Über die Freiheit, nicht zu heiraten. Die Ehe für alle-Blogschau

Feministischer Zwischenruf

Warum seien die Feministinnen so gegen die Ehe?, wunderte sich Josef Isensee im Jahr 1993 in der Neuen Juristischen Wochenschrift. Immerhin sei die Ehe die einzige Rechtseinrichtung mit einer streng durchgesetzten Frauenquote.

Warum seien die Feministinnen so gegen die Ehe?, wunderte sich der Staatsrechtslehrer und Mitglied der Gemeinsamen Verfassungskommission Josef Isensee im Jahr 1993 in der Neuen Juristischen Wochenschrift. Immerhin sei die Ehe die einzige Rechtseinrichtung mit einer streng durchgesetzten Frauenquote. Von einer rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften war man damals weit entfernt.

Knapp ein Vierteljahrhundert später öffnete sich auf einem pinkfarbenen Sesselchen im Maxim-Gorki Theater in Berlin die Tür für die Durchsetzung der „Ehe für alle“. Der jahrzehntelange lesbisch-schwule Kampf für gleiche Rechte wurde am 30.06.2017 mit Erfolg gekrönt. Der Bundestag stimmt mit großer Mehrheit der „Ehe für alle“ zu. Selten gab es so viele Zuschauer*innen für eine 8:00 Uhr Debatte am Freitagmorgen im Deutschen Bundestag.

Die Kritik der Keimzellentheoretiker*innen, die in der ehelichen Verbindung von Mann und Frau den Ursprung des Staates auszumachen glauben, ging, im Regenbogenkonfetti und 83 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung zur „Ehe für alle“, unter und wird hier auch nicht verlinkt. Das Argument hat ohnehin an Überzeugungskraft eingebüßt, je weniger Ehe und Kinderkriegen etwas miteinander zu tun haben. Die verfassungsrechtliche Kontoverse über die Zulässigkeit der Eheöffnung für alle Geschlechter und was die Mütter und Väter sich wohl unter dem Begriff Ehe im Jahr 1949 vorgestellt haben, kann man im Verfassungsblog bei Mathias Hong nachlesen.

Prof. Dr. Maria Wersig ist Juristin und Politikwissenschaftlerin. Sie unterrichtet Sozialrecht an der Fachhochschule Dortmund und forscht und publiziert zu sozial- und geschlechterpolitischen Themen und den Schnittstellen von Sozial- und Familienrecht. Sie ist Mitglied des Bundesvorstands des Deutschen Juristinnenbundes.

 

Ist mehr Staat für alle wirklich eine Befreiung?, fragt Tove Tovesson beim Missy Magazine und bedauert, dass sich emanzipatorische Bewegungen in einer Selbstverständlichkeit mit „gleiche[n] Rechte[n] als Minimalkonsens“ erschöpfen. Also lieber Ehe für niemanden oder buntes, queeres Leben, das sich nicht in rechtliche Schubladen packen lässt. Wobei die Freiheit, nicht zu heiraten, mit der Ehe für alle ja quasi miterkämpft, aber eben nicht die staatliche Bevorzugung der Ehe gegenüber anderen Lebensformen beendet wurde.

Im Freudentaumel des Etappensieges nach der historischen Abstimmung wurde denn auch, so munkelt man, der Kampf für soziale und politische Rechte von Volker Beck in seiner Rede während der abendlichen Feier im Bundestag eingefordert. Sich für andere stark machen und für die Rechte von Unterdrückten eintreten, sei jetzt angesagt, soll Beck gesagt haben. Das ist großartig und erinnert mich an den wunderbaren Film „Pride“, der Solidarität und der Verknüpfung von Anerkennungs- und ökonomischen Kämpfen ein Denkmal setzt. Es ist eine gute Idee, in Zukunft soziale Rechte stärker in den Fokus zu nehmen und gemeinsam dafür einzutreten.

Zurück zum Recht: Kann das Familienrecht mit dieser lawinenartigen Entwicklung schritthalten? Eine heftige Kontroverse zu dieser Frage tobte auf dem JuWiss-Blog. Ja, schreiben Dana-Sophia Valentiner und Valérie v. Suhr und sprechen sich für Reformen aus, die gleichgeschlechtliche Ehen und Mehrelternschaften umfassend berücksichtigen. Das Familienrecht ist etwas angestaubt, hier erzeugt die „Ehe für alle“ noch mehr Reformdruck. Nicht alle Details des neuen Eherechts wurden auch in das übrige Familienrecht, wie das Abstammungsrecht übersetzt. In § 1592 Nr. 1 BGB steht auch in Zukunft immer noch, dass „Vater“ eines Kindes ist, wer zum Zeitpunkt der Geburt mit der „Mutter“ (= der gebärenden Mutter) verheiratet ist. Ein Blick in andere europäische Länder wie Österreich oder Schweden, so Valentiner und v. Suhr könnte Inspiration für die geschlechtsneutrale Formulierung der Regelung bieten. Die Ehefrau der gebärenden Mutter sollte ab Geburt Co-Elternteil sein und nicht auf das Adoptionsrecht verwiesen werden. Es bleibt also noch viel zu tun, unter anderem was die gleichen Rechte auf Familiengründung und ihre rechtliche Anerkennung für lesbische Paare angeht. Auch die reproduktiven Rechte und die Regulierung der Reproduktionstechnologien, wie der gleiche Zugang zur medizinisch assistierten Fortpflanzung mit Samenspende, sollten dabei in den Blick genommen werden.

Bald feiern wir 100 Jahre Frauenwahlrecht. Also: Was man in einigen Jahrzehnten als Selbstverständlichkeit ansehen wird, wurde immer unter großem Einsatz erkämpft. Das einmal nur verschiedengeschlechtliche Paare heiraten konnten, wird zukünftigen Generationen vielleicht genauso seltsam vorkommen, wie der Ausschluss von Frauen aus dem politischen Raum. Was in dieser Welt wohl noch alles möglich sein wird? Es liegt an uns, sie zu gestalten.