Iran
Die Juristin Shadi Sadr verteidigte erfolgreich mehrere zum Tode verurteilte Frauen im Iran. Sie setzte sich in einer Kampagne für das Verbot der Steinigung als Hinrichtungsmethode ein. Sie organisierte Hilfe für die Opfer des schweren Erdbebens, das die südostiranische Stadt Bam 2003 verwüstete. Sie gründete ein Zentrum, das Frauen in rechtlichen Belangen beriet, und war Chefredakteurin der Website „Frauen im Iran“, die über den Kampf der Iranerinnen für mehr Rechte informierte. Für ihr Engagement wurde die Frauenrechtlerin mehrfach ausgezeichnet. Nächste Woche wird sie, zusammen mit neun weiteren Frauen, den International Women of Courage Award 2010 von Hillary Clinton überreicht bekommen.
Beim monatlichen Jour Fixe der Heinrich-Böll-Stiftung und der Tageszeitung taz war Shadi Sadr jetzt zu Gast. Erfreut nahm sie zu Beginn die Glückwünsche zu dem International Women of Courage Award vom Stiftungsvorstand Barbara Unmüßig entgegen. Über die Rolle der Frauen in der grünen Oppositionsbewegung diskutierte Sadr mit der iranischen Juristin Zoha Aghamehdi und taz-Redakteurin Beate Seel. Aghamehdi gründete während ihres Jura-Studiums in Teheran die erste Studentenzeitung für Frauen, genannt „Teufelskreis“. Sie lebt seit 2007 in Berlin.
Zweimal wurde Shadi Sadr im Iran festgenommen: Im März 2007 nach einem friedlichen Protest gegen einen politischen Prozess, der damals gegen fünf Iranerinnen geführt wurde; ein zweites Mal am 17. Juli 2009. Milizionäre in Zivil schlugen und verschleppten sie in Teheran als sie auf dem Weg zur Freitagspredigt des ehemaligen Präsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani war. Nach elf Tagen wurde sie auf Kaution entlassen. Sie konnte mit Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung im November 2009 nach Deutschland ausreisen. Heute lebt sie in Frankfurt.
Welche Rolle spielten die Forderungen der iranischen Frauen bei der grünen Oppositionsbewegung, die nach den fragwürdigen Ergebnissen der iranischen Präsidentenwahl im Juni 2009 in Gang gekommen waren? Viele Frauen spielten eine prominente Rolle bei den Protesten. Shadi Sadr erläuterte die Motive der Frauen am Beispiel einer Aktivistin – nennen wir sie Elham: Elham ist 30 Jahre alt, stammt aus einer armen Vorstadt Teherans. Sie wird am 8. Juli bei einer Demonstration festgenommen. Im Teheraner Evin-Gefängnis sperrt man sie in eine Sammelzelle, wo sie Mitgefangenen ihre Geschichte erzählt: Ihr Vater ist pensionierter Soldat. Seine Rente reicht nicht aus, um die große Familie zu ernähren. Deshalb wird Elham mit 15 mit einem Cousin verheiratet, muss die Schule verlassen und in den folgenden Ehejahren Gewalt und Misshandlungen erdulden. Nach 15 Jahren, zwei ausgeschlagenen Zähnen und Narben am Körper wird ihre Ehe geschieden. Sie erhält von ihrem Ex-Mann eine bescheidene Summe Geld, aber er das Sorgerecht über ihre zehn- und 14-jährige Tochter. Sie beendet ihre Ausbildung zur Buchhalterin.
Die Erfahrung der Rechtlosigkeit
Im vergangenen Sommer nimmt sie mit ihrer Schwester an den Demonstrationen zur Unterstützung des Oppositionsführers Mirhossein Moussawi teil. Sie spielen eine wichtige Rolle bei den Protesten. Sie verhüllen ihr Gesicht, damit die Polizei sie nicht identifizieren kann. Ihr Motiv sei die Erkenntnis gewesen, dass in der heutigen iranischen Gesellschaft eine Frau nicht als vollwertige Persönlichkeit anerkannt wird und rechtlos ist, sagte sie. Das System hat sie jahrelang unfair behandelt. Als sie festgenommen wird, fürchtet sie sich weniger vor den Schlägen der Polizei als vor der Bestrafung, die ihr durch ihren Bruder droht, sobald sie wieder in Freiheit ist.
"Elham ist kein Sonderfall", sagte Sadr. "Sie repräsentiert die Mehrheit der Bevölkerung im heutigen Iran." Frauen in allen Gesellschaftsschichten hatten über Jahre hinweg Diskriminierungen durch das iranische Ehe-, Familien- und Strafrecht erduldet. "Sie hatten nicht mehr viel zu verlieren."
Seit der islamischen Revolution von 1979 wurden viele Frauenrechte einkassiert, da sie im Widerspruch zur Scharia stünden. "Durch das Bündnis von Patriarchat und religiösem Fundamentalismus wurden Bedingungen geschaffen, unter denen das Denken und die Körper der Frauen der Kontrolle unterlagen", sagte Sadr. Frauen sind verpflichtet, sich den sexuellen Wünschen ihrer Männer zu unterwerfen, Polygamie zu ertragen und vor der Heirat die Genehmigung ihres Vaters einzuholen. Ein Reisepass wird ihnen nur mit Zustimmung des Ehemanns erteilt. Ihre Aussage vor Gericht gilt nur halb so viel wie die eines Mannes. Sollte ein Mann seine Frau beim Ehebruch erwischen, hat er das Recht, sie zu töten. Die Liste ist nicht vollständig.
Die iranischen Frauen seien nicht, wie manch einer im Westen glaube, passiv und resigniert, sagte Sadr. Viele von ihnen widersetzen sich schon seit Jahren kollektiv den Regeln, durchaus mit einigen Erfolgen. Die relativ offene Stimmung während des Präsidentschaftswahlkampfes im vergangenen Jahr hat sie weiter ermutigt. Ihren Kampf gegen Geschlechterklischees haben sie anschließend im Rahmen der Proteste gegen den Wahlbetrug fortgesetzt. Sie verstießen dabei sowohl gegen die Pflicht ein Kopftuch zu tragen als auch gegen die sonst erzwungene Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum. Zuvor gab es zwei explizite politische Forderungen der Iranerinnen im Wahlkampf: Der Iran soll die UN-Konvention gegen Frauendiskriminierung (CEDAW) unterzeichnen und die iranische Verfassung geändert werden, damit die Gleichberechtigung der Frauen garantiert ist.
Doch bislang hat sich die grüne Oppositionsbewegung diese beiden Forderungen noch nicht zu eigen gemacht. Dies sieht Sadr als große Gefahr für das Fortbestehen der Bewegung der Frauen. Sie fragte sich und das Publikum: "Was können wir in einer Situation tun, in der wir nicht viel tun können?"
Flüchtlinge in Gefahr
Die staatlichen Repressionen treffen die Frauenrechtlerinnen hart. Mindestens 60 von ihnen sind im Gefängnis, viele ohne Kontakt zu ihren Familien und ohne Rechtsbeistand. Eine Vereinigung unter dem Namen "Trauernde Mütter", die sich jeden Samstag zu einem stummen Protest in Teheran versammelt, setzt sich für die Freilassung aller politischen Gefangenen und die Strafverfolgung aller staatlichen Vertreter ein, die in den vergangenen drei Jahrzehnten oppositionelle Aktivisten und Aktivistinnen getötet haben.
Zoha Aghamehdi schilderte die Arbeit der "Eine-Million-Unterschriften-Kampagne", bei der Frauen im ganzen Land von Tür zu Tür gingen, um so Unterstützerinnen für ihre Forderung nach rechtlicher Gleichstellung zu mobilisieren. Sie verteilten eine Broschüre, die alle diskriminierenden Gesetze auflistete. Es habe auch Männer gegeben, die ihr Anliegen richtig fanden, sagte Aghamehdi. Manche hätten sich bei den Demonstrationen sogar mit Bedacht als Frauen verkleidet.
Eine ähnliche Kampagne war in Marokko erfolgreich gewesen. Sadr wies allerdings darauf hin, dass Marokko damals ein Kooperationsabkommen mit der EU anstrebte und deshalb bereit war, die entsprechenden Gesetze zu reformieren. Sie bezweifelte, dass das iranische Regime sich von einer Million Unterschriften beeindrucken lässt, nachdem es mehrere Millionen Stimmen bei der Präsidentenwahl zum Verschwinden gebracht hat.
Shadi Sadr kritisierte die Haltung der westlichen Medien, die dem Atomstreit wesentlich größere Aufmerksamkeit widmen als dem Kampf um Demokratie und Menschenrechte im Iran. So sei viel zu wenig bekannt, dass viele iranische Aktivistinnen und Aktivisten in die Türkei oder den Nordirak flüchten mussten und aus Angst vor dem iranischen Geheimdienst dort derzeit nur im Untergrund leben können. Dem Auswärtigen Amt in Berlin läge eine Liste mit 100 Flüchtlingen vor, die dringend auf Aufnahme in Europa hoffen.
Was passiert an Nowruz?
Welche Chancen hat die grüne Bewegung in der nächsten Zeit? Moussawi erneuerte vor wenigen Tagen seine Forderung nach Reformen sowie seine Kritik am Regime. Die Regierung in Teheran sei "unfähig", nur noch "ein Kult" und verliere wegen der harten Repression immer mehr an Unterstützung. Die nächsten vom Regime schwer zu kontrollierenden Freiräume für öffentliche Proteste bieten sich im Rahmen des Nowruz-Fests am 21. März 2010, dem Frühlingsanfang und Neujahrsfest. Einige Tage zuvor wird im ganzen Land das traditionelle Feuerfest begangen, mit ausgelassenen Feiern im Freien, Feuerwerk und Verkleidungen. Die Neujahrsfeiern finden mit dem Fest Sizdah Bedar ihren Abschluss, das die Iraner traditionell mit Picknicks im Freien begehen. Beide Termine haben immer für große Nervosität der Herrschenden gesorgt, obwohl die Feste im Kern unpolitisch sind.
Zora Aghamehdi und Shadi Sadr sagten, sie seien trotz allem sehr optimistisch, was die kommende Zeit anbelangt. Die iranische Volksbewegung sei sehr einfallsreich und habe das Land bereits deutlich verändert. "Alle wollen, dass sich etwas ändert. Die Leute bestärken sich gegenseitig", sagte Aghamehdi. "Endlich haben sie den Mut zu zeigen, was sie denken, endlich sprechen sie miteinander, Politik ist kein Tabu mehr."
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Shadi Sadr widmet Courage Award der Frauenrechtlerin Shiva Nazar
Ahari Shadi Sadr wurde gerade mit dem International Women of Courage Award 2010 ausgezeichnet. Sie hat sich entschlossen, den Preis nicht in Washington von Hillary Clinton entegegen zu nehmen. Stattdessen widmet Shadi Sadr die Auszeichnung der inhaftierten Frauenrechtlerin Shiva Nazar Ahari, die Mitgründerin des einflussreichen Comitee of Human Rights Reporters (CHRR) ist. Die Entscheidung Sadrs ist ein Zeichen der Solidarität mit all jenen, die Ziel der Massenverhaftungen der iranischen Regierung wurden.
Lesen Sie die komplette Pressemitteilung (engl.): Iran: Shadi Sadr dedicates Courage Award to imprisoned Women’s Rights Activist Shiva Nazar Aharihttp
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Audio: Interview mit Shadi Sadr
Ein Interview mit Shadi Sadr, iranische Frauenrechtlerin, ausgezeichnet mit dem International Women of Courage Award, können Sie hier hören: » Deutschlandradio (mp3)
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