Die Mühlen des Ehrenamtes

Das Berliner Projekt PROTHEGE bietet Therapiemöglichkeiten für Geflüchtete an und reagiert damit auf eine große Nachfrage. Trotzdem ist es schwieriger als gedacht, ehrenamtlich eine funktionierende Struktur aufzubauen. Ein Lagebericht über fehlende Gelder und schwierige Vernetzung.

„Das gibt’s doch gar nicht! Ständig hören wir, dass Therapieplätze für Geflüchtete benötigt werden, und nun sitzen wir hier, haben freie Plätze, aber keine Patient*innen!“

Ende März 2017 ist bei uns die Luft raus. Hinter uns liegen anstrengende, ereignisreiche Monate und auch Hürden, die wir bisher jedoch gut meistern konnten. Doch nun geht es seit Wochen nicht voran, obwohl wir alle so viel Zeit und Herzblut investieren. Aber zurück zum Anfang.

Alles begann im Sommer 2015. Als damals täglich tausende geflüchtete Menschen in Berlin ankamen und die Warteschlangen vor dem LaGeSo immer länger wurden, kam auch bei uns an der Berliner Akademie für Psychotherapie und der Psychologischen Hochschule Berlin die Frage auf: „Was können wir tun, um zu helfen?“. Immer wieder hörten wir, dass viele der Geflüchteten unter psychischen Symptomen aufgrund der traumatisierenden Erfahrungen in ihren Heimatländern, während der Flucht und auch hier in Deutschland leiden. Versorgungsengpässe, Zugangsbarrieren aufgrund des Aufenthaltsstatus sowie die Problematik der nicht sichergestellten Dolmetscher*innenfinanzierung erschweren es dieser Gruppe jedoch, die regelhafte und notwendige Gesundheitsversorgung für sich nutzen zu können. So lag die Idee nahe, dass wir unseren Beruf nutzen, um zumindest eine kleine Abhilfe in diesem Bereich zu schaffen. Aus anfänglich ca. 80 Interessierten bildete sich ein Team von sieben Psychotherapeutinnen in Ausbildung und nach einigen Wochen stand unser Konzept: Unter dem Titel PROTHEGE (Projekt Therapie für Geflüchtete) wollten wir Kurzzeittherapien im Umfang von 15 Sitzungen für erwachsene Geflüchtete anbieten, um bei psychischen Problemen eine erste Stabilisierung zu ermöglichen und die Geflüchteten in ihrer neuen Lebenssituation zu stärken. Die nötigen Räumlichkeiten würden unsere Ausbildungsinstitute kostenfrei zur Verfügung stellen und erfahrene Supervisor*innen sollten die Kurzzeittherapien begleiten. Zudem wollten wir ausgebildete Dolmetscher*innen einbeziehen, damit sich die geflüchteten Menschen trotz Sprachbarriere öffnen können – auch wenn dies bedeutet, dass wir eine größere Geldsumme benötigen würden, um die Dolmetscher*innen angemessen zu bezahlen. Mit der Plattform www.gemeinschaftscrowd.de starteten wir eine einmonatige Crowdfunding-Kampagne, um die anstehenden Kosten decken zu können. In dieser Zeit lernten wir viel: Pressemitteilungen schreiben, Interviews für Zeitung und Radio geben, Social Media-Kanäle pflegen – alles ehrenamtlich, neben der Erwerbsarbeit und ohne Vorkenntnisse in diesem Bereich. Doch unsere Mühen wurden belohnt: Ganze 33.000 Euro standen uns nach Abschluss des Crowdfundings für das Projekt zur Verfügung.

Der Euphorie folgt die Ernüchterung

Euphorisiert und voller Tatendrang stürzten wir uns in die nächste Organisationsphase, doch schon bald kam der erste Dämpfer: Statt wie erwartet Kontakte zu Dolmetscher*innen von den Organisationen vermittelt zu bekommen, die uns vorher immer wieder in unserem Vorhaben bestärkt hatten, bekamen wir nun die Rückmeldung: „Wir haben so lange gebraucht, um fähige Sprachmittler*innen zu finden, dass wir deren Kontaktdaten jetzt gut hüten, damit sie uns nicht weggeschnappt werden.“ Dies war für uns ein großer Schock. Einerseits hatten wir nicht mit einem so harten Wettbewerb um die Sprachmittler*innen gerechnet, andererseits konnten wir nicht wie geplant im Frühherbst mit den Behandlungen starten, sondern mussten uns erst einmal auf die Suche nach Dolmetscher*innen begeben, die bereits Erfahrungen im Übersetzen von Psychotherapien hatten. Schnell mussten wir einsehen, dass wir mit unseren Mitteln keinen großen Pool an Dolmetscher*innen aufbauen konnten und suchten stattdessen nun Patient*innen, die die Sprache unserer mühevoll gesuchten Dolmetscher*innen verstehen konnten! Doch auch diese umgekehrte Suche gestaltete sich schwieriger als erwartet. Mal gab es keine Patient*innen aus den gesuchten Herkunftsländern, mal bekamen wir auf unsere Anfragen keinerlei Rückmeldung, obwohl kurz vorher noch großer Bedarf signalisiert wurde. Da sich zur damaligen Zeit noch viele Projekte im Aufbau befanden, wechselten die Zuständigkeiten häufig und unsere Ansprechpartner*innen waren plötzlich nicht mehr erreichbar oder versanken selbst in einer Flut von Aufgaben.

An diesem Punkt wurden uns die Grenzen unseres kleinen Projektes bewusst. Wir waren nun Teil eines Hilfesystems, in dem die einzelnen Projekte mehr oder weniger gut vernetzt sind und in dem altbewährte Strukturen und neu gegründete Initiativen ohne übergeordnete, professionelle Koordination zusammenarbeiten müssen. Da wir alle PROTHEGE ehrenamtlich und neben unserer Erwerbsarbeit stemmen, konnten wir nicht immer das leisten, was zu einer reibungslosen Organisation der Therapien nötig gewesen wäre – etwa eine bessere Erreichbarkeit, um auf Anfragen und Änderungen schnell reagieren zu können. Zudem arbeiten wir ohne feste Zuständigkeiten, damit immer alle im Team den gleichen Kenntnisstand haben und wir alle uns jederzeit gegenseitig vertreten können. Dadurch ist die Arbeit zwar nahezu gleich verteilt und wir bewahren einander vor Überarbeitung, aber es kommt zuweilen auch zum bekannten Problem der Verantwortungsdiffusion und der gemeinsame Entscheidungsprozess ist deutlich länger. Auch von unseren Dolmetscher*innen und Vermittler*innen verlangt diese Organisationsstruktur eine gewisse Flexibilität. So ist es nicht immer einfach, die ‚hart umkämpften’ Dolmetscher*innen an unser Projekt zu binden, wenn andere Organisationen beständigere Termine und Zuständigkeiten, sowie eine bessere und verlässlichere Bezahlung bieten können. Doch gerade die Dolmetscher*innen als Ausgangspunkt unserer Planung von Therapeut*innen, Patient*innen und Sprachmittler*innen können mit einer plötzlichen Absage unsere langwierige und mühsam aufgebaute Terminkoordination zum Einsturz bringen.

Der Blick nach vorn

Inzwischen laufen rund zehn Therapien und wir haben die frustrierende Phase Ende März 2017 überwunden. Dabei geholfen hat uns vor allem unsere gute Zusammenarbeit. Im Verlauf des Projektes haben wir durch die vielen überwundenen Hürden und positiven Rückmeldungen eine enge Bindung an PROTHEGE und das Team entwickelt. Wir stärken uns den Rücken, nehmen uns gegenseitig Aufgaben ab, wenn es doch mal zu viel werden sollte, und versuchen in unseren wöchentlichen Planungstreffen trotz vieler Tagesordnungspunkte und Diskussionen immer Raum zum Frustabbau zu lassen. Wir hoffen, dass wir das Projekt weiterführen können, auch wenn die Gelder aus dem Crowdfunding in einigen Monaten aufgebraucht sein werden. Im besten Falle können wir an bestehende Strukturen der psychosozialen Versorgung andocken oder durch eine bessere Finanzierung im Rahmen von Drittmittelanträgen feste, bezahlte Stellen schaffen. Doch egal wie sich PROTHEGE entwickelt: Die eigentliche Veränderung muss auf politischer Ebene geschehen, anstatt wie bisher die psychosoziale und psychotherapeutische Versorgung von Geflüchteten auf den Schultern von Initiativen und ehrenamtlichen Projekten abzuladen. Erst wenn den Geflüchteten ein echter Zugang zur regelhaften Gesundheitsversorgung ermöglicht wird (z.B. indem Krankenkassen die Kosten für Dolmetscher*innenhonorare übernehmen oder indem nicht mehr die Sozialämter über die Bewilligung von Behandlungen entscheiden dürfen), werden solche ‚Parallelsysteme’ unnötig. Um jedoch wirklich politisch Einfluss nehmen zu können, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Projekten nötig. Und es bleibt die Frage: Wie können die Mitarbeiter*innen dieser Projekte noch politisch kämpfen, wenn die eigentliche Arbeit schon so zeitintensiv und kräftezehrend ist? Unsere Erfahrung mit PROTHEGE hat uns trotz einiger Durststrecken gezeigt, dass wir gemeinsam viel erreichen können. Wir machen weiter!

 

Dieser Artikel erschien zuerst beim Aktionsbündnis "Wir machen das". Der Originalbeitrag hier.

 

Weitere Informationen finden Sie auf der Facebook-Seite des Projekts, sowie auf der Seite der der Psychologischen Hochschule Berlin.