Als mit Claudia Neumann am Samstag zum ersten Mal in der deutschen Fernsehgeschichte eine Frau ein Fußball-Länderspiel der Männer kommentierte, hatte die uralte Debatte über die Krise des Mannes auch die #Euro2016 erreicht. Doch die Erzählung vom Mann in der Krise hat einen gewaltigen Haken: Sie ist Unsinn.
Als mit Claudia Neumann am Samstag zum ersten Mal in der deutschen Fernsehgeschichte eine Frau ein Fußball-Länderspiel der Männer kommentierte, hatte die uralte Debatte über die Krise des Mannes auch die #Euro2016 erreicht. . „Nichts gegen Emanzipation, aber können sie uns nicht wenigstens den Fußball lassen“, schrieb ein User auf Twitter. Tausende andere gröhlten mit.
Auch in anderen Feldern scheint man der Krise nicht entkommen zu können, Mann schon gar nicht. „Die Krise des Mannes“ -– oft auch des „weißen“ lauert auf dem Spielplatz und auf Bestsellerlisten, in Feuilletons und vorm Rasierspiegel. Psychologinnen prophezeien den Kulturwandel. Autoren klagen in Ratgeberbüchern, dass sie schon mitten drin steckten. Glaubt man den Feuilletons, Lifestyle-Magazinen und Proseminaren ist – allgegenwärtig. Nur die realexistierenden Männer scheinen allzu oft davoon nichts mitzubekommen.
Männer fühlten sich verloren angesichts wandelnder Rollenbilder, liest man häufig und vermehrt, je näher das Sommerloch rückt. Gefolgt wird die Behauptung meist von Aneinanderreihungen, die das vermeintlich neue männliche Identitätschaos illustrieren: Insbettbringer und Sixpackbesitzer, Zuhörer und Liebhaber, Sitzpinkler und Marathonläufer. Als Beleg für die neuen gesellschaftlichen Machtverhältnisse folgt ein paar Absätze später der Hinweis darauf, dass Männer seltener Abitur machen und früher an Krebs sterben. Außerdem stets mit dabei: Merkel, Elternzeit, eine Yahoo-Chefin und Personalquote.
Doch die Erzählung vom Mann in der Krise hat einen gewaltigen Haken: Sie ist Unsinn. Die Geschichte vom Mann, dessen Suche nach einer neuen Identität mal Folge, mal Ursache, mal Sinnbild einer sich wandelnden Gesellschaft ist, ist – im besten Fall – gewaltig übertrieben. „Krise“ – allein schon das Wort vermittelt ihren vermeintlichen Protagonisten das angenehme Gefühl der Machtlosigkeit bei gleichbleibenden Machtprivilegien. Ein bisschen Progressivität, etwas wehmütige Nostalgie. Der überforderte Mann, der im unaufhaltsamen Strom der Emanzipation irgendwie versucht auf den Beinen zu bleiben, stolpert. Und am Ende so breitbeinig bleibt als wie bisher.
Die Gewalt weißer Männer
Nein, mit Emanzipation hat die Debatte um den Krisenmann nicht nur nichts zu tun, sie steht ihr sogar entgegen. Die meisten Formen von Männerdominanz bleiben dem besorgten Kolumnisten im Männer-Magazin und der -Feuilleton-Redakteurin genauso verborgen, wie der übrigen Gesellschaft. Gerade im Nicht-Problematisieren von all dem Männlichen jenseits von Krabelgruppen und Beinrasur besteht die Krise. Nein, nicht die des Mannes. Die einer Gesellschaft, die es längst nicht geschafft hat, sich von ihrer Mannhaftigkeit zu befreien.
Während sich die Krisendebatte an ein paar Randerscheinungen der vermeintlich neuen Männlichkeit abarbeitet, bleibt das große Krisenhafte gerade deshalb im Unsichtbaren, weil es männlich ist: Sexismus, Ausgrenzung, Chancenungleichheit, Ausbeutung, Demagogie, Gewalt sind nach wie vor typische Formen von Männlichkeit, die so selbstverständlich sind, das sie als menschlich gelten. Denn auch in Zeiten gelegentlicher Vätermonate und Alpha-Frauen ist es nicht der Mann, der angesichts einer sich wandelnder Gesellschaft in die Krise gerät, sondern die Gesellschaft, die sich an ihre mannhafte Dauerkrise längst gewöhnt hat.
Keine andere gesellschaftliche Gruppe kann sich so viel zu Schulden kommen lassen, ohne so wenig dafür stigmatisiert zu werden, wie der weiße Mann: Eine Gruppe, die statistisch für 93 Prozent aller Morde verantwortlich ist, und es trotzdem schafft, frei von gesellschaftlicher Ächtung zu bleiben. 7.000 Vergewaltigungen und Fälle sexueller Nötigungen werden jedes Jahr in Deutschland angezeigt. Die überwiegende Mehrzahl wird begannen von weißen Männern, ohne dass auch nur eine Talkshow das Phänomen weiß-männlicher sexualisierter Gewalt skandalisiert. Man stelle sich einmal vor Flüchtlinge hätten im vergangenen Jahr über tausendmal Unterkünfte von Deutschen angegriffen. Pegida würde wahrscheinlich nicht mehr nur im Osten marschieren. So erfährt man allenfalls im BKA-Kriminalitätsbericht, dass die Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte fast ausschließlich von männlichen Nicht-Migranten ausgingen. Wie laut ginge es an den Stammtischen zu, wären Frauen für doppelt so viele Unfalltote wie Männer verantwortlich?. So bleibt das Unfallrisiko „Mann“ eine so unausgesprochene wie todbringende Selbstverständlichkeit in der jährlichen Unfallstatistik.
Und wer bekommt den Job?
Von der „größten existenziellen Krise, die sein Geschlecht je erlebt hat“, weiß die Brigitte und meint freilich nicht, dass auch Männer unter der fehlenden Problematisierung von typisch Männlichem (Obdachlosigkeit, Alkoholsucht, Depressionen…) leiden. Stattdessen konstituiert die Autorin die Krise aus einem sich verbesserten Modegeschmack, verschlechterter Potenz und im Vergleich zu Frauen geringerer Bildung. Die Krise und damit der gesellschaftliche Machtverlust des Mannes zeige sich auch darin, dass Frauen mittlerweile statistisch häufiger Abitur machen. So steht es auch in anderen Exemplaren der Krisenliteratur. Dabei belegt das Beispiel genau das Gegenteil. Dass Männer Frauen in vielen Fällen unterlegen sind, ohne es jemals zu merken, bezeugt gerade die Krisenresistenz einer gesellschaftlichen Gruppe, die trotz schlechterer Bildung, geringerer Lebenserwartung und eines höheren Risikos für Drogenabhängigkeit, Diabetes, Übergewicht, Aids, Leberzirrhose und Selbstmord am Ende eben trotzdem den Job bekommt.
Letztlich sind es eben doch die alten Privilegien des Mannes, statt einer „Neuen Männlichkeit“ die darüber entscheiden, wen die realexistierende Krisen unserer Gesellschaft treffen. Die sogenannte „Krise des Mannes“ ist da oft nicht mehr als das Störfeuer, hinter denen sich die tatsächliche Privilegien verbergen lassen. Denn wer ohnehin schon in der Krise steckt, der kann nicht auch noch gesellschaftliche Verhältnisse ändern.
Ein Prinzip, das die männliche Krisenberichterstattung übrigens schon länger begleitet: „Du kennst die geschniegelten jungen Männer, Bart und Haupthaar glänzend, ganz aus dem Schmuckkästchen: nichts Mannhaftes kannst du von ihnen erhoffen, nichts Gediegenes“, schrieb der römische Schriftsteller und einer der privilegiertesten Männer seiner Zeit Seneca im 1. Jahrhundert nach Christus über die Krise seiner Gattung. 2000 Jahre später schreibt Die Welt „Er trägt einen gepflegten Bart. Der deutsche Mann sieht kerniger aus denn je, aber steckt trotzdem in einer Existenzkrise.“ Schön wär's.