Annemarie Rufer, bis März 2018 Vorstandsvorsitzende von pro familia Landesverband Bayern e.V. spricht mit Gitti Hentschel über antifeministische und rechtspopulistische Angriffe auf Beratungseinrichtungen und Soziale Arbeit und wie pro familia damit umgeht.
Zu Beginn des Gesprächs ist es Annemarie Rufer wichtig festzustellen, dass pro familia keine explizit feministische Organisation ist. Frauen und Männer sind Mitglieder, in Funktionen und als Mitarbeitende. Viele davon sind auch Feminist*innen. Deren Positionen lassen sich in der Gründungsgeschichte nachvollziehen (v.a. "Weg mit dem § 218!") und sind zu erkennen in den Grundsätzen in der Arbeit und den Haltungen. Sie finden sich aber auch z.B. in den Beschlüssen zu einer gendergerechten Sprache bzw. in einer Sprache wieder, die sexuelle Vielfalt ausdrückt. Die Satzung des pro familia Bundesverband gibt vor, dass die Vorsitzende eine Frau sein muss.
Annemarie Rufer betont des weiteren, dass Angriffe gegen pro familia Bayern nicht nur aus rechtspopulistischen Kreisen kommen, sondern auch die in Bayern regierende CSU teilweise selbst fundamentale Positionen vertritt. Nach Einschätzung von Frau Rufer zeigt die CSU sich in ihrer Politik anfällig für kritische Anfragen entsprechender Couleur.
Erleben Sie im Zuge rechtspopulistischer Aktivitäten gegenüber feministischen Errungenschaften Angriffe auf Ihre Einrichtung, einzelne Beratungs-/ Anlaufstellen, oder sind Mitarbeiter*innen denen ausgesetzt? – Wenn ja, in welcher Weise besonders?
Angriffe gegen uns stehen beinahe immer im Zusammenhang mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch. Wir haben den Begriff „Lebensschützer“ aus unserem Vokabular gestrichen. Sie schützen kein Leben, sie sind schlicht und ärgerlich Abtreibungsgegner.
In den meisten Fällen sind unsere Beratungsstellen Ziel täglicher oder monatlicher sog. "Wachen für das Leben" oder "Gehsteigberatungen". Sie beten für „getötete“ Kinder und für die am „Töten“ Beteiligten. Diese Aktionen behindern Mitarbeiter*innen, das martialische Polizeiaufgebot bei Gegendemos verstört auch die Nachbarschaft. Ratsuchende werden verunsichert, erheblich belästigt und in ihrem Recht auf ungehinderten Zugang zum Schwangerschaftsabbruch massiv beschnitten. Ihnen werden vor dem Eingang zur Beratungsstelle oder Praxis Plastikpüppchen von Embryos oder Abbildungen zerstückelter Föten entgegengehalten. Die Gerichtsurteile, die ihnen dieses verwehren würden, sind für uns alles andere als zufriedenstellend. Die Gesetzeslage gäbe nicht mehr her, heißt es. Unsere "Gegenwehr": Da "Wachen" mit mehr als drei Personen angemeldet werden müssen, vereinbaren wir dann eben zu dem Zeitpunkt keine Beratungen mit den Frauen. Gelegentliche Mails oder Flyer, die wir in den Briefkästen an Mitarbeiter*innen und/oder an die Institution finden, werden ignoriert.
Hinter all diesen Aktionen steht der Angriff auf eine freie, enttabuisierte Sexualität, die wir als gelebte Quelle von Lebensmut und Lebensfreude sehen. Und wenn schon Protest, dann sollten Zielscheibe von Demos und Kritik der Abtreibungsgegner die Gesetzgebenden sein, und nicht diejenigen, die die Gesetze ausführen!
Rechtspopulistische Gruppierungen versuchen gezielt, Einfluss auch auf die jeweilige Landespolitik zu nehmen – mit welchen Auswirkungen, evtl. auch auf Ihre Arbeit?
Ja, das passiert in Bayern sehr wohl.
Die rechtspopulistische Gruppe "Demo für alle" um Hedwig von Beverfoerde hat z.B. 2016 durch Gespräche mit dem damaligen Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle Einfluss auf die “Richtlinien für die Familien- und Sexualerziehung in den bayerischen Schulen” genommen und einen vorübergehenden Stopp der eigentlich bereits verabschiedeten Richtlinien bewirkt. Diese homophobe und erzkonservative Truppe wollte verhindern, dass im Unterricht die Vielfalt sexueller Identitäten thematisiert wird. Unser Selbstverständnis, die Chance die eigene Sexualität zu reflektieren, seine sexuelle Identität zu finden und zu ihr zu stehen, wird dadurch entscheidend behindert.
Wir haben uns daraufhin dem Münchner "Aktionsbündnis Vielfalt für Alle" angeschlossen und sind Erstunterzeichnende eines Briefes an das bayerische Kultusministerium gewesen. Wir haben erreicht, dass letztendlich eine - nur leicht veränderte - Richtlinie herausgegeben wurde.
Aktionen der sogenannten Besorgte Eltern – für uns sind sie eher ‘besorgniserregende Eltern’ - führen zu Angriffen und Anfragen auch von öffentlicher Seite zu Zielen und Qualität unserer Angebote im Bereich der sexuellen Bildung in Kindergärten, Schulen und Jugendeinrichtungen. Wir finden viel Zustimmung, wenn wir unsere Ziele erklären können: Wir betreiben keine "Frühsexualisierung", wie uns unterstellt wird, sondern wir vermitteln altersgerecht verantwortungsvolle sexuelle Aufklärung. Und die verhilft jungen Menschen zu Wissen über Sexualität, um sich souverän und gelassen ihrer jeweiligen Entwicklungsphase entsprechend zu verhalten. Insofern wirkt unsere Arbeit auch präventiv gegen Grenzüberschreitungen oder gar sexualisierte Gewalt. Das sollte eigentlich auch die Besorgten Eltern interessieren, wenn sie wirklich besorgt wären. So schüren sie Ängste und schaffen Verunsicherung. Ob das den Kindern gut tut?
Dennoch hat die bayrische Sozialverwaltung uns vor einigen Jahren schon die Finanzierung von Maßnahmen der Sexualpädagogik in Schulen versagt. Es würde zu viel Personal kosten. Nun ist den Schulen untersagt, für die 4. Klassen externes sexualpädagogisches Personal heranzuziehen. Beides widerspricht den Vorgaben zur Schwangerenberatung, deren Aufgabe es ist, Aufklärung und Prävention zu betreiben.
Wie gehen Sie als Einrichtung damit um? Wie die einzelnen Mitarbeiter*innen? Was sind die bevorzugen Reaktionen? Und haben Sie als Einrichtung gezielt Gegenmaßnahmen und Gegenstrategien entwickelt?
Demos der ‘besorgniserregenden Eltern’ beantworten wir mit öffentlichen Gegenveranstaltungen - im Verbund mit der demokratischen Zivilgesellschaft. Meist macht es keinen Sinn auf rechtspopulistische Behauptungen einer fakten-resistenten Gruppe mit rationalen Argumenten zu reagieren. Das verschafft diesen Gruppen nur unangemessene Aufmerksamkeit, verändert aber ihre Positionen nicht. Wirkungsvoller ist es, unsere Arbeitsansätze und Haltung öffentlich zu kommunizieren. Z.B. auch mit lebendigem "Storytelling", in dem wir von Menschen mit ihren Erfahrungen/Problemen und ihren Lösungen erzählen.
Natürlich bleibt es nicht ohne Folgen auf Einrichtungen und Mitarbeiter*innen, wenn sie bedroht und belästigt werden. Wir als Verband müssen uns schützend vor sie stellen, z.B. in Gerichtsprozessen und bei Mahnwachen.
Angriffe zwingen uns zur schärferen Zuspitzung unserer Ziele, fordern uns heraus und stärken uns, weiter mit voller Kraft zu kämpfen: Für eine selbstbestimmte Sexualität.
Pro Familia hat sich im Zuge der feministischen Bewegungen der 70er Jahre ff. aktiv für die Liberalisierung des damaligen § 218 der BRD eingesetzt, auch als Protest gegen die Bevormundung von Frauen und die Vereinnahmung des weiblichen Körpers durch die Politik. Hat diese Geschichte für Sie heute noch Bedeutung?
Der § 218 - und jetzt aktuell der § 219a mit dem Verbot von angeblicher Werbung für den Schwangerschaftsabbruch - ist für uns immer noch eine Herausforderung. Seit den 70er Jahren hat sich der § 218 verändert, so wie auch die Gesellschaft eine andere geworden ist. Geblieben aber ist nach wie vor eine nicht zufriedenstellende Situation:
- Damals stand Abtreibung umfassend unter Strafe. Heute sehen wir uns mit einem juristischen Treppenwitz konfrontiert: Abtreibung ist rechtswidrig, aber in den ersten drei Monaten straffrei! In welchem Gesetzesbereich gibt es so etwas?
- Damals waren wir mit an der Spitze der Bewegung. Jetzt gibt es keine Bewegung mehr.
- Damals konnte man mit § 218-Demos Frauen auf die Straße bringen. Heute scheint es dafür keine Notwendigkeit zu geben.
- Damals hat man pro familia gleichgesetzt mit "kämpft für die Abschaffung des 218". Heute ist der Bereich Schwangerschaftskonflikt nach wie vor ein unverzichtbarer Bereich, allerdings ergänzt durch eine breiteres Angebot - parallel zu den Anforderungen unserer Gesellschaft.
In der Öffentlichkeit besteht die Einschätzung, dass jede Frau eine bezahlbare, medizinisch einwandfreie Versorgung erhalten könnte. In Wirklichkeit kämpfen wir für eine verlässliche, flächendeckende medizinische Versorgung für Frauen bei einem Schwangerschaftsabbruch. Öffentliche und private Kliniken und Ärzte ziehen sich aus der Verantwortung zurück. Deshalb muss man wohnortnahe und menschlich akzeptable Umstände in Bayern wie auch in anderen Bundesländern/Gebieten suchen - und findet sie meist nicht.
Mahnwachen vor Praxen/Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, verbessern nicht gerade die Motivation sich in dem medizinischen Feld zu etablieren. Eine wichtige Münchner Privatpraxis musste sich nach der Kündigung der Räume wegen Belästigung durch andauernde “Gehsteigberatung“ einen anderen Standort suchen - und hat lange suchen müssen.
Der § 218 wird erst dann für uns Geschichte sein, wenn es keine Probleme mehr damit gibt.
Welchen Stellenwert messen Sie der Verteidigung feministischer Errungenschaften heute insgesamt bei – was heißt das für Sie auch mit Blick auf die gesamte Gesellschaft?
Es scheint viel erreicht, aber wir Feminist*innen können uns noch lange nicht zurücklehnen. Die Bewegung der MeToo-Debatte zeigt auch gerade auf, wie viel Luft nach oben noch in den Themen männliche Macht, Frauenbild, Sexualität auf Augenhöhe, etc. steckt. Schier unglaublich ist die weltweite Resonanz und die Bereiche, auf die es Auswirkungen hat und noch weiter haben wird. Von der Berichterstattung über Quotierung bis hin zu Verhaltensvorschriften in Betrieben, usw.. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein "dahinter zurück" geben kann. Wir werden nicht nachlassen!
Das Gespräch führte Gitti Hentschel im Februar/bearbeitet im April 2018