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Was ist Feminismus?

Feminismus ist vielfältig und unterscheidet sich. Grundanliegen aller feministischen Strömungen sind die Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit für alle Menschen, die im öffentlichen wie auch im persönlichen Leben verwirklicht werden soll. Ihre Vielfalt bietet Ansätze und Potentiale für die Gestaltung des gegenwärtigen tiefgreifenden sozialen Wandels.

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Feminismus heißt auch immer in Bewegung sein.

Feminismen werden im Plural gedacht und gelebt. Denn sie bilden vielfältige Ansätze zur Geschlechter- und Gesellschaftskritik. So beziehen sie sich auf Gleichheit in der Bildung, im Beruf und in Beziehungen und auf individuelle Selbstbestimmung über Körper, Sexualität und das Gebären. Deswegen sollte man eher von Feminismen sprechen. Sie setzen sie sich für Veränderungen der Geschlechterverhältnisse wie auch der gesellschaftlichen Ungleichheit generell ein.

Der Begriff des Feminismus entstand erst im späten 19. Jahrhundert. Er setzte sich in der internationalen Welle der neuen Frauenbewegungen ab 1968 weltweit als Leitbegriff durch.

Um die Unterschiede zwischen Feminismen zu vergleichen und zu verstehen, sind drei Leitfragen wichtig:

  1. Welches Bild oder Verständnis von Geschlecht wird vertreten (Geschlechterdimension): Wird die universale Gleichheit oder die Differenz von Frauen und Männern betont? Oder wird Geschlecht vor allem als kulturell geprägt und gestaltet – als ‚sozial konstruiert’ – verstanden? Allerdings zeigen Feminismen häufig Mischungen zwischen diesen Geschlechterbildern.
  2. Welches Bild der bestehenden Gesellschaft und den damit verbundenen Problemen wird zugrunde gelegt (Gesellschaftsdimension)? Beispiele sind das Bild der patriarchalen Männergesellschaft im radikalen Feminismus oder der kapitalistischen Gesellschaft im sozialistischen Feminismus.
  3. Welche weiteren mit Geschlecht wechselwirkenden Ungleichheiten wie u.a. nach Klasse, ‚Rasse‘/Ethnizität werden als relevant gesehen (intersektionale Dimension)?

Daran anknüpfend wird nun eine knappe Übersicht über Feminismen gegeben.

Liberaler Feminismus

Der liberale Feminismus kritisiert die geschlechtliche Ungleichheit in Gesellschaft und Demokratie und will Gleichheit unabhängig vom Geschlecht im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft erreichen. Er hat kein ausgearbeitetes Genderkonzept: Geschlecht wie auch Homosexualität erscheinen eher als persönliche Angelegenheit, die die Chancen in Beruf und Politik nicht beeinträchtigen sollte. Kernthemen sind Antidiskriminierung, berufliche Gleichstellung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Eltern. Teils verwendet der liberale Feminismus ökonomische Argumentationen wie die Verschwendung von weiblichem Humankapital aufgrund von diskriminierenden Sperren zu qualifizierten Berufen. Deswegen wurde er aufgrund einer Nähe zum Neoliberalismus kritisiert.

Differenzfeminismus

Die Differenzfeminismen setzen an der Betonung des Geschlechtsunterschieds an. In Europa sind sie von der romantischen Gegenbewegung zur Aufklärung beeinflusst und beziehen sich auf Gegenwerte zum ‚männlich zentrierten’ Rationalismus wie etwa auf Liebe oder die eigene nationale Kultur. Eben aufgrund des angenommenen Geschlechtsunterschieds beanspruchten bürgerliche Differenzfeminismen eigene unverzichtbare Aufgabenbereiche der Frauen im ‚modernen Männerstaat‘: Frauen, die als potenzielle Mütter für Liebe, Fürsorge und Frieden stehen, müssten diese Werte in den modernen Männerstaat einbringen. Eine Richtung des ökologischen Feminismus bezieht sich ebenfalls auf die Geschlechterdifferenz, nach der Frauen der Natur nahestehen und sich gegen deren patriarchalisch-kapitalistische Ausbeutung wendeten.

Radikaler Differenzfeminismus

Der radikale Differenzfeminismus legte das Patriarchat als System der Männerherrschaft über Frauen sowie untergeordnete und jüngere Männer zugrunde. Diese Herrschaft wird durch ‚Sexualpolitik‘, u.a. die Kontrolle der weiblichen Sexualität und Gewalt gegen Frauen, aufrechterhalten. Er betont die Geschlechterdifferenz und setzt auf weibliche Solidarität und Widerstand.

Konservativer Feminismus

Auch der konservative Feminismus geht eher von der Geschlechterdifferenz aus. Im Unterschied zu früher sieht er heute Frauen nicht vor allem als Mütter und Hausfrauen, sondern setzt sich für Chancengleichheit im Beruf, auch im Management, in Medien und in der Politik, ein. Dabei argumentiert er teils differenztheoretisch mit weiblichen Fähigkeiten in Kommunikation und Beziehungen, die Wirtschaft und Politik Vorteile bieten. Diese drei Spielarten des Feminismus thematisieren die intersektionale Ungleichheit nach Geschlecht, Klasse, Migration und Sexualitäten kaum.

Sozialistischer Feminismus

Der sozialistische Feminismus legt seinem Geschlechterbild die Gleichheit zugrunde. In seinem Gesellschaftsbild kritisiert er strukturelle Ungleichheiten nach Klasse, Geschlecht und ‚Rasse’  in der kapitalistischen Gesellschaft. Er brachte  den Ansatz der menschlichen Reproduktion, also der Geburt und Versorgung der Menschen, ein. Unter Reproduktionsarbeit wird heute die Versorgung (Care) von Menschen – und das heißt auch der gesellschaftlichen Arbeitskräfte – verstanden. Diese unentlohnte Carearbeit außerhalb des Marktes wird im neopatriarchalen Kapitalismus qua Geschlecht den Frauen zugewiesen. Zugleich verkaufen in der Lohnarbeit (Produktion) Männer wie Frauen ihre Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt. Teile der Carearbeit werden in gering entlohnter irregulärer Arbeit zum Beispiel von EinwanderInnen im Haushalt geleistet, wobei Geschlecht, Klasse und Migration intersektional zusammenwirken.

Im Unterschied zum sozialistischen Feminismus setzt der anarchistische Feminismus nicht vor allem auf staatliche Organisation von Gleichheit, sondern auf das freie gleichheitliche Zusammenleben aller Geschlechter und einen allgemeinen Eros in der Gemeinschaft.

Transformativer Feminismus

Auch der transformative Feminismus sieht geschlechtliche Ungleichheit und Gewalt in gesellschaftlichen Strukturen begründet, die er verändern will. Der globale oder neoliberale Kapitalismus wird aufgrund der sich vertiefenden intersektionalen Ungleichheiten und seiner Kooptation von hochqualifizierten Frauen kritisiert. Eine neue breite Richtung bildet der Care-Feminismus, der eine Neuverteilung und Anerkennung der unbezahlten und bezahlten Versorgungsarbeit fordert. Angesichts der Krisen der Versorgung wegen des demografischen Übergangs und des neoliberalen Kapitalismus wird er zunehmend relevant.

Öko-Feminismus

Der ökologische Feminismus kritisiert die Ausbeutung von Natur und Frauen im patriarchalen Kapitalismus. Während eine Strömung eher differenztheoretisch argumentiert, hinterfragen neuere Richtungen auch die Konstruktion vergeschlechtlichter Naturverhältnisse.

Der intersektionale Feminismus entwickelte sich aus dem Schwarzen Feminismus, der in den USA und Europa den Rassismus in der Gesellschaft, auch in der Frauenbewegung, kritisierte und die Unterdrückung nach ‚Rasse‘, Klasse und Geschlecht thematisierte. Gleichzeitig beteiligte sich in Südafrika der Schwarze Feminismus führend am Kampf gegen den Apartheidstaat und forderte eine nichtrassistische und nichtsexistische Gesellschaft. Die südafrikanische Verfassung verbietet als erste der Welt die Diskriminierung nach Sexualität, Rasse und Geschlecht. Im intersektionalen Feminismus werden die Wechselwirkungen zwischen Ungleichheitsstrukturen wie Klasse, ‚Rasse‘, Ethnizität, Begehren und Geschlecht herausgearbeitet.

Postkolonialer Feminismus

Der postkoloniale Feminismus kritisiert die Geschlechterverhältnisse im Kontext der globalen Machtverhältnisse und arbeitet die Ungleichheiten und die Gewalt der postkolonialen Welt heraus. Eine Richtung fokussiert die Unterschiede zwischen ‚weißen‘ Männern und Frauen und den weiterhin untergeordneten Subalternen im Süden. Eine weitere Richtung zeigt die Ungleichheiten zwischen aber auch die Verflechtungen der Geschlechterverhältnisse in den Metropolen und den postkolonialen Gesellschaften in ihren auf. Allmählich bilden sich Geschlechtertheorien in globalem Maßstab heraus, die die Theorien und Erfahrungen in einer postkolonialen, ungleichen Welt zusammenführen.

Während die bisher aufgeführten Richtungen Geschlecht eher in sozialen Strukturen verorten, fokussieren konstruktivistische Ansätze vor allem die kulturelle Dimension von Gender.

Diskurstheoretischer Feminismus

Der diskurstheoretische Feminismus geht im Anschluss an Judith Butler davon aus, dass Geschlecht und seine Machteffekte in Diskursen hergestellt und in der alltäglichen Darstellung, also in performativen Akten, wirksam werden. Er vollzieht eine radikale Ideologiekritik an dem biologistischen Genderwissen, an affirmativen Identitätskonzepten von ‚weiblich/männlich‘ und an der Heteronormativität. Letztere wird als vorbewusste normative Privilegierung von Heterosexualität (nicht von aktuellem heterosexuellem Verhalten) verstanden. Sie produziert Machteffekte von Normalisierungen, von Einschlüssen und Ausschlüssen. Der Intersektionalitätsansatz wird auf die kulturellen Repräsentationen und Positionalitäten verschiedener Gruppen (z.B. ‚weißer‘ und Schwarzer Frauen) bezogen. Die sozialen Strukturen und Herstellungsprozesse dieser Ungleichheiten werden weniger ausgearbeitet.

Queer-Feminismus

Der queere Feminismus hat davon wesentliche Impulse erfahren, insbesondere in seiner radikalen Kritik an Heteronormativität und vorigen Identitätspolitiken etwa von Lesben und Schwulen. Er untersucht Ausschlüsse, Grenzziehungen und auch neue Einschlüsse vor allem entlang des LGBTTI-Spektrums und betrachtet queere Subjektivierungen und Praktiken, teils auch in intersektionaler Sicht.

Für die USA und Großbritannien wird eine dritte Welle des Feminismus ab Mitte der 1990er-Jahre angenommen, während man in Deutschland von Netzfeminismus spricht. Diese Richtungen orientieren sich eher intersektional, heteronormativitätskritisch und queer. Körper und Sexualität, Konsumkritik, sexuelle Gewalt in der sexuellen Kommerzialisierung, Antirassismus und Internet bilden zentrale Themen.

Wenn sich auch die Feminismen unterscheiden, so teilen sie als Grundanliegen die Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit für alle Menschen, die im öffentlichen wie auch im persönlichen Leben verwirklicht werden soll. Sie beziehen Freiheit und Solidarität nicht allein auf politische Programme, sondern auf Menschen mit ihren Köpfen und Körpern und ihren Verschiedenheiten: auf Mütter/Eltern, auf gleichgeschlechtlich Liebende, auf Mädchen/Jungen, auf EinwanderInnen und Einsässige und auf Erwerbstätige wie unbezahlt Versorgende. Eben ihre Vielfalt bietet Ansätze und Potentiale für den gegenwärtigen tiefgreifenden sozialen Wandel.

Zum Weiterlesen:

Connell, Raewyn. 2017. Treffen am Rande der Angst. Feministische Theorie im Weltmaßstab. In Geschlecht im flexibilisierten Kapitalismus? Neue UnGleichheiten, Hrsg. Ilse Lenz, Sabine Evertz und Saida Ressel, 9–30. Wiesbaden: Springer VS.

Disch, Lisa, und Mary Hawkesworth, Hrsg. 2016. The Oxford Handbook of Feminist Theory. New York: Oxford University Press.

Hark, Sabine, und Paula Villa. 2017. Unterscheiden und Herrschen. Ein Essay zu den ambivalenten Verflechtungen von Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart. Bielefeld: transcript.

Lenz, Ilse, Hrsg. 2010. Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. 2., erw. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Lenz, Ilse 2018: Feminismus: Denkweisen, Differenzen, Debatten. In: In: Kortendiek, Beate, Riegraf, Birgit, Sabisch, Katja Hrsg.: Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Wiesbaden: Springer.

Lenz, Ilse 2018: Internationale und transnationale Frauenbewegungen. Differenzen, Vernetzungen, Veränderungen. In: Kortendiek a.a.O..

Lenz, Ilse 2018: Von der Sorgearbeitbis #MeToo. Aktuelle feministische Themen und Debatten in Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 68, 2018 Nr. 7, S. 20-27.

Lorber, Judith. 2011. Gender Inequality. Feminist Theories and Politics. 5. Aufl. Oxford u.a.: Oxford University Press.

Offen, Karen. 2000. European Feminisms 1700–1950. Stanford: Stanford University Press.

Winker, Gabriele. 2015. Care Revolution. Schritte in eine solidarische Gesellschaft. Bielefeld: transcript.

Wizorek, Anne. 2014. Weil ein #Aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus von heute. Frankfurt a. M.: Fischer.