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Nicht krank und nicht allein

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Gay Pride in Istanbul
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Gay Pride in Istanbul

Homosexualität war in der Türkei zu keiner Zeit verboten oder kriminalisiert. Auf der anderen Seite gab es aber auch keine Gesetze, um Schwule, Lesben, Transvestiten, Bi- und Transsexuelle vor Diskriminierung und Anfeindungen zu schützen. Zum Beispiel durch eifrige Bürgermeister und Gouverneure, die immer mal wieder LBGT-Organisationen wegen „Verstoßes gegen die öffentliche Moral”  verbieten oder auflösen lassen wollten. Im Januar 2009 hat das Oberste Gericht das jüngste, gegen Lambda in Istanbul gerichtete Verbot für rechtswidrig erklärt.

Durch die in der Türkei engagierten LBGT-Organisationen und die seit 1994 stattfindenden Christopher Street Day-Paraden sind Homosexuelle sichtbarer geworden – aber eben auch leichter angreifbar. Schikane und Gewalt auf Polizeiwachen sind alltäglich. Nach einer Studie von Lambda, deren Ergebnisse 2005 unter dem Titel „Neither Wrong nor Alone” publiziert wurden, sind von 393 befragten Schwulen, Lesben und Bisexuellen 87 Prozent verbalen Angriffen, Ignoranz und Isolation ausgesetzt. 2008 machte die Ermordung von Ahmet Yildiz Schlagzeilen – ein Verbrechen, das wahrscheinlich von der Familie des jungen Mannes begangen und deshalb als erster öffentlich bekannt gemachter Ehrenmord an einem Schwulen bezeichnet wurde.

Das Türkei-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung unterstützte 2008 eine Veranstaltungsreihe von Kaos GL, einer bereits 1994 gegründeten und im Oktober 2005 vom Innenministerium als NGO anerkannten LGBT-Gruppe in Ankara. In diesen Diskussionsrunden, die in zahlreichen Städten der Türkei von Ankara über Izmir bis Istanbul organisiert wurden, debattierten die jeweils rund zweihundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer Fragen wie „Schwul-Sein und Identität” und „Identität: Kurde und Schwulsein”. Dabei ging es im Wesentlichen darum, sich über Differenzen innerhalb der Schwulen-Szene zu verständigen. Schwul-Sein allein ist eben auch in der Türkei noch kein Programm.

In eine sehr ähnliche Richtung geht der von der Heinrich-Böll-Stiftung geförderte Film der Transsexuellen Esmeray. Er beschreibt ihr Leben, in dem sie zeitweise zu Sexarbeit gezwungen und vielen Repressionen ausgesetzt war. Unter dem Titel „Anderssein – Körper und Region” befasst sie sich aber auch grundsätzlich mit Identitätsfragen aufgrund von regionaler Herkunft und sexueller Orientierung. Esmeray, die aus Kars an der türkisch-georgischen Grenze stammt und nun in dem hauptsächlich von Roma bewohnten Istanbuler Stadtteil Tarlabasi wohnt, gelingt es, verschiedene Arten von Ausgrenzung zu thematisieren. Der Film mit dem Titel „Me and Nuri Bala“ wurde auf dem Filmfestival in Antalya als bester Dokumentarfilm 2009 ausgezeichnet.