Ich bin viele! Sigmar Gabriel und Mark Lilla kritisieren die "Political Correctness"

Feministischer Zwischenruf

Jetzt haben wir den Salat. Die Feminist*innen sind schuld, dass ein Frauenhasser ins Weiße Haus einziehen soll. Es sei die elende liberale Identitätspolitik aller Minderheiten und der Frauen, die allesamt eine entscheidende Gruppe vergessen habe: Den weißen Arbeiter. Und der kann ganz anders.

Toni Morrison und ein Zitat von ihr: "What I think the political correctness debate is really about is the power to be able to define. The definers want the power to name. And the defined are now taking that power away from them."
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"Ich denke es geht bei der Debatte um Political Correctness um Definitionsmacht. Die Definierenden wollen die Macht zu benennen und die Definierten nehmen ihnen diese Macht jetzt weg.“ (Toni Morrison 1994)

Jetzt haben wir den Salat. Die Feminist*innen sind schuld, dass ein Frauenhasser ins Weiße Haus einziehen soll. Das hat uns gerade Elisabeth Raether in der "Zeit" ins Stammbuch geschrieben. Nicht die Feminist*innen allein natürlich, auch die restlichen Vertreter*innen der Political Correctness sind schuld. Den Auftakt machte der Anthropologe Mark Lilla in der New York Times: Es sei die elende liberale Identitätspolitik aller Minderheiten und der Frauen, die allesamt eine entscheidende Gruppe vergessen habe: Den weißen Arbeiter. Und der kann ganz anders.

Und dann kommt Sigmar Gabriel und sinniert laut dpa darüber, dass den armen normalen Leuten immer von den Eliten über den Mund gefahren wird, wenn sie reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Migrationshintergrund sollen sie sagen statt Ausländer. Gender- Is, -Löcher oder Sternchen machen: Sie machen den Mund auf und gleich schulmeistert eine oder einer los, so Gabriel.

Ja, SPD-Chef Sigmar Gabriel hat das gesagt. Falls Sie sich erinnern, wir haben eine Dauerdebatte über Political Correctness, die bisher von den Konservativen bis Rechten betrieben wurde. Die NPD und die AfD sind gegen den Genderwahn. Jan Fleischhauer, Henryk Broder und Harald Martenstein ziehen gegen Political Correctness zu Felde. Und nun also Sigmar Gabriel. Als Selbstkritik formuliert. Aber sich selbst kann er nicht gemeint haben, denn es wurde noch nicht überliefert, dass Gabriel den rhetorischen Rohrstock gezückt hat, wenn jemand keinen Genderstern machte. Rauf auf den Zug, nennt man das.

Heide Oestreich ist Redakteurin der taz, die tageszeitung und betreut dort vor allem die Geschlechter- und Gesellschaftspolitik. 2004 erschien von ihr das Buch "Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam". 2009 wurde sie vom Journalistenverband Berlin Brandenburg für ihre langjährige Berichterstattung über unbewußte Geschlechterklischees mit dem Preis "Der lange Atem" ausgezeichnet.

Dahinter steckt ja wirklich ein interessantes Problem. Haben die Linken und die Feminist*innen vor lauter Anerkennungspolitik die Klassenfrage vergessen? Die Antwort darauf ist allerdings ziemlich eindeutig: Zwei der bekanntesten Feministinnen der Gegenwart, Laurie Penny und Angela McRobbie sind bekennende Sozialistinnen. Schon Anfang des Jahrtausends schrieb die feministische Theoretikerin Nancy Fraser einen weltberühmt gewordenen Text über die Notwendigkeit und Verflochtenheit von Anerkennung und Umverteilung. Es schloss sich eine lebhafte Debatte an, die in Tagungen und Suhrkamp-Bände mündete. Schwarze Feministinnen entwickelten schon Ende der 1980er Jahre einen Ansatz, der sich "Intersektionalität" nennt: Klasse, Rasse und Geschlecht weisen zusammen dem Subjekt seine Position in der Gesellschaft zu. Alle drei Dimensionen gehören bearbeitet.

Identitätspolitik, ja bitte, sagen Intersektionalist*innen. Aber dann für alle. Ich bin nicht nur Vertreterin eines Geschlechts. Sondern auch einer Klasse und einer Rasse. Identitätspolitik muss keineswegs nur auf Partikularinteressen eingehen. Ja, es geht ums Ich. Aber ich bin viele. Sehr viele.

Wer hat also die Umverteilung vergessen? Die Liberalen schon mal eher nicht. Die Linke? Räusper. Da gibt es in Deutschland eine ganze Partei, die von wenig anderem spricht als von Umverteilung. Linkspartei heißt sie. Und da gibt es eine Partei, die massiven Sozialabbau betrieben hat. In Ken Loachs Film "Ich, Daniel Blake" kann man die Auswirkungen betrachten. Die Hauptperson erleidet nach etlichen Schikanen einen Herzinfarkt im Sozialgericht. Ein Opfer der Sozialpolitik von New Labour, dem Vorbild der SPD in den 2000er Jahren. Ja, der deutschen SPD. Deren Chef heißt Sigmar Gabriel.

Lieber Herr Gabriel: Jetzt auf ein paar Sternchenmenschen rumzukloppen wird ihr Problem mit den Populist*innen nicht lösen. Sie müssen schon wieder den Hauptkampfplatz betreten.