Während wieder über Ostdeutschland und Mauerfall gesprochen wird, macht der aktuelle Zwischenruf auf die (post-)kolonialen Verbrechen Deutschlands in Namibia aufmerksam. Ein Thema, das auch "uns" Feminist*innen angehen muss.
Am 5. Februar 2018 war die Berliner Mauer so lange weg, wie sie stand: 28 Jahre, 2 Monate und 26 Tage. Einigen Medien war das eine Meldung wert. Dass das Jahr des Mauerfalls auch das entscheidende Jahr war, den fast hundertjährigen deutschen Kolonialismus in Namibia zu beenden, blieb jedoch nahezu unbeachtet. Dabei forderten Herero-Vertreter*innen am 26. Januar 2018 mit Nachdruck die Aufarbeitung des von Deutschen zwischen 1904 und 1908 verübten Völkermords an den Herero und Nama. An dieser sollten neben namibischen Regierungsrepräsentant*innen auch die Nachfahren der Ermordeten beteiligt werden. Doch die öffentliche Aufmerksamkeit richtete sich darauf, die vermeintliche Befreiung Ostdeutschlands zu feiern oder auch zu beweihräuchern. Darüber wurde die Verantwortung für die kolonialen Kriegsverbrechen in Namibia einmal mehr verschwiegen.
Mich ärgert diese Ignoranz ungeheuer: Ist es verdammt nochmal nicht die Verantwortung von uns weißen deutschen Feministinnen, dieses Schweigen zu durchbrechen? Wollen wir es wirklich allein chrismon überlassen, uns darüber aufzuklären, dass es ein Treffen der Linksfraktion mit den Herero-Vertreter*innen gab? Als in der DDR sozialisierte Frau* will ich auch nicht akzeptieren, dass mir die Geschichte der durch die DDR in den 1970er Jahren nach Güstrow rekrutierten Schwarzen Kinder aus Namibia als Heldengeschichte der Solidarität und schließlich erfolgreiche Wiedereingliederung ins postkoloniale Namibia erzählt wird. Das tut zum Beispiel der Film „Zeitreise: Die DDR Kinder aus Namibia“ des NDR.
Dieser kleine, vermeintlich gut gemeinte Film hat mich fertiggemacht. Er beginnt mit einer vor Klischees strotzenden Einstellung auf ein Schwarz-Weiß-Foto, über das digital animierte Schneeflocken fallen. Wie wohl die Schwarzen Kinder Schnee erlebt haben, wird gefragt. Die Migrationspolitik der DDR wird auf den Geschmack von Schnee eingeschmolzen und damit infantilisiert und romantisiert. Gleichzeitig werden die Kinder in der Schneelandschaft Ostdeutschlands als fremd und anders markiert. Es folgen eingesprochene Beschreibungen des Heimalltags, die die Hilfslosigkeit und Armut der Kinder überhaupt erst konstruieren. Der Film wiederholt damit die rassistische Rhetorik, die, wie Maisha Auma schreibt, die DDR im Versuch, sich mit dem Befreiungskampf Namibias zu solidarisieren, reproduzierte.[1] Die weißen Lehrerinnen werden hingegen durch die Erfahrung, die Kinder zum Beispiel in Englisch, statt Russisch zu unterrichten, als sich emanzipierend eingeführt.
Ganz schlimm ist das Ende des Films. Mattheus Ndineti, der für den Film interviewte Zeitzeuge, steht vor der Kamera und beschwört, dass er sich, nachdem er kurz nach dem Fall der Mauer zusammen mit den anderen Kindern nach Namibia abgeschoben wurde, „ganz sehr wohl fühlen“ würde. Mehr erfahren wir nicht über ihn, wohl aber dass die DDR alles richtig gemacht hat: Es sei ein Glück für die Kinder, nach dem Mauerfall zurückgekehrt worden zu sein.
Jetzt, wo sich andeutet, dass das Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wieder an die CSU fallen könnte, ist es umso dringlicher, den entwicklungspolitischen Humanismus-Rassismus, den solche Filme aufwärmen, zu zerlegen.
Dies versucht zum Beispiel Katrin Winklers jüngst in der Galerie am Körperpark gezeigte Arbeit „towards memory“. Die 2-Kanal-Videoinstellation überblendet die kolonialen Verbrechen Anfang des 20. Jahrhunderts mit der postkolonialen Migrationspolitik der DDR. Die Stimmen der fünf Frauen Monica Nambelela, Lucia Engombe, Fatima Pedru, Esther Utjiua Muinjange, die als Kinder ab 1979 während des Namibischen Unabhängigkeits- und Anti-Apartheid-Kampfs in die damalige DDR gesandt wurden, bilden das Voice-Over. Ihre Stimmen verwandeln sich die Geschichte Namibias an, ohne durch den Kamerablick vorgeführt zu werden.
Wir brauchen mehr solcher Darstellungen. Repräsentationspolitiken, wie sie in dem NDR-Film wiederhergestellt werden, dürfen genauso nicht für den Benefit unserer (Lehrerinnen-)Karrieren erfolgen, wie Rassismen im Kampf gegen Sexismus und sexuelle Gewalt nicht unserem Namen artikuliert werden dürfen. Die „Emanzipationsdampfmaschine Kolonialismus“ [2] gehört demontiert. Kein Feminismus ohne Antirassismus!
Hinweis: Anlässlich des 12. Gedenkmarsch zur Erinnerung an die afrikanischen Opfer von Versklavung, Menschenhandel, Kolonialismus und rassistischer Gewalt am 24. Februar 2018 findet am 15. Februar 2018 ein Workshop zur Gestaltung von Bannern und Plakaten an der Universität der Künste Berlin statt.
Do, 15.2.2018
13.00-20.00 Uhr
Hardenbergstr. 33, Raum 101
[2] María Do Mar Castro Varela (2017): Ausstellungskatalog Reframing Worlds. Mobilität und Gender aus postkolonial, feministischer Perspektive