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"Männerfußball ist natürlich schneller"

Lesedauer: 10 Minuten
Gesine Agena und Theo Zwanziger
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Gesine Agena (Foto: gruene.de - CC BY-NC 3.0) und Theo Zwnaziger (Foto:Manuel Heinrich / Wikimedia Commons / CC-BY-SA-2.5)
Ein Gespräch zwischen Gesine Agena, Sprecherin der Grünen Jugend, und Theo Zwanziger, DFB-Präsident, über die Frauenfußball-WM, Gleichstellungspolitik und warum der DFB meint, keine Frauenquote zu brauchen.

 

Gesine Agena: Wir würden gern ein Interview mit Ihnen führen zum Thema Frauenfußball WM. Als Grüne Jugend finden wir beim Thema Fußball natürlich vor allem Frauenförderung wichtig. Grundsätzlich setzen wir uns für Gleichberechtigung ein, und darum soll es heute im Großen und Ganze gehen.

Theo Zwanziger: Das freut mich sehr, schließlich waren die Grünen ja lange gegen den organisierten Sport und Fußball. Nachdem sie endlich entdeckt haben, dass das wichtig für die Gesellschaft ist, sind sie meine Freunde geworden. Vor allem natürlich Claudia Roth, die Umweltbeauftragte des DFB.

Gesine Agena: Sie sind ja Frauenfußballförderer. Meine erste Frage wäre: Sind sie auch Fan?

Theo Zwanziger: Natürlich bin ich Fan. Fußball zu lieben heißt immer auch ein Stück Fußballfan zu sein. Das ist bezogen auf nationale Mannschaften: Da verbinden sich viele und rücken zusammen, da geht es um Tradition und Leidenschaft.. Diese Leidenschaft ist bei mir auch im Frauenfußball ganz intensiv vorhanden. Seit 2004 bin ich bekanntlich Fan von Turbine Potsdam, die damals im Pokalendspiel im Berliner Olympiastadion einfach großartigen Fußball geboten haben.

Gesine Agena: Petra Landers, die Europameisterin war, hat mal gesagt: Gar nicht sie wurde so besonders diskriminiert als Spielerin sondern Gero Bisanz, der erste Bundestrainer, musste sich ziemlich viele Vorurteile anhören. Wann haben sie sich denn als Fan geoutet? Und was tun sie gegen Diskriminierung im Frauenfußball?

Theo Zwanziger: Im Frauenfußball sehe ich überhaupt keine Diskriminierung mehr. Die Zeiten haben sich geändert. Frauenfußball war beim DFB bis 1973 verboten, das war eine andere Zeit und es gab natürlich unglaublich viele Vorurteile, gerade was das Rollenverständnis zwischen Männern und Frauen betrifft. So hat man eben geglaubt sagen zu müssen, dass bestimmte Sportarten, dazu gehörte auch der Fußball, für Mädels nichts sein können, weil man sie schützen muss.

Dieses Behütende ist über die Zeit hinweg ad absurdum geführt worden und dazu haben zunehmend auch Männer beigetragen. Da ist Gero Bisanz ganz, ganz wichtig gewesen, ein sehr anerkannter Trainer in Deutschland, der sich in den Dienst dieser Sache gestellt hat. Er hätte auch Männermannschaften trainieren können, aber er hat gezeigt, dass auch Mädels das können und wir sollten auch sehr respektvoll mit dem, was sie leisten umgehen. Durch die guten Leistungen der Frauen sind immer mehr Männer überzeugt worden und heute ist eigentlich die Anerkennung für Leistung von Frauen und Mädchen im Fußball vorhanden.

Gesine Agena: Wie sehr ärgert sie denn so ein Spruch, wie von Rudi Völler: Pfeif lieber Frauenfußball?

Theo Zwanziger: Ganz ehrlich, der Rudi Völler hat sich auf den Schiedsrichter bezogen. Und beim Schiedsrichter müssen sie doch jetzt mal die Unterschiede sehen zwischen den Männer- und zwischen den Frauenfußball. Im Frauenfußball hat er es einfacher, weil die Mädchen fairer miteinander spielen, weil sie respektvoller miteinander umgehen, weil sie nicht diese knüppelharten Zweikämpfe führen, weil da nicht die brutalen Fouls passieren. Das heißt also, die Aussage, wenn man sie richtig nimmt, ist keine Diskriminierung, sondern die Beschreibung dessen, dass es im Frauenfußball fairer zugeht. Und das stimmt.

Gesine Agena: Wieso meinen sie, dass das so ist?

Theo Zwanziger: Das mag sicherlich ein Stück daran liegen, dass Frauen generell diese hohe spontane Emotionalität, wie sie bei Männern manchmal zustande kommt, wenn sie Fußball spielen, so nicht leben, sondern dass sie etwas zurückhaltender sind. Männerfußball ist schneller. Das alles bringt eine höhere Anzahl an Zweikampfsituationen zustande, aus denen sich Spielsituationen, die so in dieser Dichte beim Frauenfußball nicht vorkommen.

Gesine Agena: Sie haben jetzt eine Kommission Nachhaltigkeit im DFB, deren Sprecherin Claudia Roth ist. Da geht es um Umweltschutz, dann geht es aber auch um Antidiskriminierungspolitik und Kultur. Was für einen Stellenwert hat diese Kommission Nachhaltigkeit im DFB?

Theo Zwanziger: Wir sind natürlich ein Fußballverband, ein Sportverband. Unsere Stärke und unser Hauptaugenmerk liegt zunächst auf dem Wettbewerb, mit allem, was dazugehört. Also man kann Nachhaltigkeit nur machen, wenn man auch ein Kerngeschäft hat, das in der Öffentlichkeit intensiv gefragt ist. Und aufgrund dessen ist unser Kernbereich immer die Nachwuchsförderung bei Männern und Frauen gleichermaßen, damit wir starke Ligen und starke Nationalmannschaften haben. Man muss aber auch die Wertorientierung hinzugewinnen, was bedeutet, dass wir uns über das Kerngeschäft hinaus auch verantwortlich in diese Gesellschaft einbringen. Zunächst führt der Fußball als Mannschaftssport zusammen und grenzt nicht aus, Diskriminierung jeglicher Art ist ihm daher fremd. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, selbstverständlich sexuelle Orientierung und all diese Dinge.

Darüberhinaus legen wir natürlich auch auf Umwelt und Klima Wert, und da ist Claudia Roth Beauftragte des DFB. Warum? Weil wir zeigen wollen, dass die Kinder, die bei uns gerne Fußballspielen auch in 40 oder 50 Jahren noch in einer Umwelt leben wollen, die gerecht ist, die verantwortungsbewusst ist. Vereint haben wir all unsere Anliegen also in einer so genannten Nachhaltigkeitskommission, die sowohl Aktionen zu Integration wie auch Umweltkampagnen umfasst. Das Dritte ist dann natürlich eine entsprechende Kommunikation, die wir halt durch die hohe Akzeptanz des Fußballs, oder die hohe Attraktivität des Fußballs, haben. Wenn wir Botschaften vermitteln, haben wir natürlich die große Chance dieseüber unsere Nationalmannschaften zu den Menschen zu bringen.

Gesine Agena: Mein erstes großes Fußballspiel war Werder Bremen gegen, ich weiß gar nicht mehr gegen wen die gespielt haben. Auf jeden Fall war Ailton noch da, und zwar kurz bevor Ailton wechseln wollte. Als er den Ball hatte, standen hinter mir Leute auf und haben rassistische Sprüche gerufen. Das hat mich ganz schön fertiggemacht. Und da habe ich mich schon gefragt, reichen Appelle, wie sie sie gerade angesprochen haben, also Integrationsspots, oder braucht es vielleicht Regeln, wie man sich im Stadion zu verhalten hat?

Theo Zwanziger: Spots und Appelle allein reichen natürlich nicht, es braucht auch entsprechende Regeln. Man muss aber auch immer die Dimensionen sehen: Es gibt in Deutschland 80000 Fußballspiele in jeder Woche. Davon verlaufen 99,9 Prozent ohne besondere Zwischenfälle.

Gesine Agena: Jetzt hatten wir ja letztes Jahr die Männerfußball-WM. Und wenn man so durch Berlin läuft, zum Beispiel, dann sieht man überall jubelnde Menschen, die auch so eine Art „Wir-Gefühl“ entwickeln. Auf der anderen Seite zeigen Studien, zum Beispiel von der Friedrich Ebert Stiftung, dass nach Fußball Weltmeisterschaften die Leute sehr viel patriotischer eingestellt sind, und dass das teilweise eben auch zu Ausschluss und Intoleranz gegenüber Ausländern führt. Was sagen sie denn dazu?

Theo Zwanziger: Gegen eine patriotische Einstellung kann doch niemand etwas haben. Wir haben etwas gegen eine nationalistische Gesinnung, das ist ein Unterschied. Stolz auf sein Land sein, aus Patriotismus, das ist gut. Ich bin stolz auf dieses Land. Aber Patriotismus darf nie übergeleitet werden in Abwertung anderer. Nationalismus beginnt ja dort, wo du anfängst, dich über andere lustig oder verächtlich zu machen.

Gesine Agena: Zurück zum Thema Frauenförderung. Wir Grünen setzen uns für eine Frauenquote ein und zwar vor allem in Aufsichtsräten und Vorständen. Wie ist denn das beim DFB? Wann werden sie die Quote einführen?

Theo Zwanziger: Wenn sich eine Entwicklung nicht so gerecht vollzieht, dann muss man in der Tat zu Regelungen kommen, die eine Entwicklung hin zu neuen Chancen ermöglicht. Das können Quoten sein. So sehe ich diese Diskussion. Auf den Fußball bezogen muss man jetzt natürlich ein bisschen differenzieren. Es nützt nichts, wenn man auf Quotenwege eine Administration oder ein Gremium schafft, dass aber das eigentliche Anliegen nicht erfüllen kann. Der DFB hat eine Millionen weibliche Mitglieder. Eine sehr hohe Zahl, aber bezogen auf die 6,7 Millionen Mitglieder doch knapp unter 20 Prozent.

Gesine Agena: Die Frauenquote wäre ja nicht dazu da, um den Frauenfußball zu fördern, sondern um eben auch dem DFB Präsidium ein weibliches Gesicht zu geben...

Theo Zwanziger: Unser Verein ist demokratisch aufgebaut und unsere Spitzenleute durchlaufen den klassischen Funktionärsweg von unten nach oben Meine Linie ist deshalb zunächst nicht unbedingt mit der Quote zu beginnen, sondern zum Beispiel über die Nachhaltigkeitskommission Frauen in verschiedenen Feldern zu gewinnen. So haben wir bereits eine Integrationsbeauftragte, eine Beauftragte für Umwelt und Klima. Aber ein bisschen Zeit werden wir auf diesem Weg schon noch brauchen, denn der Fußball war lange Zeit eine harte Männerdomäne, die allmählich geknackt wird. Auch beim DFB, immerhin sind knapp 40 Prozent der hauptamtlichen Mitarbeiter in Frankfurt bereits weiblich.

Gesine Agena: Sie haben den Tolerantia-Preis gewonnen, beim Thema Toleranz geht es zum Beispiel um Rechte für Homosexuelle. Jetzt ist es so, dass Philipp Lahm, zumindest aktuell, Spielern vor dem Outing abrät, und dass auch Oliver Bierhoff sich und seine Familie davor schützen möchte, dass die Vermutung aufkommt, dass es Schwule gibt. Da kommt mir die Frage, ob das die neue Art von Toleranz ist: „Homosexualität na gut, aber ich möchte damit nichts zu tun haben und in meiner Familie gibt es das nicht“?

Theo Zwanziger: Outen im Männerfußball, im professionellen Fußball an der Spitze, muss man unter zwei Aspekten sehen: Zunächst kann man erhebliche Zweifel daran haben, dass der immer wieder behauptete statistische Anteil von Schwulen im Leistungssport tatsächlich so hoch ist. Leider muss man annehmen, dass so manches Fußballtalent auf Grund der Angst vor einem Outing von selbst auf einen Aufstieg in den Profibereich verzichtet oder das dauerhafte Versteckspiel nicht aushält und daher nicht die Leistung erbringen kann, um es nach ganz oben zu schaffen.

Nun kann es trotzdem sein, dass es einige Schwule im Spitzenfußball gibt: Warum outen die sich nicht? Ich kann nur immer wieder dafür werben, es zu tun, aber die Entscheidung muss jeder Einzelne für sich treffen, denn die sexuelle Einstellung ist zunächst einmal Privatsache eines jeden Menschen. Aber unsere tolerante Grundhaltung ist absolut klar und ich kann Ihnen bezüglich des Amateurbereiches sagen, dass sich dort unglaublich viel verändert hat.

Sie brauchen sich weder bei Oliver Bierhoff noch bei Jogi Löw noch bei irgendjemand sonst Gedanken darüber machen. Die stehen genauso gegen jede Diskriminierung wie ich auch.

Gesine Agena: Bräuchte man eigentlich Toleranzkriterien oder Toleranzwerbung nicht nur bei den Zuschauern, sondern auch und vor allen Dingen bei den Spielerinnen und Spielern im Spitzensport?

Theo Zwanziger: Soweit sie aus Kulturen kommen, die in dieser Entwicklung noch nicht ganz so weit sind, wie wir es jetzt glücklicher weise sind, ja! Das gilt ja genauso für diese Frage: Sollen Mädchen Fußballspielen? Ich denke mal, dass es jetzt in vielen Bereichen selbstverständlich geworden ist, aber es gibt eben Menschen, die aus einer anderen Tradition kommen, in denen das Rollenverständnis noch sehr stark ausgeprägt ist. Es dauert alles ein Stück seine Zeit, aber wenn man mutig und konsequent an diesen Themen arbeitet, dann wird auch dieser Beitrag, sag ich mal, für eine menschlich, faire Gesellschaft noch zu leisten sein und auch noch geleistet werden.

Gesine Agena: Sie haben ja eine Tour gemacht, durch die Länder, die jetzt an der Weltmeisterschaft teilnehmen. Da haben wir die Bilder aus Nordkorea gesehen, wie Sie mit der Delegation, mit Steffi Jones und Claudia Roth auch da angereist sind. Haben sie da nicht häufig Bedenken? Weil das, was in Nordkorea ausgestrahlt wird, sind ja benutzte Bilder, die der Diktatur auch mit dienen. Macht man sich da nicht auch zum Teil zu einer Figur, die dann benutzt werden kann?

Theo Zwanziger: Diese Reise war mit das Spannendste, was wir gemacht haben und sicherlich nicht ohne Risiko und kritische Ansätze. Steffi Jones sollte im Rahmen ihrer Welcome Tour alle Länder, die sich für die WM qualifiziert haben, besuchen. Wenn sich dann ein Land wie Nordkorea qualifiziert stehst Du vor der Frage „Gehst du in alle Länder oder in ein einziges nicht? Uns war schnell klar, dass wir Nordkorea nicht aussparen, wie die komplette Welcome Tour machen müssen. Ich will nicht den Eindruck erwecken, als würden der Fußball große Diplomatie machen, aber ich sehe es so: Der Fußball kann Türen öffnen, die von der Politik so ohne Weiteres nicht geöffnet werden können. Und deshalb sind wir gemeinsam mit der Politik nach Nordkorea gereist und Claudia Roth und ich waren im Nachhinhein nicht unzufrieden, dass wir das gemacht haben.

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Quelle: Grüne Jugend

 

 
 
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