrau“) und eine gendersensible Sprache ist im Fußball kaum zu finden.
 
 

Literaturverzeichnis

  • Kleindienst-Cachay, Christa (2009): Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund im Sport – aktuelle Situation und Perspektiven für die Integration. „Wir sind dabei!“ Mädchen und Frauen mit Zuwanderungsgeschichte im Sport, Düsseldorf: Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen Landesportbund NRW.
  • Kramer, Jörg (2011): Königin Fußball. Der Spiegel, Hamburg.
  • Schaaf, Daniela und Nieland, Jörg-Uwe (2011): Der Widerspenstigen Zähmung: Zur Sexualisierung des Frauenfußballs. das argument, 61-66.
  • Walter, Natasha (2010): Living dolls : the return of sexism, London, Virago.
  • Wopp, Christian (2006): Forschungsprojekt Analyse von Fußballvereinen in Deutschland Endbericht. Osnabrück: Universität Osnabrück.