Mein fetter Körper – Eine Liebeserklärung

Feministischer Zwischenruf

Klar, einen Körper zu haben ist existenziell. Doch ihn zu akzeptieren, gar zu lieben wie er ist, ist leider schon nicht mehr so selbstverständlich. In diesem Text geht es um Körperform, Körpergewicht und jeweilige Normierungsbestrebungen. Denn die Beschäftigung mit dem (eigenen) Körper ist grundlegender Bestandteil intersektionaler feministischer Arbeit

An eine beschlagene Schreibe ist mit einem Finger ein Herz gemalt worden. Im . Im Hintergrund sind verschschwommene Lichter zu sehen
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Die Autorin ist "in love" mit ihrem Körper

Vor einigen Jahren war ich im Rahmen eines Retreats bei einer Übung angehalten, mehrere Abschiedsbriefe, unter anderen einen Brief an meinem Körper, zu schreiben.
Waren die Briefe an Lieblingsmenschen und Projekte noch einfach, so war der an meinen Körper geprägt von einer neuen intensiven Erfahrung. Diese Erkenntnis, vor allem das Neue daran, hat mich erschreckt und zum Nachdenken gebracht.

Ich bin seit nahezu 45 Jahren mit diesem Körper unterwegs. Ich liebe ihn, meistens.
Als Kind war ich ziemlich zufrieden mit seiner Form; trotz der Rückmeldung, dass mein Körper etwas zu fett sei: „gordita“ (Dickerchen). Bis heute bombardiert mich die Gesellschaft mit Messages: „zu dick“, „nicht in Ordnung“, „problematisch“. Selbst als ich sehr, sehr wenig wog, wurden Körperteile von mir als sogenannte Problemzonen beschrieben, ein zu dicker Po zum Beispiel.

Als Kind wurde mir also permanent suggeriert ob subtil, offensichtlich, ironisch, ernst, sarkastisch, wohlwollend, absichtlich, etc.  nicht in Ordnung zu sein, nicht nur wegen meines Körpers aber auch deshalb. Ich erfuhr, dass egal wie und was ich machen würde in Bezug auf meine Körperform und Körpergewicht, nie richtig sein werde. Zu dick, oder zu dünn, da ist etwas falsch, nicht in Ordnung, da könntest du mehr oder weniger, da lieber weniger und als Frau* da und da mehr. Das ist, vor allem in Bezug auf Identitäten-Findungsprozesse junger Menschen, höchstproblematisch und zerstörerisch. Von Selbstliebe gar nicht zu sprechen. Die gesellschaftliche Selbstverständlichkeit der westlichen Schönheits- und Körperideale berührt und beeinflusst alle, über Klasse und race hinweg.

Jetzt weiß ich, dass das Frau*-sein hier eine wichtige Rolle spielt. Frauen* werden, wenn es um Körper geht besonders als Objekt betrachtet. Ein formbares Objekt, das nie „richtig“ sein wird, und die westlichen Schönheitsstandards und –ideale sind übermächtig omnipräsent. Selbst in feministischen Kreisen, habe ich oft Aussagen wahrgenommen, wie: Wow! bei ‚der’ sitzt ja alles (sic).
Ja, wow! Habe ich auch von mir allzu oft selbst gehört, und bestimmt werde ich mich das noch öfters sagen hören. Sozialisiertes, Internalisierungen und Normvorstellungen sind in uns tiefst verwurzelt und strukturieren uns mehr, als uns lieb ist.

Ich liebe meinen Körper, so wie er ist!

Ich muss zugeben, ich fand es viel schwieriger mein fetten Körper lieben zu lernen als abzunehmen. Ich hatte es nie gelernt, meinen Körper so anzunehmen wie er ist, ich hatte gelernt Schönheitsidealen nachzueifern. Ja, ich lernte, es sei richtig abzunehmen, Mitglied eines Fitnessstudios zu sein, auf die Ernährung zu achten, Zeit zu haben, um dies oder jenes „für meinen“ Körper zu machen. Ich fragte mich immer wieder: Habe ich das alles für MEINEN Körper gemacht oder für EINEN gesellschaftlich akzeptierten Körper? Ich weiß, letzteres war der Fall, bis ich lernte mein Körper zu lieben und mich davon befreite, gesellschaftliche Manipulationen anzunehmen. Als ich erkannte, das tut mir und meinem Körper nicht gut. Um meinen Körper lieben zu lernen, begab ich mich in einen schmerzvollen Prozess, denn ich erkannte, dass ich nicht wertschätzend gegenüber meinem Körper und mir selbst handelte. Mich äußerlich zu verändern, fühlte sich für mich leichter an, als mich mit mir selbst zu beschäftigen und über neue Strategien nachzudenken.

Olenka Bordo Benavides lebt in Berlin und ist Pädagogin, Sozialwissenschaftlerin und Mutter. Sie arbeitet im Bildungsbereich und ist als Dozentin und Teamerin tätig, sowie als Externe Evaluatorin zum Berliner Bildungsprogramm. Ihre Schwerpunkte sind Bildung, Care, Dekolonialität, Empowerment, Diskriminierungs- und Rassismuskritik, Gender, Identität, Inklusion und Transnationalität.

Ich tanze gern, es macht mich glücklich. Doch tanzen als Fette wird gesellschaftlich nicht als Selbstverständlichkeit betrachtet. Wie oft habe ich gehört: „Du tanzt gut, obwohl du dick bist“. Soll wohl als ein Kompliment (gut) gemeint sein.
Überhaupt bin ich ein sehr aktiver Mensch. Nein, das ist kein Wunder bei einer Fetten wie mir. Es ist ein Wunder, dass wir in einer Gesellschaft leben, die Fett-sein ständig problematisiert, die geprägt ist von Schönheitsidealen und Normvorstellung und so Menschen „ungesund“ oder „anormal“ gemacht werden. In einer Gesellschaft, bei der das sog. „normale“ Body-Max-Index-Märchen das Leben vieler Menschen bestimmt und zwar durchgängig. Lauter Normative, die wirkungsmächtig und einengend sind, und Menschen darauf reduzieren: Zu Fett, um dies oder jenes zu machen, zu sein, zu wollen, zu können. Menschen sterben bei dem Versuch diesen Schönheitsidealen zu entsprechen.

Eine Gesellschaft, in der, wenn du als Fette* zur Ärztin* gehst, deine Symptome nicht ernstgenommen werden, stattdessen ist es immer das Gewicht. Ich weiß: Personen, die mir nahestehen, machen sich Sorgen um meine „Gesundheit“. Das tue ich auch, deswegen höre ich ihnen nicht mehr zu.

Ich versuche ihm, MEINEM Körper, Zeit zu geben, wenn er das braucht. Ich habe in einem langen Prozess gelernt, mich und meinem Körper zu feiern. Und vor allem habe ich gelernt ihn zu lieben, meinem fetten Körper, so wie er ist.
Ich will in einer Gesellschaft leben, in der selbstverständlich ist, den eigenen Körper bejahend zu erleben. Ich will in einer Gesellschaft leben, in der Menschen mit ihrem Körper von Anfang an in love sind.