Antifeminismus macht rechte Positionen gesellschaftsfähig

Antifeminismus und Anti-Gender-Rhetorik spielen bei der „Einmittung“ rechter Weltanschauungen eine zentrale Rolle. Sie machen rechte Denkweisen in der gesellschaftlichen Mitte salonfähig und ermöglichen es Teilen der Gesellschaft, nach rechts zu rücken, ohne dass es rechts aussieht. 

In den vergangenen Jahren haben Anfeindungen gegen Gender, Gleichstellung und Feminismus stark zugenommen. Diese Entwicklung hängt, wie bereits vielfach gezeigt wurde, eng mit dem globalen Aufstieg rechtsextremer und rechtspopulistischer Kräfte zusammen. Sowohl Misogynie (Frauenhass) wie auch die Verteidigung stark traditioneller und hierarchischer Geschlechtermodelle und nicht zuletzt die Ablehnung von Homosexualität sind historisch und bis heute zentrale Elemente völkischen und nationalistischen Denkens. So sind zum Beispiel Nationalismus so wie auch die Idee eines homogenen Volkes inhärent mit Konzepten einer traditionellen und „heilen“ Familie verbunden, in denen ein deutscher Vater und eine deutsche Mutter das Volk reproduzieren. Damit einher gehen auch hierarchische Geschlechternormen wie das Bild der aufopferungsvollen Mutter und jenes des überlegenen Mannes.

Im Zuge der aufstrebenden neo-reaktionären Politiken ist es wenig überraschend, dass feministische oder queere Perspektiven, die egalitäre Lebensmodelle anstreben, die eine Vielfalt von geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen ermöglichen wollen, abgelehnt und angefeindet werden. Ebenso wenig überraschend ist es, dass wissenschaftliche Untersuchungen und Theorien bekämpft werden (Gender Studies), die diese Vielfalt auch wissenschaftlich feststellen oder die geschlechtliche Machtstrukturen analysieren und kritisieren. 

Antifeminismus und Anti-Gender-Diskurse haben jedoch bei weitem nicht nur in eindeutig völkischen oder rechten Milieus Konjunktur. Sie finden seit einigen Jahren Anklang quer durch alle gesellschaftlichen und politischen Milieus. Es wird derzeit immer deutlicher, dass Antifeminismus und Anti-Gender eine Scharnierfunktion haben, sie bilden eine Art gemeinsamen Nenner für sehr unterschiedliche Lager – von rechtsaußen, christlich-fundamentalistischen Kreisen, „besorgten Eltern“ bis hin zu Konservativen, Feuilletonisten, Liberalen und auch Linken. Wie es die Journalistin Lea Susemichel jüngst zugespitzt im Standard[1] formulierte: „Darauf, dass die Feministinnen den Bogen überspannen, können sich Männer unterschiedlichster Lager und Milieus immer noch einigen.“ So verschieden die inhaltlichen Positionen sein mögen, beim Feindbild Feminismus oder Gender kann man sich offenbar verständigen.

Anti-Gender-Politik als Schaltstelle rechter Politik

Antifeminismus ist also nicht nur ein fester Bestandteil völkischer Ideologie, sondern auch ein Scharnier, das Querverbindungen und Gemeinsamkeiten mit anderen Akteur*innen, vor allem mit der gesellschaftlichen Mitte herstellt. Antifeminismus und Anti-Gender, so meine These, wurden dadurch zu einer zentralen Chiffre, mit der die Einmittung rechter Weltanschauungen möglich wird, mit der also rechte Positionen in verschiedenen politischen Milieus gesellschaftsfähig werden. Denn die Ablehnung von Feminismus oder Gender erscheint auf Anhieb nicht – wie etwa Fremdenfeindlichkeit oder plumper Nationalismus – eindeutig rechts. Etwas salopp gesagt: Mittels Antifeminismus und Anti-Gender lassen sich beispielsweise demokratische Prämissen wie Egalität delegitimieren, ohne Ausländer-raus-Parolen zu bemühen.

Seit den 1990er Jahren wurden sowohl feministische Forderungen als auch Gender-Konzepte international, politisch wie wissenschaftlich institutionalisiert. Auch wenn diese Institutionalisierung de facto bescheiden ausfällt, so weist Gender dadurch Merkmale auf, die sich optimal sowohl mit rechten aber auch liberalen Feindbildkonstruktionen kombinieren lassen, zum Beispiel mit Anti-Etatismus (Staatsfeindlichkeit), Anti-EU, mit Elite-Bashing und Wissenschaftsfeindlichkeit.

All das bedeutet freilich nicht, dass Feminismus oder Gender-Konzepte im Konkreten nicht kritisierbar oder streitbar wären. Diese Felder sind in sich selbst kontrovers und uneinheitlich und kritische Auseinandersetzungen sind wichtig und notwendig. Die derzeitigen Angriffe gegen Gender oder Feminismus konstruieren diese jedoch als vermeintlich einheitliche Ideologien beziehungsweise als „totalitäre Staatsdoktrin“ (siehe Begriffe wie „Genderlobby“ oder „Staatsfeminismus“ usw.). Solche verzerrten Darstellungen richten sich nicht nur einfach gegen bestimmte Anliegen von Feministinnen, von LGBTIQ Menschen oder gegen konkrete Konzepte aus der Genderforschung. Vielmehr handelt es sich um pauschale Feindbildkonstruktionen, die pauschale Effekte haben, nämlich eine Delegitimierung von demokratischen Grundprämissen wie Egalität, Inklusion, Menschenrechten, Minderheitenschutz und Antidiskriminierung sowie die Infragestellung von Teilen der Grundgesetze und Verfassungsaufträge und nicht zuletzt die Ablehnung von demokratischen Institutionen und Wissenschaft.

Insbesondere die Delegitimierung und Infragestellung von Egalität, Grundgesetzen und Institutionen sind ein Kerngeschäft rechter Politik. Wie zum Beispiel der Rechtsintellektuellen Klaus Kunze 1995 in seinem programmatischen Aufsatz Wege aus der Systemkrise schreibt, müsse man das der „Grundgesetzkonstruktion“ und den „verfassungsrechtlichen Normen gehorchende System“ der Gleichheit unterwandern und zerstören, da es, wie er kritisiert, allen Gruppen und Menschen ermögliche, ihre Belange geltend zu machen. Um die Gleichheitsprämissen zu delegitimieren müsste man, so Kunze weiter, diese als „totalitär“ darstellen.

Diese Politik zeigt sich längst auch auf der europäischen und internationalen Ebene, Antigender-Netzwerke agieren über Nationalgrenzen hinaus,[2] sie richten sich gegen die Gleichstellungspolitiken der EU, gegen das Europäische Parlament, internationale Abkommen oder Institutionen wie den Europäischen Gerichtshof. EU-Politik und Institutionen werden in der antifeministischen Rhetorik beschuldigt, den totalitären Feminismus einzuführen. So empfiehlt zum Beispiel das christlich-fundamentalistische Netzwerk Agenda Europe, das regelmässig zu internationalen Treffen einlädt: Man sollte fortwährend Institutionen wie etwa den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als „ideologisch motiviert“ brandmarken. Weiter solle man sich, wann immer möglich, gegen die „überzogenen Ansprüche“ von Minderheiten verwehren und „sich über Diskriminierung sowie über die Unterdrückung der Meinungsfreiheit durch LGBTI-Aktivisten, Feministinnen“ und so weiter beklagen.[3]

Political Correctness und Tabubruch

Auch im Zuge von Anti-PC-Kampagnen wurden Feminismus und Gender zu einer Chiffre für eine angeblich aus dem Ruder gelaufene, übertriebene Emanzipation, für unnötige und übertriebene Gleichstellungspolitik oder Forschung. „Politische Korrektheit“ war von Anfang an ein rechter Kampfbegriff. Die Anti-Political-Correctness-Agenda (Anti-PC) wurde aus den republikanischen US-Wahlkämpfen der Achtzigerjahre in den deutschsprachigen Raum importiert und dort zunächst von rechtsradikalen und antisemitischen Verschwörungstheoretikern in Umlauf gebracht. Die ersten Sätze in der rechtsextremen Anti-PC-Bibel von Klaus J. Groth, Die Diktatur der Guten: Political Correctness (1996), lauten: „Die Diktatur hat einen neuen Namen: Political Correctness. Sie ist die Herrschaft der Minderheit über die Mehrheit. Die Minderheit der Political Correctness terrorisiert mit ihrem Tugendkanon und erstickt die Meinungsfreiheit.“ Auf diesen Zug sprangen jedoch bald auch Konservative, Liberale und Linke auf, die sich vor dieser Folie als Befreier und Tabubrecher zu inszenieren vermochten.

Der Tabubruch wurde spätestens mit Thilo Sarrazin («Das wird man ja wohl noch sagen dürfen») zu einer der erfolgreichsten diskursiven Strategien, um demokratische Mindeststandards wie Antidiskriminierung infrage zu stellen und Hass mit Meinungsfreiheit gleichzusetzen.[4] Gemäss der allgemeinen Tabu-Narration wird angeblich die Wahrheit tabuisiert, weil Minderheiten geschützt werden sollen und eine politisch korrekte «Einheitsdoktrin» vorherrsche. Diese verbiete uns, alles zu sagen und dagegen müsse man sich wehren.

Gender und Feminismus wurden in den vergangenen Jahren pausenlos als Mit- Urheber dieser vermeintlichen Tabus identifiziert, als Inbegriff von Denk- oder Meinungsverboten, ja gar von „Totalitarismus“.[5] In der Schweiz setzt sich etwa der ehemalige Chefredakteur der Basler Zeitung Markus Somm als liberaler Enttabuisierer einer angeblich totalitären Gleichschaltung durch „die Genderforschung“ in Szene. Somm plädiert für das Recht von Männern und Frauen, unterschiedlich sein zu dürfen, „we like to differ“, wie er in der Basler Zeitung (2014) ausruft.[6] Sein Plädoyer für Unterschiedlichkeit erscheint als liberale Rettung angesichts einer totalitären Gendermacht, die angeblich alle gleichschalten will. Bei genauer Betrachtung ist jedoch die vermeintliche „Genderdiktatur“ nicht nur ein Popanz (ca. 0,4 Prozent aller Professuren in Deutschland haben, Stand 2016, eine Teil- oder Volldenomination für Gender Studies, in der Schweiz sind es noch weniger), sondern Somms Anliegen selbst ist genau besehen dogmatisch und nur begrenzt an der Freiheit orientiert. Mädchen würden nun mal, wie er im Alltag beobachte, lieber mit Puppen spielen als Buben, schreibt er – und pocht auf die Biologie. Somm leitet, ausgehend von Alltagsbeobachtungen und naturalistischen Sein-Sollen-Fehlschlüssen eine ahistorische Pauschalwahrheit ab: Weil ich sehe, dass Menschen etwas tun (mit Puppen spielen), weiss ich auch automatisch, was ihre Rolle in der Gesellschaft zu sein hat.

Kurzum: Der Vorwurf gegen Gender-Konzepte, totalitär zu sein, ermöglicht es Somm und anderen, sich selbst als Befreier und Tabubrecher zu inszenieren und dabei selbst stark normative Perspektiven zu vertreten. Proklamiert wird ein verdrehter und fragwürdiger Liberalismus-Begriff, der das Festhalten an Stereotypen, Normen und Hierarchien zum Inbegriff von Freiheit verklärt.

Mythos der erreichten Gleichstellung

Ein weiteres verbreitetes Argument gegen Feminismus und Gender ist die Behauptung, wir seien heute gleichgestellt. Auch hier ist der bereits erwähnte Text von Markus Somm exemplarisch: Er bezieht sich darin auf eine Studie aus der Geschlechterforschung, die eine anhaltende geschlechterstereotype Berufswahl bei Jugendlichen in der Schweiz aufzeigt und behauptet, die Ergebnisse bewegten sich «im Mikrokosmos der angeblichen Geschlechterungerechtigkeiten». Die Beseitigung wirklich «schwerwiegender Diskriminierungen wie der Tatsache, dass eine Frau ohne Erlaubnis ihres Mannes keinen Vertrag unterschreiben konnte», sei erfolgt, und aus liberaler Sicht ein «selbstverständliches Anliegen». Die Gleichstellung in der Schweiz sei erreicht und weitere Studien deshalb überflüssig und übertrieben. Die  noch fortbestehenden Unterschiede führt Somm auf die Natur zurück. Dass es also «nach wie vor sehr wenige Elektrikerinnen und Zimmerfrauen gibt», beweise, dass es sich hier um natürliche und unveränderbare Geschlechterdifferenzen handle. Deshalb habe es «etwas Totalitäres, wie die Genderwissenschaft den Menschen neu formen wolle».

Solche Argumentationen richten sich klar gegen einen bestimmten Teil der Verfassung bzw. in Deutschland gegen das Grundgesetz, nämlich den dort festgehaltenen Auftrag, Gleichstellung nicht nur formal festzuhalten, sondern auch tatsächlichen umzusetzen. Im deutschen Grundgesetz (und in der Schweizer Verfassung) steht: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Demokratische Gesellschaften reagieren damit auf die Tatsache, dass eine optimale Gesetzeslage allein nicht ausreicht, weil Ungleichheit und Diskriminierung nicht nur über gesetzliche, sondern auch über symbolische Ordnungen (Kultur) reproduziert wird.[7]

Zur Verwirklichung der faktischen Gleichstellung und Chancengleichheit ist deshalb die Herstellung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen notwendig, unter denen Frauen (und Männer) ihre gleichen Rechte überhaupt umsetzen können. Die Behauptung, Gleichstellung sei erreicht, reduziert diese auf die formale Ebene, während eine Politik, die auf die tatsächliche Umsetzung dieser Gleichheit ausgerichtet ist, als übertrieben und totalitär dargestellt wird. Abgewehrt wird damit ein Grundprinzip demokratischer Gesellschaften, nämlich, dass diese sich dazu verpflichten, Egalität nicht nur zu verkünden, sondern auch materiell umzusetzen. 

Es ist wichtig zu verstehen, welche Effekte und Ziele Antifeminismus und Anti-Gender-Mobilisierungen haben: Sie spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle dabei, die von rechts verhassten „Grundgesetzkonstruktionen“ infrage zu stellen und reaktionäre Weltanschauungen normal werden zu lassen. Genau dies gilt es auch immer wieder aufzuzeigen. Wir müssen uns darüber klar werden und darüber aufklären, welche Mechanismen und Ziele hinter pauschalisierenden antifeministischen Feindbildern stehen. Auf dieser Grundlage ist es auch möglich, Debatten und kritische Reflexionen über unterschiedliche feministische Perspektiven, Vorgehensweisen oder Gender-Konzepte zu führen, ohne dabei reaktionäre Propaganda zu bedienen. 


[1]https://derstandard.at/2000101045452/Die-Daemonisierung-des-Feminismus

[2] Über die sowohl diskursive wie auch personelle und organisatorische Vernetzung antifeministischer Kräfte hat der Diskursatlas Antifeminismus zahlreiche Infos gesammelt und zeigt Zusammenhänge auf:  http://www.diskursatlas.de/index.php?title=Hauptseite

[3]Vgl. Recherchebericht des European Parliamentary Forum on Population and Development über das Netzwerk Agenda Europe (https://www.epfweb.org/sites/epfweb.org/files/rtno_epf_book_lores.pdf, Zugriff: 16.11.2018).

[4]Mit der Schlagzeile „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ eröffnete BILD (04.09.2010) ihre Kampagne für Thilo Sarrazin und dessen Buch „Deutschland schafft sich ab“.

[5]Zur Verwendung des Totalitarismus-Begriffs durch Antifeministen und die Neue Rechte siehe: http://www.diskursatlas.de/index.php?title=Dritter_Totalitarismus

[6]https://www.bazonline.ch/leben/gesellschaft/mann-und-frau-sind-gleich-g…

[7]Siehe dazu Pierre Bourdieu Die männliche Herrschaft (1998).