Wie eindimensionale Identitäten den Feminismus behindern

Arabisch-Deutscher Dialog

Islam ist nicht gleich Kopftuch und ein "Nein" zum Kopftuch ist nicht gleich Gleichberechtigung. Symboliken prägen das Kopftuch, über handfeste Rechte und Ungleichheiten wird selten nachgedacht.

Ich habe acht Jahre meines Erwachsenenlebens im Nahen Osten verbracht. Heute lebe ich in Beirut. Und fast jedes Mal, wenn ich das jemandem in Europa erzähle, werde ich gefragt: Wie ist das als Frau? Musst du da ein Kopftuch tragen? Nun, wer „Homeland“ geschaut hat, kann es den Leuten ja nicht verübeln. Selbst eine so aufwendig produzierte Serie hat es nicht geschafft (oder wollte es nicht schaffen), ein bisschen grundlegende Recherchen anzustellen, um ein realistisches Bild von Beirut zu zeichnen. In „Homeland“ ist etwa die für ihre Bars, Buchhandlungen und Cafés berühmte Hamra-Strasse eine düstere Gasse voller vermummter, bewaffneter Männer. Die westliche Agentin zieht sich bei der Ankunft das Kopftuch über, um nicht aufzufallen – denn im Beirut von „Homeland“ tragen alle Frauen Kopftuch. Wer nach den Frauen in Miniröcken und Dekolletés des echten Beirut Ausschau hält, sucht vergebens. Sie passten nicht ins Bild, das die Macher der Serie zeichnen wollten.

Das Kopftuch als eindimensionales Fantasiebild

Arabische Welt ist gleich Islam ist gleich Kopftuch ist gleich unterdrückte Frau, so ungefähr scheint das verkürzte Bild bei uns zu sein. Westliche Sichtweisen, so schreibt auch Meriam Bousselmi in ihrem Beitrag zu dieser Reihe, interessierten sich nur für das Narrativ der Frau als Opfer, welches das Fantasiebild vom „Anderen“ nährt. Dieses Fantasiebild ist sehr eindimensional „Kopftuch!“, ist was allen zuerst einfällt. Und das Fehlen des Kopftuchs wird automatisch als ein Zeichen von Fortschritt und Gleichberechtigung gewertet. Vor einigen Jahren las ich eine Reportage aus Saudi-Arabien eines westlichen Journalisten, der sich lobend dazu äußerte, dass er viele Frauen ohne Kopftuch gesehen habe, und naiv daraus schloss, dass es um die Situation der Frau doch viel besser stehe als im Westen angenommen. Nun, damals durften die Frauen noch nicht Auto fahren. Und das Gesetz der männlichen Vormundschaft, das die Frau ihrem Vater, Ehemann oder gar Sohn unterstellt und entmündigt, besteht bekanntlich bis heute in Saudi-Arabien.

Freizügige Kleidung ist manchmal Ausdruck einer christlichen Identität, was nicht illegitim ist, aber wenig mit Frauenbefreiung zu tun hat.

Auch die Miniröcke Beiruts sagen reichlich wenig über die Situation der Frauenrechte aus. Die Libanesinnen sind tatsächlich massiv diskriminiert, ob sie Minirock tragen oder nicht. Zum Beispiel dürfen sie das Bürgerrecht nicht an ihre Kinder weitergeben, wenn ihr Mann nicht Libanese ist. Die meisten Familien erwarten von ihren Töchtern auch hier, dass sie ihre Jungfräulichkeit vor der Heirat bewahren. Und so weiter. Freizügige Kleidung ist manchmal vielmehr Ausdruck einer christlichen Identität, was nicht illegitim ist, aber wenig mit Frauenbefreiung zu tun hat. Viele Libanesinnen mit christlichem Hintergrund möchten nicht mit der arabisch-muslimischen Welt identifiziert werden.

Ein Stück Stoff mit vielen Bedeutungsebenen

Dann gibt es auch das Phänomen, wo der Schleier ein Symbol von Klassenzugehörigkeit wird, wo sich weibliche Angehörige der Oberschicht vom Rest der Gesellschaft abgrenzen, indem sie sich freizügig kleiden. In Kairo gibt es Cafés, in denen die Oberschicht und Ausländer verkehren, wo man Ägypterinnen mit Kopftuch den Zutritt verwehrt hat. Und da war jenes Resort am Roten Meer, wo der Bademeister eine Ägypterin, die Burkini statt Bikini trug, aus dem Pool vertreiben wollte. Er ging soweit, dass er männliche Hotel-Angestellte aufforderte, in ihren Unterhosen in den Pool zu springen und die Frau zu belästigen. In Syrien wurde das Kopftuch in einigen Fällen ein Symbol des Widerstandes gegen ein Regime, das sich einen dezidiert säkularen Anstrich gab – und oppositionelle Aktivistinnen, die kein Kopftuch trugen, bekamen ihrerseits Probleme innerhalb des Milieus der Aufständischen.

Um eines klarzustellen: Ich sympathisiere mit muslimischen Feministinnen, die sich gegen das Kopftuch engagieren. Denn sein Ursprung liegt in einer patriarchalen Geschlechterordnung. Mir erscheint auch die Argumentation schlüssig, dass das Kopftuch je nach Interpretation der religiösen Texte eben gar nicht verlangt ist. Aber als Nichtmuslimin möchte ich mich nicht in theologische Debatten einmischen. Als Nichtmuslimin kann ich nicht bestimmen, wie der Islam auszulegen sei. Ich solidarisiere mich jedoch mit allen Musliminnen, die für ihre Rechte kämpfen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Und ich lehne alle Konzepte ab, die Frauen vorschreiben, was sie anzuziehen haben. Vor allem aber wünschte ich mir, wir könnten weniger über Kleider und mehr über handfeste Rechte und Ungleichheiten reden. Das Kopftuch wird sowohl von Islamisten als auch von Rechtspopulisten zu einem Symbol der Identität erhoben. Deshalb ist es so aufgeladen, deshalb dominiert es unverhältnismäßig die Debatten.

Frauenrechte werden gegen die Tradition ausgespielt

Identitätsdebatten sind ein großes Hindernis für feministische Anliegen. Das wurde mir bewusst, als ich eine Stunde mit einer Klasse saudischer Studentinnen verbrachte und mich mit ihnen über Frauenrechte unterhielt. Es gab hitzige Diskussionen und Streitgespräche zwischen den Studentinnen. Die einen sprachen sich für mehr Frauenrechte aus, die anderen hielten Traditionen hoch. Allen gemein war aber, dass sie mit dem Islam argumentierten. Die saudische nationale Identität basiert auf dem Islam. Die Religion ist essentieller Bestandteil des saudischen Selbstverständnisses, unter Konservativen wie Progressiven. Feminismus gilt dagegen als westliches Konzept, was schon Walaa Kharmanda im Auftaktartikel zu dieser Reihe kritisiert. Viele progressiv eingestellte Saudi-Araberinnen distanzieren sich daher vom Feminismus.

Europäische Rechtspopulisten und Konservative blasen ins gleiche Horn: Der Islam und Gleichberechtigung, das geht nicht zusammen, behaupten sie – und deshalb könnten Muslime nie zu Europa gehören.

Wenn man aber den Begriff weglässt und möglichst konkret nach Sachverhalten fragt, dann verläuft das Gespräch anders. Im Falle der Studentinnen sagten zunächst alle, die männliche Vormundschaft sei zentraler Bestandteil der saudisch-muslimischen Tradition und daher unantastbar. Es sei nur leider so, dass manche Männer der Rolle des Vormundes nicht gerecht würden; dessen Aufgabe sei es ja nur, die Frau zu schützen und ihr zu helfen. Wer seine Frau gewaltsam einsperre, handle unislamisch. Als ich dann fragte, ob eine Frau selber über ihr Leben bestimmen dürfen solle, ob es ihr erlaubt sein solle, frei einen Job zu wählen, zu studieren oder zu reisen, fanden fast alle Studentinnen: Klar, auf jeden Fall.

Islamisten und Vertreter des muslimischen Patriarchats propagieren die Idee, dass der Feminismus ein westliches und daher fremdes Konzept sei. Europäische Rechtspopulisten und Konservative blasen ins gleiche Horn: Der Islam und Gleichberechtigung, das geht nicht zusammen, behaupten sie – und deshalb könnten Muslime nie zu Europa gehören. Wer aber behauptet, Islam und Gleichberechtigung sei ein unlösbarer Widerspruch, nimmt all jenen Musliminnen und Muslimen die Stimme, die sich genau dafür stark machen.

Dieser Artikel wurde im Rahmen der deutsch-arabischen Debattenreihe von FANN Magazin veröffentlicht. Die Debattenreihe wird vom Gunda-Werner-Institut gefördert. Im vorherigen Beitrag zu dieser Debattenreihe beschreibt Sarah Hunaidi, wie sie als Feministin eine gesunde Wut entwickelt hat.