Schweinisch werden. Von den Queers zur Grünen Woche

Feministischer Zwischenruf

Von Schweinen und Perversen, Menschen und Färsen: Der queere Zwischenruf als posthumanistische Pigtopie von Massentierhaltung und Nahrungsexzess.

Foto von einem Plastikschwein

Kweek – Kweer – Queer – Quiek: Die Geschichte von queers, perverts and monsters wurde immer wieder mit dem Schwein und zwar dem Drecksschwein, der schwulen Sau, dem Schweinekönig verbunden. Zu gut ließen sich mit dieser Assoziation Menschen marginalisieren. Die Nähe zum Borstentier, die, wie uns der Kulturwissenschaftler Thomas Macho in seiner jüngst erschienenen ‚Erbauungslektüre’ „Schweine“ unterrichtet, voller Widersprüche ist, ist eindeutig negativ besetzt, wenn es um Queers geht.

Für queere Kunst, Sub- und Populärkultur barg dieser Zusammenschluss eine Anziehungskraft: der Fotograf der Berliner Travestieszene und „Paradiesvogel“ Jürgen Baldiga in seinem semi-öffentlichen Scrapbook zeigt sich in einer becoming swinishly Vorher-Nachher-Anordnung und informiert sich via Selbst-Anleitung: „Küsse den Schweinekönig“; Mark Morrisroe verarbeitet mit seinem Zine „Dirt“ die gossipy Unterstellung, Queers wären aufgrund ihrer Nähe zum Schmutz die prädestinierten Übertragungsmedien des HI-Virus; Napoleon Seyfarth entmystifiziert in seinem autobiografischen Roman "Schweine müssen nackt sein“ das schwule Leben mit Aids und findet zu neuen Formen der Trauerkultur: seinen Grabstein schmücken ein mondänes Schwein und die Inschrift „Finis porci, fraciminis initium!“ – „Das Ende des Schweins ist der Anfang der Wurst!“

Durch den Fleischwolf gedreht

Das Schwein findet in diesen Lektüren eine Aufwertung für queere Kritik. Das Ende des Schweins ist in seiner abwertenden Bedeutung das Potential einer Wurst, in der die einzelnen Bestandteile nicht mehr unterschieden werden können. Genauso verhält es sich mit dem queeren Zwischenruf, der hier unter dem Titel „Kweek“ in unregelmäßiger Regelmäßigkeit erscheinen soll: Identitäten, Kategorien, Grenzen durch den Fleischwolf gedreht, ergeben eine Wurst, deren Zutaten nicht mehr eindeutig sind. Ob Mensch oder Tier, Mann oder Frau, Schrift oder Sound: hier wird alles kweer und quiek sein, kweek eben. Dieser Zwischenruf kommt als posthumanistisch queere Pigtopia daher.

Und wie der Zufall es will, findet just zum Auftakt der Proklamation der queeren Pigtopia die Grüne Woche statt. Schnell wurden die Geflüchteten von der Messehalle ins ICC umgesiedelt, der ‚Schmutz’ globalisierter Ökonomien ausgekehrt und regionale und urgeschmäcklerische Bunte Buntheimer Schweine aufgestellt. Dass diese der Agrarwirtschaft als ‚Pig-Ups’ dienen, lässt sich mit dem rechtzeitig erschienenen Fleisch-Atlas der hbs nachvollziehen: Schweine sterben nun nicht mehr massenhaft in massenhaft verschwindenden kleinbäuerlichen und mittelständigen Betrieben, sondern in großindustriellen Schlachthöfen.

Menschen-, Tierrechts- und Klimaschutz-Diskurse formulieren Forderungen, die nicht selten gegenläufig sind: Sie streiten für die Beseitigung des Hungers als Fluchtursache und die Sichtbarmachung der vor allem Migrant*innen betreffenden schlechten Arbeitsbedingungen in der Lebensmittelindustrie, den Schutz der Tiere und die Nachhaltigkeit. Sich teilweise ausschließende Ansprüche – eben zum Beispiel die  Versorgung aller mit ökologisch und tierrechts-nachhaltigen Produkten – führen– so wird rund um die Proteste zur Grünen Woche deutlich – in vielfältige Argumentationssackgassen. Eine konstruktive Diskussion, ohne die Bedürfnisse von Mensch, Tier, Markt, Umwelt gegeneinander aufzurechnen, scheint kaum mehr möglich.

Produktive Sackgasse, queere Ästhetik

Dass jedoch die Sackgasse produktiv sein kann, verdeutlicht die Kulturtheoretikerin Lauren Berlant, wenn sie sagt, dass das Konzept der Gegenwart als Sackgasse verschiedene Optionen der Unterbrechung von Normen bereit hält, zumal wenn es um die Reproduktion von Leben geht. Und Jack Halberstam – Ikone queerer Low Theory –  sieht in dem Ethos der Resignation dem Stillstand gegenüber eine spezifische Form queerer Ästhetik realisiert. Ein solches Beispiel queerer Ästhetik ist Julischka Stengeles  Version eines Pig-ups.

In der Installation, von der die Selbstportraits zeugen, veranschaulichen sich die im queeren Körper verkreuzenden Diskursläufe: die nicht mehr eindeutig zu ziehende Grenze zwischen Schwein und fat femininity, anthropomorphisierter Animalität und trans-korporalisierten Menschseins, Skulptur und Performance ‚ereignete’ sich im Stillstand.

Stengele verharrte so lange wie möglich in verschiedenen Positionen, drosselte ihren Atem und ließ in der Ausdehnung von Zeit Raum für die Interpretation eines Körpers, der die widersprüchlichen Politiken von Exzess (Massentierhaltung) und Eat-Smart (Selbstoptimierung/Fat Shaming) vereint. Insbesondere das verlangsamte Spiel der Überblendung typischer Posen der Dar- und Ausstellung des weiblichen Akts und tierischen Körpers lässt den Kunstraum zur Grünen Woche mutieren und die Grüne Woche zum Ort einer Ästhetik werden, der uns die Produktion einer Gegenwart ohne Zukunft lehrt. Diese Arbeit von Stengele jedoch stiftet eine Zukunft an und zwar eine, in der wir etwas begehren können, das sich nicht den aktuellen Bedingungen unserer Realität anpasst – selbst wenn dies impliziert „to feel like an outcast in your own time…“, wie der Gespensterforscher Mark Fisher es formuliert.