“I am not your Negro”!

Feministischer Zwischenruf

Eine Dokumentation, in der James Baldwin über eine der brutalsten Erfindungen Weißer Menschen nachdenkt und nachfühlt. Ein nicht-weißer Schwarzer, feministischer Zwischenruf.

James Baldwin in I AM NOT YOUR NEGRO, a Magnolia Pictures release. Photo courtesy of Magnolia Pictures.
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James Baldwin in I AM NOT YOUR NEGRO, a Magnolia Pictures release. Photo courtesy of Magnolia Pictures.

“I’m not playing games with people anymore”, sagt Filmemacher Raoul Peck. “If you don’t get it, it’s your problem. I’m not going to wait for you. I’m not going to explain it to you much more than this film.”

Die meisten Schwarzen Menschen, die als unbezahlte geduldige Lehrer*innen und Aufklärer*innen für Weiße Menschen unterwegs waren und sind, stell(t)en irgendwann fest, dass sie genug vom „Spiele“ spielen haben; soll heißen, sie klären zwar weiterhin auf (!), aber nehmen sich fest vor, dem Ganzen nur noch einen Versuch zu geben.

Hier sind keine individuellen Erfahrungen einiger eifriger Schwarzer Menschen gemeint. Es geht um nichts weniger als um die globalen Erfahrungen, Weißen Menschen Rassismus detailliert erklären und immer wieder beweisen zu müssen. Diese Tatsache wird umso grotesker, wenn frau* und mann* sich vor Augen hält, dass es ihre Krankheit ist, über die sie am besten informiert sein sollten. Der Filmemacher Peck versucht es nun mit seinem jüngsten Film ein letztes Mal….

In James Baldwins Worten: “What white people have to do is try and find out in their own hearts why it was necessary to have a nigger in the first place, because I'm not a nigger,…”   Baldwin spricht 1963 davon, dass diese Erfindung des N…. eine Weiße Erfindung ist. Schwarze Menschen wissen das. Und heute wissen das auch einige Weiße Menschen. Doch was bedeutet dieses Wissen für uns alle? Oder: Wie könnte das Umsetzen dieses Wissens aussehen?

Ich komme auf diese Frage zurück....

Die Weiße Wut

Die Dokumentation ist nicht über James Baldwin, vielmehr „durch“ ihn wird das rassistische System in den USA gezeigt. Im Kino stellte ich mir oft die Frage: Muss ich jetzt so unendlich lang hinsehen, wenn Weiße Polizisten auf Schwarze Menschen wieder und wieder und wieder brutalst einschlagen, zutreten, kurz verschnaufen, um wieder zutreten zu können, immer mehrere gegen  eine einzige Person. Schwarzen Zuschauer*innen ist die Quote bekennender Weißer Supremacisten, die bei der Polizei arbeiten, völlig einleuchtend. Die Wut im Gesicht schlagender oder aufs Schlagen wartender Weißer Polizisten, ist keine, die hochkommt, weil ein Dieb ausgemacht wurde. Diese Wut kann blitzartig hochschnellen, stets abrufbereit, weil sie seit Jahrhunderten transgenerational konserviert und ernährt wird. Sie ist körpereigen.

Aretha Schwarzbach-Apithy

Aretha Schwarzbach-Apithy ist gelernte Erzieherin, Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung. Studium der Erziehungswissenschaften an der TU und Gender Studies an der HU Berlin, Magisterarbeit zum Thema: "Die Metamorphose zur Anti-Rassist – aus afrozentristischer Perspektive." Thema ihrer Doktorarbeit: "Weißsein als Norm in den Erziehungswissenschaften". Arbeitsaufenthalte u.a. in Zambia und Bolivien mit den Schwerpunkten Empowering und Dekolonisation im Kinder- und Jugendbereich. Sie ist Aktivistin in der Black Community, Mitbegründerin der Schwarzen Studiumsgruppe und leidenschaftliche Mutter.

In den Dokumentationen und Spielfilmen von Peck ist nichts zufällig, so auch die Bilder Weißer Menschen, die keine staatsdienenden Uniformen tragen; die eine Meute formierend herumspringen, die mit Baseballschlägern in lachend grölender Vorfreude auf ihren Einsatz warten. Keine Polizisten, sondern einfache Bürger jungen und mittleren Alters. Wer Weiß, aber zu alt ist, um sich schlagend einzumengen, schaut eben zu und erfreut sich so der eigenen Superiorität, den verspürenden Höhenflug tief einatmend. Es muss ein gewaltiger Kick sein.

Während ich hinsah, wurde meine „ahistorische“ Perspektive mit jede* und jeder* und jede* und jeder* und jede* und jeder* und jede* und jeder* und jede* und jeder* und jede* und jeder* und jede* und jeder* weiteren Schlagstockszene bestätigt: Völlig mühelos mischen sich Bilder, Szenen, Worte, Schreie aus fünf Jahrhunderten zusammen, ununterscheidbar, komplett irrelevant, an welchem Tag, in welchem Jahr eine Schwarze Person zusammengeprügelt und oder ermordet wurde. Der Akt ist ständig der gleiche, weil die Krankheit die gleiche ist: Die eigentlichen Opfer leben ihre Krankheit zwanghaft (nicht nur) an Schwarzen Menschen aus. "I am not the victim here", sagt Baldwin und spricht über die Erfindung der Weißen als etwas, wodurch sie ihre ureigene Wahrheit offenbaren.

Who is the Nigger? -James Baldwin (clip) - twreflect

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Der Weiße Traum

Baldwin ist in Deutschland als Autor – wenn das so gesagt werden kann – bekannt, auch als homosexueller Autor, aber nicht als ein Mensch, der seine Schwarzen Erfahrungen in Verbindung mit seinem intellektuellen Wissen und seinen Beobachtungen gebracht und daraus klare Analysen entwickelt hat. Sie sind radikal, weil sie nicht aus Angst beschönigen; radikal auch, weil sie Schwarze Menschen um keine weitere Warteperiode auf Freiheit vertrösten; klar und radikal, weil Baldwin die Tatsache und Forderung ausspricht, dass sich Weiße Menschen mit ihrem “Problem“ – was auch immer es ist – auseinandersetzen müssen.

“…if you continue to ignore what the film is saying to you, it’s basically criminal”, sagt Peck.  Er lässt ausschließlich Baldwins Worte sprechen; keine Off-Texte oder -Stimmen, die über Baldwin sprechen und interpretieren. Peck hatte eine genaue Vorstellung der Stimme, die Baldwins Texte und Gedanken sprechen sollte und entschied sich für Samuel L. Jackson. Mit Jacksons und Baldwins Stimme und den Bildern zeigt Peck die politisch-kulturelle Mär des amerikanischen Traums, der auf Versklavung aufgebaut ist und vor allem auch auf der Vernichtung der First Nations/Native Americans.

Er zeigt die singenden strahlenden Weißen Körper, die förmlich schreien: „Ich bin unschuldig!“, die Weißen mit sich zufriedenen, konsumierenden Familien mit Kids und bunten Gärten gemeinsam mit den Erschlagenen und Ermordeten in den USA – zeitgleiche Geschehen. Eins von beidem ist nicht wirklich real; kann nur existieren über Ausblendung der anderen Realität, kann nur existieren aufgrund des Tötens von Millionen Nicht-Weißer.

Was kann nun dieses Wissen über die Erfindung des N – mit der sich auch Frantz Fanon ausgiebig beschäftigt hat – für uns alle bedeuten? Oder: Wie könnte das Umsetzen dieses Wissens aussehen?

Weiße Menschen müssen (!) beginnen, ein emotionales Verständnis davon zu erlangen, dass sie ein Problem haben. Zu allererst sollten dabei zwei Fragen als Orientierung dienen:

  1. Wofür bewahren sie sich immer wieder ein Stück Rassismus und Diskriminierung?
  2. Welche Bedürfnisse suchen sie mit Rassismus und Diskriminierung zu befriedigen / zu unterdrücken?

Ich gehe davon aus, dass ohne die Suche nach Antworten auf diese Fragen alle anderen Schritte stets nur temporäre letztlich auch rassistische, zumindest paternalistische Konstrukte bleiben können.

Ohne diese Recherchearbeit ist nicht abzusehen, wie lange Schwarze Menschen Aufklärungsarbeit leisten werden. Diese Arbeit leisten sie, weil Weiße Menschen dies nicht wollen und oder nicht können. Diese Arbeit symbolisiert rassistische Beziehungen, die wir alle leben. Die Vergütung dieser Arbeit entspricht dabei dem wahren Hintergrund der Arbeitsbeziehung nicht.

Rassistische Strukturen sind institutionell, kollektiv und in individuellen Menschenbildern grundsätzlich und normativ verankert, so dass „antirassistische“ Aufklärung als ein immer größer werdender Bereich Arbeitsstellen, Aufträge, Honorare, Seminare, Trainigs, Institute, Gesetze uvm. bereithält.

Es ist verständlich, dass „Baldwin’s work will be the work we're going to have to utilize to get through this next phase.” (Baldwins Arbeit wird die Arbeit sein, die wir nutzen müssen, um durch diese nächste Phase zu kommen.)

 

Trailer von "I am not your negro"