Weiblicher Fußball entzaubert

Verteidigerin Heather Mitts (USA) am Ball
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Verteidigerin Heather Mitts (USA) am Ball

„Jeder soll dabei sein, wenn im Jahr 2011 die besten Frauen der Welt die schönste (Neben-)sache der Welt zelebrieren. In der für Frauen typischen Art und Weise: elegant, dynamisch, technisch versiert, leicht und locker ... kurzum: schön“ – so wurde Steffi Jones nach der Präsentation des WM-Slogans „20ELF von seiner schönsten Seite“ im April 2009 zitiert.

Mit dem Versprechen auf einen schönen und spezifisch weiblichen Fußball wurde im Vorfeld der WM viel Werbung gemacht – vonseiten der Veranstalter, aber auch von Spielerinnen und Trainerinnen selbst. Dabei ging es vor allem auch um Werbung gegen den Vergleich mit dem Männerfußball. Frauenfußball sollte als eigenständige Disziplin etabliert werden, die mit dem Männerfußball zwar die Regeln teilt, ansonsten aber ein ganz anderer Sport ist.
 

Uneleganter Fußball, unelegantes Publikum

Allerdings lauert der Vergleich auch in den Attributen, die dem Frauenfußball so eifrig zugeschrieben wurden. Technisch und taktisch anspruchsvoll, elegant und mit weniger Fouls im Spiel – das alles lässt sich auch verstehen als positive Umschreibung für langsamer, kraftloser und weniger athletisch als … natürlich … Männerfußball.

Dieser Umstand ist den WM-Organisatoren und auch den Akteurinnen im Laufe der ersten Spiele auf die Füße gefallen: Es gab Fehlpässe und versprungene Bällen statt flüssigem Kombinationsspiel, Patzer der Torhüterinnen wechselten sich ab mit vergebenen Chancen der Stürmerinnen. Wo bleibt der Zauberfußball, hieß es zwangsläufig schon bald, wo bleibt die schönste Seite? Selbst in den Partien der inzwischen in gemeinschaftlicher Enttäuschung ausgeschiedenen Favoritenteams aus Brasilien und Deutschland war zu sehen: Frauenfußball ist durchaus nicht immer technisch anspruchsvoll und weiblich-elegant, sondern mitunter einfach schlecht und dreckig.

Interessanterweise hat sich auch das Publikum in gewisser Weise von den Erwartungen an eine Frauenfußballkulisse emanzipiert. Familien sollten vor allem in die Stadien kommen, so war der Plan, viele Kinder und Frauen. Richtig, es ist kein klassisches Fußballpublikum, dazu ist es entweder zu jung (oder zu alt), zu weiblich und trinkt zu wenig Bier. Die Atmosphäre unterscheidet sich in den verschiedenen Spielorten und je nach Anstoßzeit und Spielpaarung zweifellos. Dennoch haben die ersten zwei WM-Wochen gezeigt: Das Publikum ist nicht gewillt, sich mit der Rolle als rhythmisch klatschender La-ola-Kulisse zufrieden zu geben. Los ging es wohl mit der Partie Deutschland gegen Nigeria, wo nicht nur auf dem Platz wenig Fairness und schönes Spiel herrschte, sondern eben auch von den Rängen Pfiffe und Unmutsbekundungen zu hören waren – was die berichtenden Reporter und Kommentatoren ein wenig aus der Fassung brachte. Pfiffe? Beim Frauenfußball? Das gehört sich doch nicht.
 

Keine Klatschkulisse

Es ist – zumindest bei den gut besuchten Spielen, die nicht mit halb-interessierten Schulklassen aufgefüllt werden – durchaus ein fußballkundiges Publikum inklusive Teenie-Mädchen, die sich beim Aufwärmen der Brasilianerinnen in ihr Handy Notizen für das eigene Vereinstraining machen. Die Zuschauer murren bei strittigen Abseitsentscheidungen oder stöhnen auf, wenn ein Zuspiel nicht gelingt, wie es soll. Auch die ungeschriebenen Gesetze sind bekannt: Wird der Ball nach Verletzungsunterbrechung nicht zurückgegeben, ein Abschlag zu sehr ausgedehnt oder springt die angeblich verletzte Spielerin putzmunter von der Trage – dann hagelt es Pfiffe. Das ist manchmal unfair und nicht nur positive Unterstützung, sicher. Aber es ist eben auch … Fußball.

Bemerkenswert, was die US-Amerikanerinnen aus dem vermeintlichen Frauenfußball-Mutterland zum Publikum sagen. Sie äußerten sich erfreut darüber, dass bei der WM eben keine reine Klatschkulisse herrscht. „Die Fans gehen hier nicht nur begeistert mit, sie haben auch wirklich Ahnung von unserem Spiel“, so Abby Wambach. Und Kollegin Heather Mills: „Es ist unheimlich schön zu erleben, wie die Zuschauer im richtigen Moment jubeln und klatschen. Das ist bei uns in den USA nur selten der Fall, weil sie die Regeln nicht genau kennen.“
 

Entzauberung

Was Spiele wie Schweden gegen die USA, Frankreich gegen England oder eben auch die Viertelfinalpartien Japan gegen Deutschland und USA gegen Brasilien attraktiv gemacht hat ist nichts spezifisch Weibliches. Es geht weder um die Fingernägel von Louisa Necib noch die Frisur von Kim Kulig, weder um elegante Dribblings noch um das faire Spiel. Sondern um Spannung, Aufregung, Atmosphäre und unerwartete Wendungen. Oder eben darum, auch zu zeigen, dass ein Spiel schlecht ist, Entscheidungen der Schiedsrichterin falsch oder Aktionen unfair.

Entzaubert wurde so sehr wirkungsvoll die verklärte Wahrnehmung von Frauenfußball als besonders schöner, weil weiblicher Sportart. Dazu gehörte auch die vor dem Turnier beinahe zwanghaft betriebene Verknüpfung von weiblichem Fußball und weiblicher Attraktivität, perfekt zusammengeführt im Nike-Slogan der Kampagne mit Lira Bajramaj „Wer scharf aussieht, schießt auch schärfer“. Manchmal jedoch verweigert sich die Realität den Vorgaben der Vermarktung. Die Bilder dieser WM, die vom deutschen Team in die noch kurze Geschichte des Frauenfußballs eingehen, sind starke Bilder, keine Frage. Aber es sind keine scharfen Schüsse von scharfen Mädchen. Sondern die Auswechslung einer wütenden und enttäuschten Birgit Prinz, die Tränen von Kim Kulig nach ihrer Verletzung und die leeren Gesichter aller Spielerinnen nach dem Abpfiff des Viertelfinals. Das ist Fußball. Und Fußball ist nicht immer schön.