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„Wir müssen die Überwachungs- und Anschuldigungskultur bekämpfen.“

Protestaktion für Legalisierung von Abtreibung in El Salvador unter dem Schlagwort #BeatrizSomosTodas
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Protestaktion für Legalisierung von Abtreibung in El Salvador unter dem Schlagwort #BeatrizSomosTodas (Beatriz sind wir Alle)

Morena Herrera ist feministische Aktivistin und Teil der Bewegung zur Legalisierung von Abtreibung in El Salvador, die im April 2014 die Kampagne für die Begnadigung der 17 verurteilten Frauen lancierte. Im Interview spricht sie über die rechtliche Situation, die Rolle der Zivilgesellschaft und die Freilassung von Guadalupe.

In El Salvador ist Abtreibung unter jeglichen Umständen verboten. Was bedeutet das genau?

El Salvador ist neben Chile, Honduras und Nicaragua eines von vier lateinamerikanischen Ländern, das Abtreibung auch dann verbietet, wenn das Leben der Mutter auf dem Spiel steht. Hier sind die öffentlichen Diskurse durch die Union von Politik und Kirche geprägt, die Entscheidungen werden von konservativen Eliten getroffen. Wir wissen aber, dass den betroffenen Frauen z.B. in Nicaragua trotzdem in den Krankenhäusern geholfen wird. Dies ist vor allem bei ektopen Schwangerschaften der Fall, bei denen sich die befruchtete Eizelle außerhalb der Gebärmutter einnistet und keine Überlebenschance hat, die Mutter ohne schnelle Behandlung aber an Blutungen sterben kann. Solche Praktiken gibt es in El Salvador nicht. Ganz im Gegenteil: Hier werden die Frauen im Krankenhaus eher zu Unrecht beschuldigt.

So passiert bei 17 Frauen, die zu langen Haftstrafen verurteilt wurden. Was ist das Besondere an diesen Fällen?

Diese Frauen wurden wegen Abtreibung angeklagt, letztlich aber wegen Mordes zu Haftstrafen von 30-40 Jahren verurteilt. Sie alle waren jung und lebten auf dem Land in einfachsten Verhältnissen. Schwerwiegende Komplikationen in einem späten Stadium der Schwangerschaft führten bei allen zu spontanen Abtreibungen, zu Fehlgeburten außerhalb von Gesundheitszentren. Der Fötus starb und die Frauen brauchten schnell medizinische Versorgung. Die bekamen sie, aber der behandelnde Arzt zeigte sie gleichzeitig an. Da es sich nicht um eine „typische“ sprich frühe und wissentlich vorgenommene Abtreibung handelt, wurden die Frauen letztlich wegen Mordes verurteilt. Diese Fälle zeigen strukturelle Ungleichheiten auf, die diese Frauen im besonderen Maße vulnerabel machen. Im Endeffekt sind wir aber alle betroffen, weil diese Situation die Nichtbeachtung unzähliger Rechte beinhaltet: Das Recht über unseren Körper zu entscheiden, das Recht auf Gesundheit, auf Rechtssicherheit und Unschuldsvermutung. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass wir Frauen von Grund auf schlecht sind und kontrolliert werden müssen. Dass wir instinktive Wesen sind, Mütter, die ihre Nachkommen beschützen müssen. Aber wie sollen wir das tun, wenn wir bei dem Versuch selbst umkommen würden?

Eine dieser Frauen, Guadalupe, wurde am 18. Februar 2015 begnadigt und freigelassen. Was bedeutet dieses Urteil für die anderen Frauen?

Es ist das erste Mal in der neueren Geschichte von El Salvador, dass eine Frau nicht aus humanitären Gründen begnadigt wird. Es geht vielmehr – so steht es im Gutachten der Gerichtsentscheidung – um die Garantie von Grundrechten im Gerichtsprozess, um die Nichtbeachtung von Prinzipien wie Gleichheit und Gerechtigkeit. Dass unser Oberster Gerichtshof ein solches Schuldeingeständnis seitens der Justiz eingeht, bedeutet sehr viel. Besonders in einem Land wie El Salvador, in dem die nach dem Bürgerkrieg Ende der 1990er Jahre angekündigte Justizreform nie richtig umgesetzt wurde. Wir glauben aber, dass wir jetzt auch andere Wege finden müssen, um die Frauen freizubekommen. Denn obwohl nationale Instanzen diesen Weg beschritten haben, heißt das nicht, dass sie dies angesichts des enormen Drucks konservativer Kräfte wieder tun werden. Deswegen bereiten wir gerade einen Fall für das Interamerikanische System der Menschenrechte vor, in dem wir durch ein Per Saltum so schnell wie möglich die Fälle der 15 noch fehlenden Frauen – Mirna Isabel hat mittlerweile ihre Strafe abgesessen – auf die Tagesordnung setzten wollen. 

Welche Rolle spielt die Zivilgesellschaft bei all diesen Prozessen?

Das Abtreibungsgesetz trat in seiner heutigen Form 1998 in Kraft. 2001 wurde damals die erste Studie zu den oben beschriebenen Fällen veröffentlicht. Danach nahmen die Repressalien gegen Frauenorganisationen zu und es wurde immer schwieriger öffentlich über diese Themen zu sprechen. Unser Strafgesetzbuch führt sogar einen Artikel „Anstiftung zur Abtreibung“, mit dem uns immer wieder gedroht wird. Dieser ständige Begleiter unserer Arbeit hat Angst geschürt und zu Selbstzensur geführt. Was wir versuchen ist deshalb, ganz opportunistisch an bestimmte Fälle geknüpfte Kampagnen voranzubringen. Das hat uns auch eine große Sichtbarkeit und die Unterstützung internationaler Medien und Organisationen ermöglicht. Diese üben neben anderen Staaten zusätzlichen Druck aus.

Was müsste sich in El Salvador neben der gesetzlichen Anerkennung von Abtreibung noch ändern, damit solche Fälle nicht mehr vorkommen?

Wir betonen immer wieder, dass ein absolutes Verbot von Abtreibung, nicht deren Aufkommen verringert, sondern sie einzig und allein gefährlicher für die Frauen macht. Im Endeffekt ist der Staat hier zur Verantwortung zu ziehen, da es in erster Linie um den Schutz der Menschenrechte geht. Wenn der Staat das Menschenleben ab dem Moment der Empfängnis schützt, müsste er dies auch für Frauen tun. Der Staat hat in den letzten Jahren einige Programme und Spezialeinheiten der Polizei zum Schutz von Frauen und Mädchen geschaffen. Mit insgesamt 12 Einheiten sind es allerdings noch viel zu wenige, die Zentren schließen bereits am Nachmittag. Hinsichtlich sexueller und gesundheitlicher Bildung kommen bereits seit Jahren existierende Programme nicht zur Anwendung. Die Argumente des Staates sind dabei seit jeher fehlende Ressourcen und die Angst vor den konservativen Eliten. Dabei wäre Bildung der erste Schritt, um die Überwachungs- und Anschuldigungskultur gegen Frauen in El Salvador wirksam zu bekämpfen.