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Von Antifeminismus zu „Anti-Genderismus“?

gorßer saal heinrich-böll-stiftung, voll besetzt
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Voller Saal bei der Eröffnung der Tagung

Am 31.05.2016 fand die Tagung des Gunda-Werner-Instituts “Gegner*innenaufklärung – In-formationen und Analysen zu Anti-Feminismus” statt. Im Rahmen der Veranstaltung wurden mehrere Tagungsberichte von Stipendiat_innen der Heinrich-Böll-Stiftung verfasst.

Das Eröffnungspanel der Konferenz „Gegner*innenaufklärung“ war der Frage gewidmet, inwiefern aktuelle Positionierungen rechtspopulistischer Akteur*innen als Verschiebung von antifeministischen Ansichten zu Abwehrhaltungen gegenüber einer vermeintlichen Überbetonung der Kategorie Gender verstanden werden können. Einleitend verwies Henning von Bargen, Leiter des Gunda-Werner-Instituts, auf die historische Dimension antifeministischer Haltungen. Bereits im Kaiserreich habe es eine Abwehrbewegung gegenüber Frauenrechtler*innen gegeben, welche lange die Basis für Kritik an eigenständiger Existenzsicherung von Frauen gebildet habe. Dagegen habe sich in den letzten Jahren zunehmend eine Opposition u.a. gegen-über den Gender-Studies und Sexualerziehung in den Schulen gebildet, sodass eine „bunte Mischung aus Homophobie, Anti-Genderismus und Rassismus“ ent-standen sei.

Bild entfernt.Sebastian Scheele vom Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin beschäftigte sich im Anschluss an die Vorüberlegungen in seinem Vortrag mit der Frage, inwiefern die These einer verschobenen Schwerpunktsetzung zu Anti-Genderismus innerhalb rechtspopulistischer Strömungen haltbar sei. Dazu analysierte er zunächst die Begriffe „Gender“ und „Genderismus“, welche jeweils eine ambivalente Bedeutung aufwiesen. So könnten beide Begriffe einerseits als analytische Begriffe zur Betrachtung gesellschaftlicher Strukturierungen nach Geschlecht verstanden werden, jedoch würden die Begriffe auch entleert und als Kampfbegriffe gegen feministische Positionen vereinnahmt, womit eine ideologische Aufladung mit Bedrohungsszenarien verbunden sei. Aufgrund dieser Be-deutungsunschärfe der Begriffe könne „Anti-Genderismus“ sowohl als Kritik an Ausgrenzungen aufgrund von Gender im Sinne feministischer Ansätze dienen, aber eben auch als Abwehrhaltung gegen den vermeintlichen „Gender-Wahn“ instru-mentalisiert werden. Daher erscheint Anti-Genderismus für Sebastian Scheele nicht als angemessene Bezeichnung für die Gegner*innen, sodass er es bevorzugt, am Begriff Antifeminismus festzuhalten.

Dennoch lasse sich eine Verschiebung der Bezugspunkte innerhalb der Gegenbewegung von Maskulinismus zu der Betonung von Familie als zentrale Gesellschaftskategorie erkennen. Durch die Konstruktion von Familiarität im Sinne heteronormativer, rassistischer und bürgerlich-nationalistischer Positionen könne somit eine diskursive Veränderung in Richtung eines familienzentrierten Antifeminismus beobachtet werden, welcher sich in der Vorstellung der „Vater-Mutter-Kind-Familie“ kristallisiere. Als Faktoren für die Verschiebung macht Sebastian Scheele insbesondere die mediale Bestärkung von Meinungen, die Tendenzen einer zunehmenden Ökonomisierung im Journalismus, den Aufschwung radikal-religiöser Gruppen sowie vergleichbare internationale Entwicklungen, beispielsweise durch den Aufschwung des Front National in Frankreich, aus.

Die veränderte Schwerpunktsetzung antifeministischer Einstellungen wurde im Anschluss anhand von vier Politikfeldern aufgezeigt. Innerhalb der Geschlechterpolitik der letzten Jahre vollziehe sich mit dem Verweis darauf, dass feministische „Ziele erreicht“ seien, eine Verengung auf Familienpolitik, welche von den Gegner*innen genutzt werde, um aktuelle feministische Forderungen als absurd darzustellen. Durch die Aufladung von Geschlechterpolitik mit dem Diskurs des demographischen Wandels sei zudem eine wieder zunehmende Betonung pronatalistischer Forderungen gegenüber Frauen innerhalb antifeministischer Strömungen festzustellen.
Zudem ließe sich eine Begriffsaufladung des Konzeptes Gender-Mainstreaming erkennen, welche häufig mit politischer Unzufriedenheit verknüpft werde und so dazu führe, dass Gender als Schauermärchen und sexualisierendes Bedrohungsszenario Einzug halten konnte.
Die Proklamierung von Sachzwängen und Alternativlosigkeit innerhalb der sogenannten Postdemokratie führe außerdem dazu, dass die traditionelle Familie als Rückzugsort des Konservativismus fungiere, wodurch auch antifeministische Positionen verbreitet würden. Schließlich trügen rassistische Mobilisierungen über vielfältige Verbindungen zu Antifeminismus dazu bei, dass eine breitere gesellschaftliche Anschlussfähigkeit für Positionen der Gegner*innen entstehe. In der Rede vom „Volkstod der Deutschen“ sowie in der rassistischen Vereinnahmung scheinbar feministischer Positionen im Anschluss an die Silvesternacht in Köln werde zudem ein Widerspruch zwischen der vermeintlichen Verteidigung westlicher feministischer Errungenschaften und deren gleichzeitiger Ablehnung deutlich.
Abschließend kommt Sebastian Scheele somit zu dem Schluss, dass eine neue Variante antifeministischer Einstellungen zu beobachten sei, welche sich neuer Mechanismen bediene und die Perspektive zunehmend auf die Familie als Bezugspunkt richte.

In der anschließenden Diskussion wurden insbesondere die rassistischen bevölkerungspolitischen Forderungen nach der Geburt der „richtigen Kinder“ thematisiert, die sowohl innerhalb der AfD als auch im Anschluss an Thilo Sarrazins Veröffentlichungen breite gesellschaftliche Zustimmung zu erfahren schienen. Daneben wurde Antifeminismus als Begriff kritisiert, der gender-queere Akteur*innen unsichtbar mache. Demgegenüber betonte Sebastian Scheele jedoch einen weiten Feminismus-Begriff, welcher queer-feministische Einflüsse berücksichtige ohne dabei traditionell feministische Themenfelder wie sexualisierte Gewalt zu vernachlässigen.

Bild entfernt.Im zweiten Vortrag des Eröffnungspanels der Historikerin und Sozialwissenschaftlerin Dr. Gisela Notz ging es um eine genauere Betrachtung der ideologisierten Familienverständnisse und damit des bereits angerissenen familienzentrierten Antifeminismus. Einleitend wurde das diskriminierende Potenzial dargestellt, welches aus der Naturalisierung der bürgerlichen Kleinfamilie entspringe und die Verabsolution bestimmter normativer Kriterien beinhalte. Durch die konstante Betonung der familialen Ordung in der Bundesrepublik Deutschland sei so ein Ausschluss verschiedener Familienmodelle zu beobachten, welche nicht den konservativen Mehrheitsvorstellungen entsprächen. Innerhalb dieser Vorstellungen werde sowohl eine klare Rollenkonstruktion auf christlicher Basis sowie eine Exklusivität der Familie erkennbar, welche als Schutzwall gegen gesellschaftliche Veränderungen dienen sollte und in diesem Zusammenhang auch als „Keimzelle der Nation“ präsentiert werde. Aufgrund dieser klaren Definition der gesellschaftlich erwünschten Form des Zusammenlebens, könne der bürgerlich-konservative Familismus laut Notz als „Keimzelle des Kapitalismus und Komplize des Patriarchats“ verstanden werden.

Im Anschluss an die Darstellung des Familismus wurde die zunehmende Diversifizierung der Familienmodelle in der Bundesrepublik Deutschland seit den 1950er Jahren dargestellt. Durch Kritik an der herrschenden Familienideologie und beispielsweise die Zunahme kollektiver Lösungen der Kindererziehung sei eine Auflösung der bürgerlichen Kleinfamilie zu beobachten, sodass nur noch etwa 20% der Bevölkerung innerhalb dieser Familienform lebten. Innerhalb konservativ-christlicher sowie vermehrt auch rechtspopulistischer Kreise werde diese Tendenz als Bedrohung verstanden und die Bewahrung der traditionellen Familie gegenüber gesellschaftlicher Veränderung gefordert. Anhand der häufig verwendeten Betonung des „Familienglücks“ sowie des „Kindeswohls“, welches der bürgerlichen Kleinfamilie bedürfe, stellte Notz dar, auf welche Weise ein ideologischer Familismus sprachlich zum Ausdruck komme und so andere Lebensformen unterdrücke. Durch die Problematisierung von Kinderlosigkeit und die Forderung nach einer „zielführenden Sexualität“ würden Frauen zudem auf eine vermeintliche „Reproduktionsfunktion“ reduziert, wodurch Überschneidungsbereiche zu radikalen Abtreibungsgegner*innen eröffnet würden, welche sogar vor der Bezeichnung „Babycaust“ nicht zurückschrecken.

Abschließend wurde der Widerspruch thematisiert, in welchem sich insbesondere die AfD befinde, indem sie gleichzeitig scheinbare Selbstbestimmung sowie ein diskriminierendes und einschränkendes Familienbild verbreite. Die Dekonstruktion und Infragestellung dieser Strukturen sieht Notz als Möglichkeit an, alternative Zusammenlebensformen zu stärken und den Gegner*innen dieser neuen Familienmodelle etwas entgegenzusetzen.

In der anschließenden Diskussion wurde nochmals verdeutlicht, dass es nicht um eine Abschaffung der Kleinfamilie oder um eine pauschale Kritik an diesen Modellen gehe. Stattdessen sei es von zentraler Bedeutung, den Zwang und die normierenden Ausgrenzungen zu problematisieren, die von der Konstruktion der Kleinfamilie als einzige Lebensform ausgehen. Dass diese Ausgrenzungen auch innerhalb gesellschaftlicher Institutionen und Strukturen wie beispielsweise in Gerichtsurteilen zur Vormundschaft zum Ausdruck komme, wurde in einem Kommentar ergänzt. Zudem müsse auch die neoliberale Inanspruchnahme der Familie als Ort der ökonomischen Sicherung betrachtet werden, welche im Rahmen einer Erweiterung der Kritik an ideologischen Familienmodellen mitgedacht werden sollte.
Dass es um Anerkennung und Respekt für alle Möglichkeiten des Zusammenlebens gehe, machte Notz in einem Abschlussstatement deutlich, wobei sie betonte, dass insbesondere Privilegierungen und Machtausübung durch ein ideologisiertes traditionelles Familienverständnis aufgedeckt werden sollten.