Lucía Lagunes ist Direktorin der mexikanischen feministischen Presseagentur CIMAC („Kommunikation und Information der Frau“). Im Interview spricht sie über die Herausforderungen als Journalistin in Mexiko zu arbeiten und die Notwendigkeit die besondere Gewalt an Journalistinnen sichtbar zu machen.
Obenstehenden Satz bekam eine Journalistin von einem Beamten zu hören nachdem sie Drohungen im Internet erhalten hatte und bei der Staatsanwaltschaft Schutz suchte. Was war passiert?
Die junge Kollegin erzählte uns, sie habe als erstes ihren Computer abgeben müssen. Einige Tage später habe man sie darüber informiert, dass man in ihren persönlichen E-Mails Hinweise darauf gefunden habe, dass es sich bei der Person, um einen ihrer Liebhaber handele. Es habe nichts mit ihren Reportagen über Korruption und Menschenrechtsverletzungen seitens des Militärs zu tun. Sie solle aufhören zu flirten und sich lieber ihrem Beruf widmen. Diese Art von Diffamierung und Sexismus macht es uns Journalistinnen schwer, uns tatsächlich an den Staat zu wenden und Anzeige zu erstatten.
Wie kann CIMAC in solchen Fällen helfen?
Seit der Gründung von CIMAC 1988 häufen sich solche Fälle. Wir sind Vertreterinnen eines Journalismus mit einer Genderperspektive, keine Anwaltskanzlei. Wenn Kolleginnen, die bedroht werden, zu uns kommen, brauchen sie aber meist juristische Unterstützung. Wir helfen da mit unseren Erfahrungen und Kontakten. Außerdem streuen wir den Fall in unseren sozialen Netzwerken und beugen damit Einschüchterungsversuchen vor. Für uns sind Netzwerkarbeit und Solidarität fundamental. Es gibt so viele Fälle, die es nicht schaffen diese misogyne Unsichtbarkeit zu überwinden, die uns als Journalistinnen auch einem größeren Risiko aussetzt. Denn die Meinungsfreiheit ist zwar im Gesetz festgeschrieben und stellt Gewalt gegen Journalistinnen damit unter Strafe. Solange dies aber von den Beamten keine Anwendung findet, werden Journalistinnen in Mexiko weiter geschlagen, bedroht und diffamiert. Wurden in 2002 nur zwei Fälle dokumentiert, so waren es 2013 erschreckende 187. Das heißt nicht, dass es diese Art von Gewalt nicht gab, sondern vielmehr, dass sie nicht gesehen wurde.
Mexiko ist generell eines der gefährlichsten Länder der Welt, um euren Beruf auszuüben. Wie unterscheidet sich die Gewalt gegen Journalistinnen von der gegen männliche Kollegen?
Von vorneherein haben wir einen Nachteil, weil wir Frauen sind. Im Falle des Journalismus sind etwa 15% der Führungspositionen mit Frauen besetzt, nur 3% schaffen es zur Redaktionsdirektorin. Diese Ungleichheit verschärft sich, weil du oft mit mächtigen Männern zu tun hast. Während diese Männer, z.B. Politiker, unsere männlichen Kollegen auf der professionellen Ebene von sich überzeugen wollen, versuchen sie das bei Frauen gar nicht erst. Hier geht es bei jedem Interview von vorneherein um Verführung durch sexuelle Schmeicheleien. Je jünger und bekannter die Journalistin, je höher die Gefahr diese Art von Belästigung.
Außerdem sind wir dabei in einer besonders komplizierten Situation: Wir als Journalistinnen sehen uns gleichzeitig mit der politischen Macht und der Macht der öffentlichen Meinung konfrontiert. Unsere Aufgabe ist es die Mächtigen anzuklagen, Missstände aufzudecken. Das macht uns angreifbar: Unsere männlichen Kollegen decken vor allem Polizeimeldungen rund um den Drogenkrieg ab, wir eher Reportagen über Themen wie Korruption. Journalisten trifft man beruflich, in dem man ihnen vorwirft, mit dem Organisierten Verbrechen zusammenzuarbeiten. Das raubt dir natürlich erstmal Glaubwürdigkeit, aber du überlebst. Journalistinnen hingegen werden auf persönlicher Ebene verleumdet. Sie hätten mit diesem oder jenem Politiker eine Affäre, es tauchen Fotomontagen in den sozialen Netzwerken auf... Das trifft dich und deine Familie. Es zerstört nicht nur deine Karriere, sondern auch dein Privatleben. Es gibt Fälle von Kolleginnen, die umziehen mussten, deren Kinder ihnen nicht geglaubt haben. Diese Art von Gewalt ist brutal – gerade auch weil sie oft nicht als solche anerkannt wird. Journalistinnen sind quasi einer zweifachen Gewalt ausgesetzt: Sie werden erst Opfer von Rufmord und dann wird ihr Fall klein geredet. Diese Art von Gewalt geht nicht vom Organisierten Verbrechen aus, sondern wird von staatlichen Funktionären verübt, um die Journalistinnen zum Schweigen zu bringen.
CIMAC hat die Situation erkannt und handelt in diesen Fällen gezielt. Welche Mechanismen nutzt ihr außerdem, um zu sensibilisieren und das Phänomen sichtbar zu machen?
Das wichtigste ist genderdifferenzierte Daten zu erheben, die Gewalt an Journalistinnen in Mexiko zu dokumentieren. Wir haben in den letzten Jahren zwei Berichte herausgegeben, in denen wir Fälle aufarbeiten, Statistiken veröffentlichen und Empfehlungen an Staat, Organisationen und Medien geben. Als sich im Rahmen des Drogenkriegs die Gewalt gegen Journalist_innen in Mexiko verschärfte, haben sich Organisationen wie Reporter ohne Grenzen an die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte gewandt. Allerdings gingen die Zahlen der unterschiedlichen Kläger so sehr auseinander, dass der Fall letztlich nicht behandelt wurde. Fälle von Journalistinnen wurden hier zwar aufgeführt, aber nicht systematisch dokumentiert.
Das hat uns im Rahmen des von uns bereits 1995 gegründeten Nationalen Netzwerks mexikanischer Journalistinnen darin bestärkt, zu handeln. Wir haben Journalistinnen aus verschiedenen Bundesstaaten eingeladen, die ihre Geschichten erzählt haben. Wir haben aus einer feministischen Perspektive heraus eine einheitliche Methodologie geschaffen, die es ermöglicht, diese Daten nutzbar zu machen. Denn Informationen über Fälle gab es davor vereinzelt auch schon, aber sie konnten zwischen den verschiedenen Organisationen nicht artikuliert, vor den Institutionen nicht vertreten werden. Heute beraten wir auch staatliche Organisationen, damit sie eine Genderperspektive einnehmen, von der Risikoanalyse hin zu konkreten Schutzmechanismen. Ein nationales Gesetz zum Schutz der Frauen vor Gewalt gibt es bereits, es müsste einfach nur auf das Gesetz zum Schutz von Journalist_innen übertragen und die Beamt_innen für seine Anwendung ausgebildet werden.