Deutschland hat ein Rassismus-Problem. Es ist an der Zeit, dass auch staatliche Institutionen und die Zivilgesellschaft ihr Mitwirken daran erkennen und konsequent Gegen-Strategien entwickeln. Dies war der Ausganspunkt einer Fachkonferenz von Amnesty International „Rassistische Gewalt in Deutschland. Bestandsaufnahme, Aufarbeitung und Perspektiven“ veranstaltet am 10./11.11. in Berlin. Verterter_innen der Polizei, Justiz, Zivilgesellschaft, Politik und Wissenschaft kamen zusammen mit dem Ziel das Thema „aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten“ und konkrete Lösungsperspektiven zu diskutieren. Dies alles vor dem Hintergrund des 5. Jahrestages der NSU-Selbstenttarnung am 4.11.2011 und einem erschreckenden Anstieg rassistischer Gewalt im letzten Jahr in Deutschland. Der Bericht von Amnesty „Leben in Unsicherheit. Wie Deutschland die Opfer rassistischer Gewalt im Stich lässt“ macht die Besonderheit rassistischer Gewalt und die unzureichenden Reaktionen darauf sehr deutlich.
„Purpose and Effect“ Auf der Suche nach einer Definition von Rassismus
Einen Überblick über Strategien gegen Rassismus und den internationalen Rahmen gab Anastasia Crickley, Vorsitzende des UN-Antirassismus Ausschusses (CERD). Als Definition, setzte sie sich für ein Verständnis von rassistischer Diskriminierung gemäß Art. 1 ICERD ein, bei der das Ziel ebenso entscheidend ist, wie die Folge: „the term ‚racial discrimination‘ shall mean any distinction, exclusion, restriction or preference based on race, colour, descent, or national or ethnic origin which has the purpose or effect of nullifying or impairing the recognition, enjoyment or exercise, on an equal footing, of human
rights and fundamental freedoms […]“ Während sie einerseits Deutschlands proaktives Verhalten und das regelmäßige Einreichen der Berichte lobte, stellte sie andererseits vollkommen klar, dass Deutschland – ebenso wie jedes andere CERD Land – ein Rassismus-Problem hat und wie wichtig es ist, dieses auch als solches zu benennen. Genau diese Feststellung, dass es ein spezifisches Problem mit Rassismus und rassistischer Gewalt in Deutschland gebe, wurde hingegen im weiteren Verlauf der Konferenz insbesondere von Institutionenvertretern immer wieder in Frage gestellt.
Aktiv werden gegen Rassismus
Des Weiteren ging es um die Frage, was die Bunderegierung und die Justiz konkret im Kampf gegen rassistische Gewalt tun (können). Dazu diskutierten Anetta Kahane (Amadeu Antonio Stiftung) Resa Memarnia (Bundeszentrale politische Bildung BpB) und Robert Kusche (tätig in der Opferberatung, VBRG). Während Bundesmittel für entsprechende Projekte zwar stiegen, reiche die staatliche Finanzierung bei Weitem nicht aus und beispielweise Opferberatungsstellen seien strukturell zu schlecht ausgestattet. Doch nicht nur staatliche Akteure müssten in die Pflicht genommen werden, betonte Resa Memarnia, Rassismus zu bekämpfen sei ebenso Aufgabe der Zivilgesellschaft. Diese Aufgabe kann an unterschiedlichen Stellen ansetzen: Während die Amadeu Antonio Stiftung strukturelle Beratung leistet ist Memarnia’s BpB Projekt „Zusammenhalt durch Teilhabe“ stark präventiv angelegt und Opferberatungsstellen leisten überhaupt erst nachträglich Hilfe. Wie die größtmögliche Effektivität von Programmen erreicht werden könne, beantwortete Anetta Kahane mit der Einsicht einer, die sich schon seit vielen Jahren in dem Feld um Forstschritte bemüht: Weder rein induktive, noch rein deduktive Ansätze wären erfolgreich, stattdessen müsse man an vielen Stellen gleichzeitig schrauben, „think big“, forderte sie uns auf. Im aktuellen Aufschwung rechter Positionen sahen die Beteiligten einerseits eine Gefahr, die sich in den Angriffen selbst, aber auch im erstarkenden Selbstbewusstsein der Täter_innen zeige. Andererseits könne das Erschrecken auch dort Veränderung anstoßen, wo Rassismus bisher verdrängt wurde. Die Ambivalenz, die steigende Gewalt zu problematisieren ohne dabei Fortschritte zu negieren durchzog das Gespräch. Ein spontaner Redebeitrag kam von zwei Aktivist_innen, die sich im Rahmen der UN Decade African Descent engagieren. In der Dekade geht es um die drei zentralen Themen Anerkennung, Gerechtigkeit und Entwicklung. Sie verdeutlichten, dass jenseits konkreter Projekte Interesse und Respekt gegenüber allen Menschen zentral sind, um Rassismus in den Köpfen nachhaltig etwas entgegenzusetzten.
Institutioneller Rassismus als Kampfbegriff
Eine Innenperspektive der Justiz war durch Andreas Christeleit, Oberstaatsanwalt am Bundesgerichtshof vertreten. Während er sich immer wieder auf das Versprechen der Professionalität institutioneller Prozesse zurückzog, erklärte er im Wesentlichen, warum der Bundesgerichtshof nur in sehr wenigen Fällen rassistischer Gewalt überhaupt zuständig sei. In der Regel sei die Strafverfolgung in diesen Fällen Ländersache, eine Ausnahme wäre beispielsweise nur eine Terrorgefahr, in der die innere Sicherheit Deutschlands bedroht sei. Als Lehre aus dem NSU wäre das länderübergreifende Gemeinsame Abwehrzentrum Rechts (GERTZ-R) eingerichtet worden. Den Vorwurf des institutionellen Rassismus wies er ab. Noch vehementer wiesen diese Beschreibung nur Stephan Mayer (innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU) und Richard Reinfeld (BMI, Beauftragter im NSU-Untersuchungsausschuss) ab. Letzter ging sogar so weit ihn als „Kampfbegriff“ und „ideologisch aufgeladen“ zu beschreiben. Aber auch von Polizeivertretern kam Widerspruch, da Polizisten sich davon stigmatisiert fühlten. Diese grundlegende Differenz machte eine konstruktive Diskussion schwierig.
Wie kann über Lösungsperspektiven diskutiert werden, wenn noch nicht einmal Einigkeit über das Problem besteht? Am deutlichsten wurde dies in einer öffentlichen Podiumsdiskussion, in der die Expertise u.a. von Karen Taylor (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, ISD) und Irene Mihalic (Innenpolitische Sprecherin Bündnis 90/Die Grünen) im Licht des andauernden Streits um die Existenz von Rassismus kaum Beachtung fand.
Ist interkulturelle Kompetenz die Lösung? Probleme beim Wording und darüber hinaus
Lehren aus dem NSU und die Rolle der Polizei bei rassistischer Diskriminierung, waren weitere Stränge, die das Programm und die Diskussionen durchzogen. In einem Block „Fünf Jahre nach dem „NSU“- wo stehen wir jetzt?“ kamen Perspektiven aus der Politik zu Wort. Die Diskussion zwischen Petra Pau (Die Linke) und Richard Reinfeld (s.o.) erwies sich allerdings als Fortsetzung einer Bundestagsdebatte in anderen Räumen und damit wenig konstruktiv. Interessanter waren da die Perspektiven aus der Wissenschaft, in denen Britta Schellenberg (LMU) und Jonas Grutzpalk (FHöV NRW) Herausforderungen für die staatliche Bearbeitung rassistischer Gewalt und Überlegungen zur Polizeiausbildung vorstellten. Zusammen mit einem Input von Thomas Müller, dem Integrationsbeauftragen der Polizei Bremen wurde ausführlich über Möglichkeiten der Sensibilisierung der Polizei (insb. racial profiling) gesprochen. „Ist interkulturelle Kompetenz die Lösung?“ hieß bezeichnenderweise Grutzpalks Input, an das sich eine Diskussion rund um Wording und die Übersetzung von nicht-trivialem in triviales Wissen anschloss. In diesem Zusammenhang leider nicht weiter diskutiert wurde ein Einwand von Marianne Ballé Moudoumbou (Zentralrat der Afrikansischen Gemeinde in Deutschland e.V.), in dem sie fragte, ob denn auch Dekonstruktion und die Reflexion eigener Privilegien in den Workshops der Polizei eine Rolle spielten.
Wir brauchen Aktivismus, Ausdauer, Unnachgiebigkeit
Was leider wenig Raum fand, waren aktivistische Perspektiven. Umso wichtiger war der Input Damaris Uzoma‘s (ISD), die es schaffte in wenigen Minuten viele wichtige Punkte anzusprechen. Deutschland müsse endlich eine allgemeine Rassismusdefinition festlegen, mit der Rassismus intentional und nicht-intentional, interpersonal und institutionell, sowie als Ziel und Effekt gedacht und angegangen werden kann. Dies wurde auch von Anastasia Crickly und Beate Schellenberg gefordert. Viel zu oft herrsche immer noch ein folkloristisches Verständnis davon, was Rassismus bedeute. Außerdem, so Crickly, könne alltägliche rassistische Diskriminierung schwer erfasst werden, wenn man Rassismus auf ideologischen Extremismus reduziere. Crickly und Uzoma waren es auch, die wiederholt auf die Wichtigkeit einer intersektionalen Perspektive hinwiesen. Nur wenn Diskriminierung in ihrer Spezifität erkannt wird, kann sie erfolgreich bekämpft werden. Auch Uzoma bezog sich auf die UN Dekade und nannte Inklusion und die Erhebung von Gleichstellungsdaten als wichtige zu erreichende Ziele, um erfolgreich gegen Rassismus vorzugehen. Weiterhin müssten sich Bildungsinhalte verändern, sodass Kolonialismus und Versklavung endlich thematisiert, Afrika nicht als geschichtsloser Kontinent dargestellt werde und Menschenrechtsbildung vorangetrieben würde. Am Schluss standen also doch einige praktische Lösungsansätze, wenngleich vor allem Anetta Kahanes Worte nachhallen „es gibt keinen zentralen Hebel“, wir müssen an vielen Stellen gleichzeitig schrauben - und es braucht lange Zeit.