Geschlecht anerkennen, Geschlecht überwinden: Hier die Quote, da Postgender

Mancherorts wird aufs Schärfste für die Sichtbarkeit von Frauen und Queers gekämpft, anderswo lautstark die Post-geschlechtliche Zukunft ausgerufen. Beides sind Akte großer emanzipatorischer Bestrebungen. Lassen sie sich füreinander fruchtbar machen?

 Anfang Mai ließen zwei Neuerungen bei den „MTV Movie Awards“ nicht nur die Red-Carpet-Medien aufhorchen: Im 25. Jahr ihres Bestehens erweiterte die Award-Show ihr Anerkennungsrepertoire von der großen Leinwand auf die heimischen Screens und veränderte ihren Titel in „MTV Movie & TV Awards 2017“. Gleichzeitig wurde die Auszeichnung für das beste Schauspiel nicht mehr geschlechterdifferent verliehen. Von nun an soll die Darstellungskunst an sich im Vordergrund stehen. Die Gewinnerin der überraschenderweise generisch maskulin bezeichneten Kategorie „Best Actor in A Movie“ war Emma Watson für ihre Rolle der „Belle“ in „Beauty and the Beast“. Für sie, so betonte Watson in ihrer Dankesrede, ginge es um die Fähigkeit, sich in andere hinzuversetzen und dafür bedürfe es keiner Trennung nach Geschlecht. In der Kategorie „Best Actor in a TV Show“ wurde die 14-jährige Millie Bobby Brown für ihre Darstellung der „Eleven“ in der Netflix-Serie „Stranger Things“ ausgezeichnet.

Sookee ist Rapperin und Feministin, politisch und in Partylaune, kämpferisch und harmoniebedürftig. Widersprüche sind eine ihrer leichtesten Übungen, wie sich auf 6 Solo-Releases und dutzenden Kollabos nachhören lässt. Sookee lebt in Berlin und streut von dort aus Idealismus und kritische Analysen auf internationale Bühnen, Podien, Squats, Feuilletons und in die Biographien vieler Menschen.

MTV überwindet die Zweigeschlechtlichkeit, wirklich?

2006 und 2007 hatten die „MTV Movie Awards“ schon einmal die geschlechterseparierte Preisvergabe ausgesetzt. In diesen Jahren gewannen mit Jake Gyllenhaal für seine Rolle in „Brokeback Mountain“ und ein Jahr darauf mit Johnny Depp für seine Darstellung als „Captain Jack Sparrow“ zwei Männer die Trophäe. Auch wenn es sich also nicht um die ersten „genderless“ Awards handelte, wurden doch  erstmalig die Türen für die Überwindung der Zweigeschlechterlogik geöffnet. Die Laudatio in diesem Jahr hielt Asia Kate Dillon, welche*r als nichtbinäre Person selbst um die Einschränkungen im Schauspielfach nur allzu gut weiß: Dillon musste sich selbst erst kürzlich wieder für die Emmy Award-Nominierung zwischen der weiblichen und der männlichen Kategorie entscheiden. Die Wahl fiel auf „Actor“, da dies laut Dillon eine geschlechterneutraleren Ton habe.

Dass Watson als UN-Sonderbotschafterin für Mädchen- und Frauenrechte für dieses thematische Feld offen ist, überrascht nicht. Der Eindruck, dass es sich hier um ein Ausnahme-Setting handelt, dass den eher konservativen oder zumindest unbeweglichen Strukturen Hollywoods reichlich vorauseilt, wurde vielfach benannt (Oder: hier). Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass alle traditionell geschlechtlich neutral gehaltenen Kategorien bislang weibliches Können verunsichtbarten und männliche Expertise zentral setzten. Von trans*- und nichtbinären Stimmen ganz abgesehen. Hier sei auch an die Dauer von Schauspielkarrieren erinnert: Wo Schauspieler bis ins hohe Alter auf unterschiedlichste Rollen zugreifen können, stehen Schauspielerinnen mit zunehmenden Jahren aufgrund ‚mangelnder Jugendlichkeit‘ kaum noch Angebote zur Verfügung. Die Konkurrenz wächst und die Aussicht auf Auszeichnungen schrumpft. Trotzdem: Wie ist die Überwindung der Zweigeschlechtlichkeit nun möglich? Sind es nicht gerade die Leinwand- und Bühnenbranchen, die eine so starke Sogwirkung und Vorbildfunktion haben, dass sie eben diese gesellschaftlichen Bewegungen spiegeln und unterstützen müssten? Sind sie mit ihren fiktionalen Experimentierfeldern nicht die Multiplikationsstätten für identitätspolitische Fragen und deswegen auch die richtigen Proberäume für gesellschaftspolitische Prozesse?

Gegen „Yellow-Facing“

In der Debatte um den Gender-Pay-Gap im Filmgeschäft entlang der Äußerungen von Robin Wright bezüglich der Bezahlung ihrer Rolle als „Claire Underwood“ in „House of Cards“ oder dem Beitrag von Jennifer Lawrence im Lenny-Newsletter wurde die Überwindung der Zweigeschlechtlichkeit in einer schwindelerregenden finanziellen Dimension verhandelt. Dennoch wurde hier klar eine männer-bevorzugende, sexistische Struktur benannt.

Die unter dem Hashtag #OscarsSoWhite absolut notwendige Skandalisierung von weißer Dominanz in Hollywood löste ebenfalls einige Diskussionen aus. Als 2016 in beiden „Best Performance“-Kategorien ausschließlich weiße Männer und Frauen nominiert wurden, kündigten u.a. Spike Lee, Jada Pinkett Smith und Will Smith an, der Veranstaltung fern zu bleiben. Die Fragen am Roten Teppich behandelten nun mehr als nur, wer welche*n Designer*in trägt: Zahlreiche weiße Akteur*innen wurden angehalten, sich zu positionieren. Auch die Kritik an der stereotypen Darstellung „asiatischer“ Figuren durch das „Correcting Yellow Face“-Projekt von Michelle Villemaire brachte eine gehörige antirassistische Politisierung der Entertainment-Branche mit sich.

„Best actor“ ist auch keine Lösung

Die Schnittmenge aus Unterhaltung und Politik ist just der Ort, an dem solche Debatten außerparlamentarisch stattfinden müssen, damit zivilgesellschaftliche Forderungen an die Realpolitik gestellt werden können. Wichtig dabei ist nur, dass nicht der fünfte Schritt vorm zweiten getan wird und die formellen Änderungen den inhaltlichen Prozessen angepasst werden und nicht andersrum. Eine diskrete Re-Androzentrierung darf nicht das Ergebnis solcher Entwicklungen sein. Der Ruf nach einer Überwindung von Geschlechterkategorien braucht einen immanent feministischen Ton, auch um nicht von ökonomistischen Argumenten unterlaufen zu werden.

Eine Folge aus der Zusammenlegung sonst geschlechtergetrennter Kategorien könnte daher sein, vermeintlich geschlechtsneutrale Kategorien wie „Best Director“, „Best Cinematography“ oder „Best Editing“ zur Sichtbarkeit von Frauen und Queers bei den Academy Awards zumindest zeitweise in zwei oder besser noch mehr Subkategorien zu differenzieren. Vielleicht ließe sich auf diesem Wege erstmalig feststellen, dass auch Frauen* eine Oscar-würdige Arbeit an der Kamera leisten können.