Sorgearbeit und die Vereinbarkeitsfrage wird zunehmend auf Migrantinnen ausgelagert. Dabei werden tradierte Geschlechterrollen verfestigt.
Zwei Artikel zu diesem Thema haben dabei meine Aufmerksamkeit erregt, vor allem was die Frau*isierung und die Migrantisierung der Sorgearbeit betrifft.
Der erste Artikel von Rudi Novotny, erschienen am 16.08.2017 auf Zeit Online, nennt sich ketzerisch „Die Schuld der Mütter“. Es geht um die Elternzeit, die unter anderem als „Frauenzeit“ definiert wird: „Praktisch läuft die beliebteste Elternzeitvariante so ab: Nach Geburt des Kindes nimmt der Vater einen Monat Vaterzeit, um die Mutter zu unterstützen.“ Erstes „Aha!“: Mütter werden während der Elternzeit „unterstützt“, was gut für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sein soll.
Beim zweiten Artikel geht es um Migration und Sorgearbeit und deren Zutun für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Veröffentlicht in der FAZ am 06.02.2018, unter dem Titel „Migrantinnen entlasten Familien“. Die Eingangsthese lautete: „Lieber Kinder oder lieber Karriere? Warum ausgerechnet die Zuwanderung dazu beitragen könnte, dieses Entscheidungs-Dilemma für Frauen abzumildern.“ Passend dazu wird eine Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vorgestellt, die darauf hindeutet, dass „Zuwanderung dazu beitragen kann, diesen Entscheidungsdruck abzumildern. Denn vor allem Migrantinnen arbeiten häufig in der Kinderbetreuung, der häuslichen Altenpflege oder übernehmen auch klassische Hausarbeit – und können so einheimische Familien entlasten.“ Zweites „Aha!“: Migrantische Sorgearbeiterinnen entlasten einheimische Familien. Soll auch gut sein für die Vereinbarkeitsfrage. UND obendrauf lohnt sich das für Deutschland, weil es Leistung und Produktivität steigern würde und der demographische Wandel (Erhöhung der Geburtenrate und mehr einheimische Kinder?) wäre auch gestoppt.
Zum einen irritiert mich immer wieder, dass Reproduktions- und Sorgearbeit oft als eine typische Arbeit der Frau* zementiert wird. Frauen als die geborenen Sorge- und Reproduktionsarbeiterinnen zu beschreiben und sie als Mutter per se zu bezeichnen, folgt (vor allem im westlichen Kontext) einer langen patriarchalen Tradition und hat heutzutage, auch in progressiven Kreisen, ein „Aber wir meinen es nicht so, weil wir emanzipiert sind“- Gewand.
Zum anderen ärgert mich sehr, dass Frauen*-Migration als „Lösung“ betrachtet wird, damit die „deutsche“ Frau*, was auch immer das bedeutet, reproduktive Freiheit(en) erlangt, ergo (weiter) gebären kann und trotzdem produktive Arbeit leistet. Die Sorgearbeit auf Migrantinnen* zu verlagern, bedeutet auch, dass reproduktive Arbeit eine Sache der Frau* bleibt. Anderseits wird nicht benannt, dass Sorgearbeit als Dienstleistung (Hand- und Emotionsarbeit) Erwerbstätigkeit ist, also produktive Arbeit.
Wo stehen Feminist*innen, wenn wir diese patriarchale, neoliberale Praxis migrantische Frauen* als „Lösungsobjekte“ zu verstehen, mittragen? Intersektionale Perspektiven von Differenz- und Ungleichheitskategorien werden außer Acht gelassen. Der Schutzauftrag, vor allem bei illegalisierter Sorgearbeit, kaum wahrgenommen.
Ich fange an, mir viele Fragen zu stellen:
- Muss sich die migrantische Sorgearbeiterin* nicht zwischen Familie und Beruf entscheiden?
- Werden in Deutschland ansässige Familien von migrantischen Sorgearbeiterinnen nicht als einheimische Familien definiert?
- Wer entlastet die Migrantinnen*?
Ich bin konsterniert, die Begriffe wiederholen sich in meinem Kopf: Frau*, Migrantin*, Kinder, Mutti*, gebären, Zuwanderung, Prekarisierung, Marginalisierung, Teufelskreis, schlechte Bezahlung, Armut, Lösung, Familie, Belastung, Entlastung, Sorge. Ich denke darüber nach, was das alles für mich bedeutet, als Frau, als Migrantin, als Mutter, als Sorgearbeiterin, als Berufstätige, als Wissenschaftlerin.
Ich erinnere mich daran, wie oft (sehr!) ich gefragt werde, ob ich berufstätig bin, Kinder habe und einen Vater, der unterstützt. Dann frage ich, was mit Unterstützung gemeint sei. Die Antwort gebe ich manchmal gleich mit: „Nein, das würde ich nicht Unterstützung nennen, weil das bedeuten würde, dass ich DIE Hauptverantwortliche für die Sorgearbeit wäre. Und ja, es gibt einen Vater dazu und wir beide sind für die Kinder verantwortlich, geteilte Arbeit sozusagen, es sind ja auch UNSERE Kinder.“ Umso ungeduldiger werde ich, wenn der Schlusssatz kommt: „Sie haben ja einen tollen Mann, wenn er Sie zu Hause so gut unterstützt“. Nein, er macht seinen Job, wie ich auch meinen mache. Über das wesentliche haben wir nicht gesprochen: innerfamiliäre, teils konflikthafte, Strategien und Arrangements der reproduktiven Arbeit, geschweige denn der, über den immanenten und ständigen Kampf mit dominanten patriarchalen Denkweisen und Strukturen.
Ich weiß, ich weiß, ich bin ungeduldig geworden. Aber ich mag das nicht mehr hören, dass ich mich als Frau selbstverständlich und hauptsächlich um „die Kinder, Familie und Haus“ kümmern müsste.
Die kleine Schublade Frau=Mutter ist als Frau, Migrantin, Mutter, Sorgearbeiterin, Berufstätige, Wissenschaftlerin etc. nicht meine. Meine eigene Entscheidung. Und im Übrigen ist Familie mehr als Kinder und Eltern.
Sorgearbeit geht über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hinaus. Ein Lösungsansatz wäre das „Entscheidungs-Dilemma“ nicht der Frau* überzuhelfen, weil sie Frau* ist. Auch wird Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht mit migrantischer Sorgearbeit gelöst. Stattdessen sollten wir ernsthaft über tradierte, gesellschaftliche Normierungen und traditionelle Geschlechterrollen und deren entsprechenden klassischen Rollenbildern diskutieren.
Sorgearbeit ist eine gesellschaftliche Verantwortung und kein individuelles Anliegen.